Ein ambivalenter Austausch

Autor: Kurt O. Wörl

Am Montag, 21.01.2019 war der Kapitän des – seit einiger Zeit in Malta festgesetzten – Rettungsschiffes “Lifeline“,  Claus-Peter Reisch, zu Gast beim “Tagesgespräch” des Bayerischen Rundfunks. Thema des Tages: “Massengrab Flüchtlinge” – ein unglücklich gewählter Titel der Sendung. Flüchtlinge können kein Massengrab sein. Gemeint war wohl “Massengrab Mittelmeer”.

Die Moderatorin, Stephanie Heinzeller, führte das Interview und ließ während der Sendung per Telefon zugeschaltete Zuschauer und Zuhörer zu Wort kommen.

Hauptthema der Sendung war das Flüchtlingssterben im Mittelmeer und die Rolle, die Kapitän Reischs Crew, sein Schiff und seine Organisation “Mission Lifeline” dabei spielen. Bevor ich auf die Sendung und einen persönlichen Austausch mit Kapitän Reisch eingehe, zum besseren Verständnis noch einige Vorbemerkungen:

Wer ist Claus-Peter Reisch?

Claus-Peter Reisch ist nach seinem WikiPedia-Eintrag ein 57jähriger, gelernter Kfz.-Mechatroniker aus Landsberg am Lech, Inhaber eines Sportseeschifferscheines und führt eine Industrievertretung für Sanitär- und Heizungsprodukte. Seinen Entschluss, Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten, habe er demnach während eines Urlaubs in Griechenland, als erstmals direkt mit der Flüchtlingskrise in Berührung kam, gefasst. Er selbst bezeichnet sich laut dem Wiki-Eintrag als “konservativen Bayer”. Von der bayer. CSU, die er lange gewählt habe, sei er enttäuscht, bezeichnet die Partei inzwischen als einen “Teil des rechten Spektrums”.

Vorgeschichte

Im April 2017 begann Reisch für die Regensburger NGO “Sea-Eye” eine erste Mission im Mittelmeer.

In selben Jahr kaufte die 2016 gegründete NGO “Mission Lifeline” die ehemalige “Sea-Watch 2”, welche seit September 2017 als “Lifeline” für die Rettung von Boots-Flüchtlingen operiert.

Am 28.06.2018 wurde Reisch nach Ankunft in einem maltesischen Hafen verhaftet, sein Schiff beschlagnahmt und festgesetzt. Gegen Reisch laufen auf Malta Ermittlungen, weil sein Schiff, das unter niederländischer Flagge operiert, nicht ordnungsgemäß registriert und daher als staatenlos anzusehen sei. Diese maltesische Annahme wird von einer Erklärung der niederländischen Regierung gestützt. Demnach sei die Lifeline zwar bei einem Wassersportverein eigentumsrechtlich registriert, nicht aber beim niederländischen Schiffsregister. Je nachdem ob sich das als zutreffend oder nicht herausstellt, könnte dies gravierende Bedeutung entweder für Kapitän Reisch und seine Crew oder für die Niederlande haben, ich komme darauf noch zurück. 

Weitere Vorwürfe sind, dass Kapitän Reisch Anweisungen der italienischen Behörden ignoriert habe und er habe einem – vom maltesischen Gericht beauftragten – Gutachter nach auch nicht die erforderlichen Dokumente, welche für die Seenotrettung erforderlich seien, vorweisen können. Außerdem warf der maltesische Ministerpräsident Reisch vor, widerrechtlich den Schiffstransponder abgeschaltet zu haben, womit sich die jeweils aktuelle Position des Schiffes verschleiern lasse. 

Die nächste Verhandlung vor dem maltesischen Gericht im Verfahren gegen Claus-Peter Reisch soll für März d.J. angesetzt sein. Bis dahin wird wohl auch noch sein Schiff beschlagnahmt bleiben.

