Homo homini lupus

Autor: Kurt O. Wörl

Der Mensch ist des Menschen Wolf. Der Mensch kennt nur einen einzigen natürlichen Feind: Sich selbst. Sieben Milliarden Menschen führen einen Überlebenskampf und der kann allem Anschein nach für den Einzelnen nur gewonnen werden, wenn dafür viele andere auf der Strecke bleiben. Und dafür scheinen in heutiger Zeit alle Mittel recht.

Wir erlebten in den vergangenen Jahren eine unglaubliche Ausplünderung der Gesellschaften durch Einzelne, die meinen einen Anspruch zu haben, sich so viel anzueignen, dass für viele andere nur noch ein Darben übrigbleibt. Dieses Verhalten, dem die Staaten offensichtlich nichts mehr entgegenzusetzen haben, hat die Welt an den Abgrund einer drohenden weltweiten Wirtschafts- und Finanzkatastrophe geführt, von der bislang niemand weiß, wie das ausgehen wird. In wenigen Jahren hat der ach so hochgelobte Kapitalismus mehr Volksvermögen vernichtet, als der vehement bekämpfte Kommunismus in den 70 Jahren seiner Existenz.

Vor 1933 und bis zum Beginn des Vietnamkrieges waren die USA das reichste Land der Welt mit dem höchsten Lebensstandard für fast alle – jedenfalls sofern sie dort im damals noch allgegenwärtigen und völlig normal empfundenen Rassismus nicht das Pech hatten, Afroamerikaner oder Latino zu sein. Der Lebensstandard war – bei der gesamten weißen Bevölkerung zumindest – weit überdurchschnittlich hoch im Vergleich zum Rest der Welt. Nur so konnten sich die Amerikaner nach 1945 übrigens auch eine gigantische Hilfsmaßnahme mit Carepaketen, Luftbrücke nach Berlin etc. für das am Boden liegende Deutschland überhaupt leisten. Ein Unternehmen wie den D-Day, der Befreiung Europas von den Nationalsozialisten, könnten sich die Amerikaner heute gar nicht mehr leisten.

Der Staat war also reich. Und er war reich, weil der Spitzensteuersatz – heute für viele scheinbar undenkbar – bei 90 Prozent lag. Doch dieser Steuersatz traf nur die wirklich Megareichen, die deshalb jedoch keinerlei Einschränkungen ihres ohnehin extrem hohen Lebensstandards verspürten. Sie standen allenfalls vor der Überlegung, ob sie für nur zehn Prozent Gewinn sich noch anstrengen sollten. Doch das taten die “Betroffenen” trotzdem, denn zehn Prozent von einer Million Dollar Einkommen sind immer noch 100.000 Dollar Vermögenszuwachs. Und deshalb haben diese Leute trotzdem nicht die Hände in den Schoß fallen lassen. – Und eine Diskussion um eine Krankenversicherung für alle gab es nicht, weil das Gesundheitswesen komplett staatlich finanziert war. Fast jeder konnte sich ein großes Auto (die berühmten Straßenkreuzer) leisten, es gab keine Wohnungsnot und jene bedauerlichen Penner, die sich im Winter ihre Hände über einem Feuer in einem Ölfass wärmen mussten, waren eher untypisch.

Von Henry Ford, dem Gründer der Ford Motor Company in Dearborn, dem legendären Automobilhersteller, stammt der Satz: “Meine Arbeiter müssen so viel verdienen, dass sie sich die Autos, die wir bauen, auch leisten können!” 

Zudem war die Währung stark und stabil, im Ausland kannte man nur Amerikaner, die nur so herumwarfen mit ihren Dollars. Ein Dollar war damals immerhin vier D-Mark wert.

