Die Expertismus-Gaukelei in Medien

Wie wird man Terrorismusexperte?

Autor: Kurt O. Wörl

Experten

Wie wird man eigentlich “Terrorismusexperte”? Kann man das lernen oder studieren? Gut, ich kenne Polizeibeamte, Juristen wie Anwälte, Richter und Staatsanwälte, Geheimdienstagenten, Kriminologen, Soziologen, Psychiater, die sich hie und da mit der Delinquenz und damit auch mit Terrorismus befassen (müssen), aber nirgendwo fand ich bisher eine Hochschule, die einen Lehrstuhl zur Ausbildung von Terrorismusexperten anbieten. Und als Lehrberuf gibt es so etwas auch nicht. Wie also wird man “Terrorismusexperte”?

Warum ich frage? Nun, weil man in den Telemedien immer wieder mit Menschen konfrontiert wird, die als “Experten” für irgendwas vorgestellt werden. Besonders gerne nach Terroranschlägen werden nicht etwa Polizeibeamte, Juristen, Täter oder Opfer sondern stets ominöse “Terrorismusexperten” gebeten, das Grauen zu erklären. – Es folgen meistens Allgemeinplätze, Spekulationen, weil diese “Experten” selten bei so einem Ereignis selbst vor Ort waren.

Oder “Armutsexperte”? Wie wird man Armutsexperte? Experten für Armut können ja eigentlich nur Menschen werden, die Armut am eigenen Leibe erlebt haben oder altruistische Menschen, die sich der Bekämpfung der Not verschrieben haben. Alle anderen wären m.E. allenfalls Armutstheoretiker. Klar kann man vermuten, dass sich hinter diesen “Experten” auch wieder nur Soziologen verstecken. Aber warum stellt man sie dann nicht als das vor, was sie wirklich sind?

Verfolgt man diverse Nachrichtenmagazine, dann gibt es offenbar zahllose “Expertenberufe” für alle möglichen Dinge: Beziehungsexperten, Promiexperten, Experten für die Royals, Drogenexperten, Experten für Geheimbünde usw. Für all diese findet man aber nirgendwo ein nachvollziehbares Berufsbild. Was tun diese Leute, wenn sie gerade mal nicht fragenden Journalisten Rede und Antwort stehen?

Mein Verdacht: Weil die wirklichen Fachleute für dämliche Boulevard-Anfragen keine Zeit haben, kreiern sich die Medien ihre “Experten” eben selbst, auf dass sich die Zuschauer/-hörer kompetent informiert fühlen dürfen. Dahinter steckt vermutlich die Hoffnung, die Medienkonsumenten mögen folgendem Zirkelschluss erliegen: “Wenn das ein ‘Experte’ ist, dann muss es ja zutreffen, was er sagt.” Aber der kann in der Regel auch nicht anders ins Blaue hinein spekulieren wie alle anderen auch, die bei einem Ereignis nicht selbst vor Ort waren oder traumantisierende Phänomene wie Terror oder Armut nie selbst durchleben mussten.

“Kreise”

Noch so eine merkwürdige Informationsquelle sind sog. “Kreise”. Immer wieder werden wir in den Medien mit ominösen “Kreisen” konfrontiert. Früher hieß es manchmal “wie aus stets gut unterrichteten Kreisen berichtet wird”. Gut, darunter kann man sich etwas vorstellen. Gemeint sind wohl Personenkreise. Von den Informanten weiß man offenbar, dass sie Insider sind, deren Identität aber wohl gewahrt bleiben soll. Im besten Falle handelt es sich dabei um Whistleblower, die einen Skandal offen legen. Meistens dürften damit aber schlicht inkontinente Schwätzer gemeint sein, die aus nichtöffentlichen Besprechungen Vertrauliches verraten.

Doch zunehmend spart man sich inzwischen sogar den Zusatz “aus stets gut unterrichteten Kreisen”. Immer öfter klingt uns aus den Telemedien nur noch “Wie aus Kreisen berichtet wird?” entgegen. WTF sind also das für “Kreise, aus welchen berichtet wird?”

“Studien”

Oder Studien! Ein beliebtes Spiel in Talkshows ist es, auf “Studien” zu verweisen, wenn es an Argumenten gebricht. Freilich wird in der Regel nie erklärt, um welche Studien es sich handelt, wer sie mit welchem Ziel in Auftrag gegeben und durchgeführt hat, wie breit und tief so eine Studie angelegt ist, wie aussagefähig und generell sie bewertet werden kann. Wenn Studien benannt werden, dann wirkt das immer so als wolle der Nennende damit jede Gegenrede im Keim ersticken. Besonders Alice Schwarzer ist in keiner Talkrunde denkbar, ohne dass sie auf ominöse Studien verweisen würde. Studien werden dabei gebraucht wie ein Gotteswort. So ist es und basta!