Tagesgespräch im Bayerischen Rundfunk

In der eingangs benannten Sendung “Tagesgespräch” gab sich Claus-Peter Reisch als ein bescheiden und integer wirkender Mensch, dem man seine humanitäre Grundhaltung ohne Wenn und Aber abnimmt. Was allerdings auffällt ist seine teilweise verquere und polemische Argumentationsweise – die er auch in einem späteren E-Mail-Austausch mit mir an den Tag legte, die durchaus einige Starrsinnigkeit verrät. So verglich er sein Tun z.B. mit der Bergwacht und mit der DLRG. Den Unterschied, dass die beiden Organisationen zum einen staatlich beauftragt handeln und zudem keine internationalen Verwicklungen und Rechtsprobleme aufwerfen, scheint er nicht wahrnehmen zu wollen. 

Ein Anrufer hatte einen im Grunde richtigen Vorschlag, um die Verteilung der geretteten Flüchtlinge einigermaßen gerecht und sinnig zu organisieren, nämlich, dass stets das Land sie aufzunehmen hat, unter dessen Flagge das jeweils rettende Schiff fährt. Das ist auch tatsächlich so geregelt. Allerdings wendete Reisch zurecht ein, dass etwa ein Handelsschiff aus Australien, welches im Mittelmeer Menschen aus Seenot rette, ja nicht seine Handelsfahrt abbrechen und die weite Strecke zurück nach Australien fahren könne. Auch ein unter deutscher Flagge fahrendes  Rettungsschiff könne nicht vollbeladen mit Flüchtlingen erst um halb Europa nach Hamburg fahren, um die Menschen dort an Land zu bringen.

Das ist nachvollziehbar, ganz hat Kapitän Reisch den Nagel damit allerdings nicht auf den Kopf getroffen. Denn die Zuführung in das verpflichtete Aufnahmeland könnte mit vorhandenen europäischen Strukturen gelöst werden. Reisch selbst wies darauf hin, dass der “Port of Safety” von den Rettern nicht etwa selbst ausgewählt werden kann, sondern von der zuständigen Seenotrettungsleitstelle (Maritime Rescue Coordination Centre – MRCC) vorgegeben wird. So könnte diese z.B. dem Rettungsschiff wieder Häfen in Italien zuweisen, dort werden Name und Flagge des Schiffes zusammen mit den Identitäten (Fingerabdrücken) der Geretteten ohnehin registriert. Anschließend könnten die Menschen auf dem Land- oder Luftwege in das Land, in welchem das Schiff im Schiffsregister registriert ist, verbracht werden. Wenn es allerdings zutrifft, was das maltesische Gericht Herrn Reisch vorwirft, nämlich, dass sein Schiff gar nicht im niederländischen Schiffsregister registriert ist, er also zu Unrecht unter niederländischer Flagge fährt, hätte er ein Problem. Ein Land namens “Staatenlos” gibt es nicht. Und ich denke, dass dies genau auch der Anlass für das Verfahren auf Malta gegen Reisch war. Man darf gespannt sein, wie das Verfahren ausgehen wird.

Der persönliche Kontakt mit Herrn Reisch

Auch ich wollte Herrn Reisch in der Sendung einige Fragen stellen. Da neben der Studiorufnummer auch eine E-Mail-Adresse vorgesehen war, richtete ich meine Fragen auf diesem Weg an das Studio. Leider wurden in der Sendung E-Mails aber nicht verwertet, aber freundlicherweise hat die Moderatorin meine E-Mail an Herrn Reisch weitergeleitet. 

Ich stellte Fragen, wie, ob ihm bewusst sei, dass er mit seiner durchaus ehrenwerten Arbeit zugleich zum Vertragserfüller für die Schlepperbanden werde, was er davon halte, dass manche in der Seenotrettung aktive NGOs auch eine eigene politische Agenda verfolgen. Oder: Ob das Geld für die Versorgung der nach Europa verbrachten Geretteten nicht in der Entwicklungshilfe besser angelegt wäre. Auch Fragen zur Transparenz der Finanzierung waren dabei und eine Frage, wie Herr Reisch zu der drastischen aber wirkungsvollen Methode Australiens stünde, mit welchem das Sterben auf See weitgehend beendet wurde.