Man folgte bei der Festlegung des Spitzensteuersatzes dem Grundsatz, dass eine gesunde Gesellschaft geformt sein müsse wie eine Zwiebel: Oben ein möglichst kleines Häubchen Superreicher, dazwischen ein fetter Mittelstand – der alleine nur in der Lage ist, die Wirtschaft gesund am Laufen zu halten – und unten ein möglichst kleiner, besser gar nicht vorhandener Stummel armer Menschen. Wobei das Vorhandensein von Armut als beschämend für die ganze Gesellschaft empfunden wurde. Zugleich standen genügend Mittel auch für Entwicklungshilfe und humanitäres Engagement in der Dritten Welt zur Verfügung.

Heute nehmen die Gesellschaften zunehmend die denkbar kränkste Form, nämlich die einer Sanduhr, an: Immer mehr Kapital sammelt sich oben bei immer mehr Habenden an, der Mittelstand wird immer weiter ausgedünnt, weil er die Hauptsteuer- und Sozialabgabenlast zu tragen hat und deshalb nur eine dünne Eigenkapitaldecke für seine Unternehmen bilden kann. Zugleich fristet die breite Masse ein bescheidenes Leben ohne Kaufkraft, oft in Armut und auf Transferleistungen angewiesen und ohne Chance auf Bildung und Aufstieg.

Dieser Tage wurde bitter beklagt, dass die oberen 10% der Bevölkerung 60% des Steueraufkommens, die unteren 50% aber nur 3,5% zu tragen hätten. Ich sage: Das ist in der Tat ungerecht, denn da diese 10% nämlich 80% des Volksvermögens besitzen, hätten sie eigentlich 80% Steuerlast zu tragen. Außerdem könnte man bei höheren Löhnen die Steuerlast auf ganz einfache Weise weiter nach unten verlagern, während sich oben Entlastung ergäbe. Das ist einfachste Mathematik. Doch das Gegenteil dessen geschah!

Die Absenkung der Spitzensteuersätze in Deutschland hat zu hoher Steuerbelastung des Mittelstandes geführt. Selbst ein Facharbeiter  liegt heute nur noch wenige Prozentpunkte darunter. Zugleich produzieren wir eine immer breitere Bevölkerungsschicht, die so wenig Einkommen hat, dass sie entweder gar keine Steuern mehr bezahlt oder gar von staatlichen Transferleistungen leben muss. Diese Menschen haben nur eine Möglichkeit, ihr Einkommen mathematisch zuverlässig zu erhöhen, in dem sie möglichst viele Kinder bekommen, weil mit Kindergeld und erhöhten HARTZ IV-Sätzen zuverlässig das Einkommen wächst. Damit züchten wir eine immer breitere Unterschicht, während in wohlhabenden Kreisen das Prinzip “Double Income, no Kids!” herrscht.

In den USA war so bald auch das Gesundheitswesen nicht mehr staatlich finanzierbar, das Krankenkassensystem auf freiwilliger Basis wurde eingeführt. Doch privat versichern konnte sich nur, wer nicht für die Krankenkasse hungern musste.

In Deutschland gibt es ein duales System von gesetzlichen und privaten Krankenkassen. Doch das Erreichen einer völlig irren sog. Beitragsbemessungsgrenze bewirkt bis heute, dass Wohlhabende sich völlig aus dem Solidarsystem ausklinken können und der einzig noch melkbare (aber immer dünner werdende) Mittelstand muss über seine Steuerlast und Sozialabgaben zudem die Gesundheitskosten für die Ärmsten ohne eigenes Einkommen auch noch mitfinanzieren.

So betrachtet stellt sich irgendwann zwingend die Frage: Ist es staatliche Aufgabe, den Besitzstand von Wenigen zum Nachteil von Vielen zu sichern?

Wir sehen heute: Je mehr Kapital sich bei Wenigen ansammelt umso mehr werden diese auf Bewahrung achten und nach Mechanismen suchen, dass  das auch so bleibt. Korruption, Steuerhinterziehung, Schwarzgeldkonten im Ausland und Einflussnahme in die Gesetzgebung sind denn heute auch an der Tagesordnung.