Doch so ist das eben gar nicht. Haben Sie schon einmal davon gehört, dass der Mensch am Tag mindestes zwei Liter Wasser zum Wohle seiner Gesundheit trinken solle? Bestimmt! Seither werden Menschen gequält mit “Du musst mehr trinken, das ist wichtig!” und bei Widerspruch werden manchmal wieder “Studien” ins Spiel gebracht, denen zufolge Erwachsene am Tag mindestens zwei Liter Flüssigkeit zu sich nehmen sollen.

Unsinn! Es gib keine “Studien” sondern exakt eine einzige Studie, die hohen Wasserkonsum postuliert und die wurde von einem französischen Mineralwasserhersteller in Auftrag gegeben und bezahlt. Ein Schelm, wer dabei Schlechtes denkt!

Die Evolution aber hat sehr großen Erfolg mit einer einfachen Strategie und die nennt man “Durst”! Haben wir ein Durstgefühl, dann braucht unser Körper Flüssigkeit: bei kleinem Durst wenig, bei großem entsprechend mehr. Und dann müssen wir uns die Flüssigkeit auch nicht in den Bauch zwingen, sondern genießen sogar den ersten kräftigen Zug vor allem dann, wenn das Wasser im Aggregatzustand eines kühlen Bieres dargereicht wird. Ist der Durst gelöscht, ist unser Körper wieder zufrieden.

Aufpassen muss man nur bei Kleinkindern und älteren Menschen. Erstere haben manchmal noch kein gut entwickeltes Durstgefühl, letztere verlieren es manchmal.

Oder, weil es gerade aktuell ist: “Studien belegen: Der Konsum roten Fleisches (Anmerkung: gemeint sind Rind-, Lamm- und Schweinefleisch) erhöht das Darmkrebsrisiko um 18%”. Fundamentalistische Vegetarier und Veganer jubelten ob der Nachricht sogleich auf. Nur haben sie die Studie leider nicht verstanden. Diese, vom National Cancer Institute erstellte Studie sagt nämlich etwas ganz anderes aus, nämlich

“Von 10.000 Menschen erkrankten im Schnitt 3,94 an Darmkrebs und weitere 1,45 starben an der Krankheit. Zusammen sind das etwa 5 von 10.000, bei welchen Darmkrebs diagnostiziert wurde. Die Studie sieht Anzeichen, dass durch hohen Fleischkonsum sich die Zahl der Erkrankten um 18%” erhöht, es kommt dann statistisch zu den fünf Darmkrebserkrankten ein weiterer dazu.”

Vorausgesetzt freilich, dass alle 10.000  Menschen starke Konsumenten roten Fleisches sind. Klar, wenn man von fünf Erkrankten als 100%-Basis ausgeht und es kommt ein sechster dazu, dann hat sich die Zahl der Erkrankten um etwa ein Fünftel erhöht (der Studie nach 18%). Soweit so richtig.

Geht man aber von den 10.000 Menschen als 100%-Basis aus, dann erhöht sich das Darmkrebsrisiko bei hohem Fleischgenuss von 0,05 auf 0,06 Prozent. Das aber nur, dann, wenn alle 10.000 Menschen starke Fleischesser wären. Ich sage mal, ein lächerliches Risiko hat sich um weitere lächerliche 0,01 Prozent erhöht.

Die Studie kann deshalb auch nicht erklären, warum in der Mongolei, in der rotes Fleisch die Hauptnahrung der Bevölkerung, besonders der Nomaden, darstellt, die Darmkrebsrate nicht erkennbar höher ist als in der westlichen Welt, in der immer mehr zu Vegetariern und Veganern mutieren.

Resümee

Regelmäßig werde ich skeptisch wenn mir einer mit “Experten”, “Kreisen” und “Studien” daherkommt. Da hake ich dann stets hochnotpeinlich nach: “Was macht deinen Experten zum Experten? Von welchen Kreisen sprichst du?” und “Könntest Du mir bitte die erwähnten Studien zukommen lassen oder mir sagen, wo ich sie finden kann?” Auf alle diese Fragen bekommt man in der Regel nur sehr dünne, kaum glaubhafte oder ausweichende Antworten.

Foto: pixabay Creative Commons CC0


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