Auch eine durchaus philosophische Frage war dabei, nämlich ob sich sein Handeln eher auf gesinnungsethischer oder verantwortungsethischer Basis gründe.

Kurzum, Kapitän Reisch hat mir zwar geantwortet, meine Fragen indessen weitgehend unbeantwortet gelassen. Statt Antworten sandte er mir ein Päckchen mit PDF-Dokumenten, etwa die über 900 Seiten lange “International Convention for the Safety of Life at Sea“, kurz SOLAS, in welchem das Rettungswesen auf See geregelt ist, das über 200 Seiten lange Seerechtsübereinkommen  der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea, kurz UNCLOS) und dazu noch eine Kurzinformation des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zum Inhalt der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Seenotrettung – mit der Empfehlung, ich solle das durchlesen.

Einiges habe ich aber doch zwischen den Zeilen erfahren, z.B., dass Herr Reisch eine eigene, politische Agenda mit seinem Tun verfolgt. Sowohl in der Sendung, als auch in unserem Mailverkehr wies er auf die unfairen Außenhandelsabkommen der EU mit den Ländern Afrikas zu betonen. Offenbar dient ihm das als Rechtfertigung dafür, die Geretteten als eine Art “Rückzahlung” nach Europa zu verbringen. In ganz Nordafrika gäbe es aus seiner Sicht für die Flüchtlinge keine “sicheren Staaten” behauptet er und meint damit auch die Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko, zwei davon gerne besuchte Urlaubsländer, die erst kürzlich vom Deutschen Bundestag als sichere Herkunftsländer eingestuft wurden. Weitgehend ritt er in seinen Antworten immer wieder auf internationalen Abkommen herum, die ihm zwar als Rechtfertigung dienen mögen, jedoch nichts über seine wahren Beweggründe aussagen.

Die nicht zu verleugnende Tatsache, dass Herr Reisch und seine Crew – ob sie das wahrhaben wollen oder nicht – sich zu Vertragserfüller für die Schlepper machten, beantwortete er sowohl in der Sendung als auch mir ggü. stets mit er rette Menschenleben und sei kein Vertragserfüller, als ob das in seinem Falle von einander getrennt werden könnte.

Keine Antwort auch auf die Frage zur Transparenz der Finanzen seiner Organisation. Er verwies darauf, dass seine Organisation als gemeinnützig anerkannt sei und vom Finanzamt geprüft werde. Da hat er recht, nur wie wir aus der Politik wissen, sind Schwarzgeldkonten für den Fiskus oft nur schwer ausfindig zu machen. Auch sei für den Fiskus kaum feststellbar, wenn “Spenden” z.B. aus Schleuserkreisen eingehen. Solchen Vorwürfen sind die privaten NGOs allerdings in den Medien ständig ausgesetzt und mindestens eine davon hat vor einigen Jahren ihre Aktivität eingestellt, als Vorermittlungen zur Herkunft ihrer Mittel bekannt wurden.

Keine Antwort hatte er zu bieten hinsichtlich der Ungezählten, welche die Durchquerung der Sahara – mit Ziel Europa – nicht überleben haben, die sich vielleicht in der von Reischs unterstützten Hoffnung, auf See gerettet zu werden, auf den Weg machen

Der weitere Austausch mit Kapitän Reisch schien mir dann nicht mehr fruchtbringend. Es war unübersehbar, dass er sich von meinen Fragen genervt fühlte, weshalb ich freundlich dankend den Austausch beendete.

Resümee

Beantwortet zwischen den Zeilen hat Kapitän Reisch immerhin, dass sein Handeln straff von Gesinnungsethik geprägt ist. Er hat sich selbst auf ein hohes Podest aus Moral gehoben. Es wird dabei ein Strickmuster sichtbar:

Es ist gut und richtig, Menschen ohne Ansehen der Person vor dem Tod zu retten. Wer die privaten Seenotretter auf eine Stufe mit den Schleuserbanden stellt, muss einen schäbigen Charakter haben.