Diese Entwicklung führt ziemlich sicher, wie es zu allen Zeiten war, früher oder später zu revolutionären Ereignissen. Das hat der feudale Adel 1789 blutig zu spüren bekommen. Seht nach Griechenland, seht nach New York, seht in die arabischen Staaten, was sich dort gerade abspielt. Ähnliches wird es ganz sicher auch bald in ganz Europa geben.

Entweder die Besitzenden kommen zur Einsicht, oder Völker erheben sich, oder die Regierungen und Gesetzgeber wachen auf und greifen alternativ massiv ein und eine für euch ebenfalls schmerzhafte, verordnete Umverteilung bricht sich auf gesetzlichem Wege Bahn, um Schlimmeres, wie blutige Revolutionen und Elend, zu verhindern. – Bereits heute warnen Finanzberatungsunternehmen immer lauter werdend vor vermehrten Denkübungen in Politik und Gesellschaft über Lastenausgleiche und Neugestaltungen  von  Vermögens- und Einkommensteuern. Ich weiß wohl, dass diese Begriffe allein euch schon in Panik zu versetzen ausreichen. Wieder werdet ihr nach Schlupflöchern suchen. Aber entweder das Eine oder das Andere wird ganz sicher kommen, wenn ihr nicht selbst Einsicht walten lasst und von euch aus vernünftig tätig werdet.

Mein Ratschlag an die Reichen dieser Welt wäre daher der: Helft der Politik! Helft euren Regierungen! Fordert für euch selbst, im ureigensten Interesse, deutlich höhere Steuern für eure Einkommen und euere Vermögen ein. Und zahlt dann eure Steuern auch und hinterzieht sie nicht. Versucht auch nicht weiter, eurer Vermögen im Ausland zu verstecken, sonst darf man euch zurecht kriminell nennen.  Werdet besser gute Patrioten!

Nehmt eure Leistungsfähigkeit sportlich, wie ihr ja auch beim Golfspiel mit stolz geschwellter Brust doch umso lieber euer Handicap benennt, je höher es ist. Warum nicht auch Stolz auf einen hohen Beitrag zur Finanzierung des Staates sein, zu wissen, dass ein besseres Leben für alle ohne euren hohen Beitrag gar nicht möglich wäre?

Wiederum im eigenen Interesse, bevor andere für euch handeln: Setzt euch selbst für eine solidares Sozial-, Kranken- und Rentensystem ein, wie es in der Schweiz – die man ja nun wirklich nicht sozialistisch nennen kann – eingeführt wurde. Ihr wisst, auf euch hört die Politik, auf die breite Masse erst, wenn die in Bewegung gerät. Glaubt nicht, dass euch nur 200.000 unterbezahlte deutsche Polizeibeamte euch die Straßen und Plätze freiprügeln, gar –schießen können, wenn viele Millionen Menschen aufstehen. – Erinnert euch des Endes der DDR!

Nehmt euch ein Beispiel an den Dänen, die ihren hohen Abgaben (z.B. 25% Mehrwertsteuer) für einen blitzsauberen Staat, mit besten Bildungsmöglichkeiten, staatlich finanziertem Gesundheitssystem und ohne Armut, eben nicht zu entfliehen versuchen, sondern stattdessen stolz auf ihren gesunden Staat, mit bestem Bildungssystem, ordentlichen Straßen und vielfältigem, ausreichend finanzierten Kulturbetrieb sind und betonen, dass sie dafür sehr gerne eine hohe Steuerlast tragen. Deutsche schauen in der Regel ziemlich verdattert drein wenn ein Däne lächelnd erklärt, er zahle seine Steuern gerne – “Sieh unser Land an, ist es nicht hyggelig?” (Für das Wort “hyggelig” gibt es im Deutschen keine Entsprechung, es ist eine Mischung aus “schön”, “gelungen”, “prächtig” und vor allem “gemütlich”).

