Beinahe falsch “links” abgebogen

Autor: Kurt O. Wörl

Wenn mich einer fragt, warum ich als in der Wolle gestrickter Sozialliberaler (wenn auch seit geraumer Zeit ohne parteiliche Heimat) immer wieder so überaus zustimmend auf Sahra Wagenknechts Weltsicht reagiere, dann habe ich bislang immer geantwortet “Weil ich in ihren Redebeiträgen schlicht keine Widersprüche zu meinen eigenen (Wert-)Vorstellungen finde.”

Das fand ich bei Politikern zuletzt in dieser Reinform bei Hildegard Hamm-Brücher … und das ist schon sehr, sehr lange her. Über Hamm-Brücher – mein Wohnort liegt in ihrem ehemaligen Wahlkreis – fand ich damals, 1974, als Mitglied zur F.D.P. (mit Pünktchen) – und das fast 35 Jahre lang – bis ich 2008 das Absinken der Blau-Gelben in den asozialen “Kult des starken Ichs” (Neo-Liberalismus) nicht mehr mittragen konnte.

Echt wahr: Wagenknecht (aber auch Honigsprecher Gregor Gysi und der Thüringer Ministerpräsident, Bodo Ramelow) ließen mich schon mal ernsthaft überlegen, ob ich nicht künftig vielleicht mal deren Partei unterstützen könnte. Dabei unterlief mir allerdings ein gravierender Denkfehler: Fälschlich habe ich den angenehmen Habitus der drei genannten Ausnahmepolitiker auch auf deren Partei als Ganzes projiziert, was natürlich Unfug war. Mir hätte aus meiner eigenen Jugend das inhaltsleere Geschwafel der West-“Linken” nämlich noch in Erinnerung sein müssen. – Man wird halt nicht jünger.

Doch das Schicksal meinte es gut mit mir: Rechtzeitig, bevor ich wieder zur Wahlurne gerufen werde, wurde mir die allzu rosarote Brille wieder von der Nase gerissen, um zeitgerecht zu erkennen, dass Wagenknecht, Gysi und Ramelow zwar “Linke” sind, dass aber nicht alle “Linken”, am wenigsten die siebengescheiten West-“Linken”, dasselbe Wertegerüst wie die Vorgenannten haben. – Im Gegenteil, häufig stehen die drei Zugpferde der “Linken” sogar im Dauerfeuer der eigenen Parteiideologen.

In die Realität zurück holten mich in den letzten Wochen vor allem die eifernd und keifend auf der “Flüchtlingswelle” surfenden West-“Linken”, die glauben, wenn sie auf “Gegen-Rechts-Demos” herumplärren und -pöbeln, dass sie damit schon etwas ganz Tolles und Wichtiges – oder gar Wirksames – getan hätten. Das bewahrte mich davor, dass ich womöglich beinahe falsch “links” abgebogen wäre.

Erkenntnis: Es ist eben doch ein Unterschied, ob man aufgrund des Zusammenbruchs der eigenen Ideologie, ja gar eines darauf erbauten Staates, hinterher politisch geläutert und damit pragmatischer geworden ist, sich vielleicht künftig der Vernunft vor aller Ideologie zugewandt hat oder ob man vollgefressen im Westen aufwuchs und deshalb nur theoretisch über “das Linke an sich” ideologisch und rabulierend nachzudenken gelernt hat und die Schattenseiten der eigenen Ideologie nie am eigenen Leib verspüren musste.

Was bleibt ist die Zustimmung zu den Einzelpersonen Wagenknecht, Gysi und Ramelow, welchen ich ohne Wenn und Aber ihre liberal-humanitäre, soziale Grundhaltung abnehme. Aber “Links” wählen? Nein, das haben mir die West-“Linken” in den letzten Wochen zum Glück aus dem Kopf geschlagen. Die desaströsen Wahlergebnisse bei den drei letzten Landtagswahlen waren denn auch überaus berechtigt – und sie werden sich im Herbst vermutlich wiederholen.

Ungeklärt bleibt aber: was wählt man denn jetzt so als politisch Heimatloser, damit Stimmen nicht verloren gehen und den Falschen nützen?

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