So in etwa argumentiert Reisch durchgehend. Von daher erklärt sich mir natürlich das betont batzige Anwortverhalten, das Herr Reisch an den Tag legte.

Doch er irrt sich. Denn zweifellos stehen die privaten Seenotretter ganz objektiv in einem Kooperationsverhältnis mit den Schlepperbanden. Dass sie das nicht wahrhaben wollen, ändert daran nichts. Sie sind unabänderlich ein festes Glied in der Kette, die mit den Schleppern ihren Anfang hat.

Hilfreich in ihrer Zirkelschluss-Argumentation ist den privaten Seenotrettern die Tatsache der Zerstrittenheit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die sich auf keine gemeinsame Vorgehensweise angesichts des Migrationsdruckes einigen können. Sie haben Italien und vor allem das ohnehin wirtschaftlich gebeutelte Griechenland lange, zu lange im Stich gelassen. Daraus ziehen die NGOs ihren Nektar für ihr Handeln. Doch auch die vermeintlich Guten können es nicht verhindern, dass man sie hinterfragt. Der Autor Thomas Schmidt formulierte in einem Beitrag für die “Welt” so:

“Auch die Guten, auch NGOs müssen es sich gefallen lassen, auf ihre Motive hin befragt zu werden. Denn sie sind nicht nur edle Helfer, sondern betreiben auch ein Business. Kein Geschäft, das auf Gewinn, sondern das auf moralischen Mehrwert angelegt ist. Diesen können sie in der Regel derart steigern, dass sie – anders als eine Regierung oder ein Unternehmen – der Kritik grundsätzlich entzogen sind. Das kann sie überheblich und auf ihre Weise gnadenlos machen. Ertrinkt auch nur ein Flüchtling im Mittelmeer, sind für sie Europa und seine Politiker moralisch diskreditiert. Sie sind sich selbst das Maß der Dinge und sie verweigern sich der Frage nach dem Möglichen.”

Dieses Hinterfragen war auch meine Intension und Reisch parierte exakt in der von Thomas Schmidt beschriebenen Weise. Ein Streitgespräch, in dem sich ein Streitpartner bereits vorab zum Sieger erklärt, ergibt aber keinen Sinn. Die Ohren dieses Vorabsiegers sind auch den besten Argumente dann a priori nicht mehr zugänglich. Herr Reisch ist so sehr davon überzeugt, im Recht zu sein, dass er schlicht gar nicht einsehen könnte, warum er dennoch Unrecht haben könnte. – Ich denke, dass er auch wenig Sinn für Kompromisse hätte, obwohl diese fast immer die beste Lösung darstellen. Wer zu hoch auf dem Olymp der Moral Platz genommen hat, kann aus seiner Perspektive nur noch von Unmoralischen umgeben sein.

Wie schier auswegslos die Hybris der Lifeline-Seenothelfer bereits gewachsen ist bewiesen sie mit einem Twitter-Tweet am 23.01.2019. Wörtlich twitterte die Organisation: “Ihr seid noch nicht verheiratet? Vielleicht verliebt Ihr Euch zufällig in einen Menschen, der*die hier noch kein Bleiberecht hat. Könnte passieren, oder? Bleibt offen!” Prompt haben Reisch und seine NGO Lifeline nun auch noch eine öffentliche Diskussion wegen Anstiftung zur Scheinehe mit Migranten am Hals. 

Im Ergebnis kann ich deshalb diese privaten Seenot-NGOs nun nur noch sehr kritisch betrachten. So sehr ich Herrn Reisch für sein persönliches humanitäres Engagement auch bewundere und feiern möchte – und das habe ich ihm auch geschrieben – so sehr halte ich aber auch seine unbewegliche, starrsinnnige Haltung für kontraproduktiv.

Foto: pixabay Creative Commons CC0


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