Und Dänemark ist ein Staat, in dem man mit Leistung trotzdem reich werden kann und in dem es überproportional viele Reiche, aber eben kaum Arme und Arbeitslose gibt (obwohl den Unternehmen dort das “Hire- and Fire-Prinzip” gewährt ist) und in dem das dort hohe Mietpreisniveau von allen auch bezahlt werden kann. Dänen und Schweizer gelten denn auch seid Jahrzehnten als die glücklichsten Völker der Welt (ähnliches gilt für Norwegen, Schweden und Finnland). Frauen sind dort ganz natürlich berufstätig, fast alle, weil sich das Land Ganztagsschulen und Kinderbetreuungsstellen leisten kann. Das kann es aber nur, weil es auch hohe Steuereinnahmen hat.

Dagegen leisten sich die immer noch reichsten Länder der Welt, wie USA und Deutschland, eine gigantische und wachsende Unterschicht, die einst sehr wahrscheinlich euer Ende bedeuten kann. Die USA haben im Ganzen zudem das ungebildetste Volk aller westlichen Staaten. Und das findet ihr gut? Und das wollt ihr noch ausbauen? Ihr selbst züchtet so vielleicht, was euch einst an den Kragen gehen wird!

Mal ehrlich, an so einem Ziel, nämlich einem gesunden Land mit zufriedenen, gebildeten Menschen mit hohem Lebensstandard für möglichst Viele und überlebensfähigen Kulturschaffenden wissend mitzuwirken, beteiligt zu sein am errichten einer besseren Welt, ist das nicht ein viel erstrebenswerteres Ziel, als egoistisch nur nach immer mehr Mammon für sich selbst zu gieren? Mammon, den ihr aber in Fülle doch gar nicht wirklich genießen könnt? Für wen tut ihr das? Für eure Erben? Würdet ihr denen nicht viel besser dienen, wenn ihr sie so erzieht und ausbilden lasst, dass sie selbst sich auch aus dem Nullstand heraus Wohlstand erarbeiten können und zu nützlichen Menschen werden?

Es ist doch eine Binsenweisheit: Empathie für andere Menschen verschafft mehr Zufriedenheit und mehr menschlichen Reichtum als alle übervollen Konten, Aktienpakete und Goldbarren, Breitling- oder Rolexuhren, schmuckbehangene, sonst geliftete und silikongepolsterte Gemahlinen euch je verschaffen können. Ein Extrembesitz erzeugt euch nur dauerhaft Angst, ihr könntet das alles verlieren und euer ganzes Sinnen ist deshalb an das Bewahren des Zusammengerafften gefesselt. Zudem müsst ihr euch mit einem teuren Sicherheitssystem umgeben, das eure eigene Freiheit immer mehr einschränkt. Ihr müsst euch um Leib und Leben sorgen, um das eurer Kinder und wisst, hinter jedem Baum, könnte euer Attentäter oder der Entführer euer Kinder lauern.

Setzt doch mehr Energie in den Sinn des Lebens, der neben der Arterhaltung darin liegen sollte, die Welt ein bisschen besser zu hinterlassen, als ihr sie angetroffen habt. Und denkt auch daran, wie man sich einst an euch erinnern wird, wenn ihr nicht mehr seid. Mutter Theresa und Albert Schweitzer werden für noch lange Zeit als wichtige Menschen für die Menschheit in Erinnerung bleiben. Aber Typen wie Josef Ackermann? Möchte man wirklich als Kapitalismusmonster, aber ansonsten als nutzlos dagewesener Mensch ohne Ethik, Anstand und Gewissen, der an der Verelendung der Menschheit mitgewirkt hat, seinen Platz in der Geschichte einnehmen?

Lernt einfach wieder Scham zu empfinden! Vorbilder gibt es inzwischen genug. Als gutes Beispiel sei dafür der Gründer und Chef des Schmiermittelherstellers “Liqui Moly”, Ernst Prost, der derzeit von einer Fernsehtalkshow zur anderen eingeladen wird und nicht fertig wird, mit seinem Wettern gegen asoziale Habgier und Verantwortungslosigkeit in dieser Welt, insbesondere an den Börsen. Nicht ohne Grund!

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