Sozialstaat auf neue Füße stellen

Autor: Kurt O. Wörl

Mehr als ein versuchter Befreiungsschlag von ihrem HARTZ-IV-Trauma ist das neue Sozial- und Rentenkonzept der SPD nicht. Nichts davon werden sie umsetzen können, jedenfalls nicht in dieser Koalition. Ob sich überhaupt neue, alternative Koalitionsmöglichkeiten ergeben werden, muss man abwarten, ich vermute erstmal eher nicht.

Aber man könnte ja mal darüber nachdenken, ob es nicht grundsätzlich an der Zeit wäre, sich Gedanken über eine generelle Neugestaltung des Sozialstaates zu machen. Denn wenn es zutrifft, dass Digitalisierung und Automatisierung sowie Künstliche Intelligenz künftig Massenarbeitslosigkeit generieren werden, dann spätestens wird der Generationenvertrag für die Rente in sich zusammenbrechen.

Wie also Renten und Sozialhilfe neu gestalten? Nun, man muss das Rad hier nicht neu erfinden, sondern nur über die Grenzen, zu unserer Nachbarn nach Dänemark, blicken. Denkbar wäre nämlich, Altersversorgung  und Sozialhilfe komplett steuerfinanziert anzulegen. Geht nicht? Nicht finanzierbar? Doch, das geht und es ist ohne weiteres finanzierbar. Man muss sich nur an Horaz’ “Sapere aude” (wage es, weise zu sein) oder an Immanuel Kants “Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!” erinnern und bereit sein, Gewohntes für völlig Neues aufzugeben.

Ich höre trotzdem schon den entsetzten Aufschrei: “Wie um alles in der Welt will man denn Renten und Sozialhilfe aus dem Steuersäckel finanzieren, vor allem, wenn in Kürze die Baby-Boomer in Rente gehen?” Man wird auf alte Konzepte verweisen, wie das Renteneintrittsalter zu erhöhen und das Rentenniveau nach Bedarf abzusenken. Aber wer das weiter aufrecht erhalten wollte, würde sich zugleich selbst zum Garanten für die Existenz der antidemkoratischen Kräfte links und rechts des bürgerlichen Spektrums machen.

Die Lösung ist im Grunde ganz einfach und sie hätte sogar noch eine ganze Reihe zusätzlicher Vorteile, die nicht verschwiegen werden sollten.

Was also macht Dänemark richtig?

Was also macht Dänemark richtig? Nun, es finanziert z.B. sein gesamtes Sozialsystem aus der Staatskasse: Gesundheitswesen, Grundrente, Sozialhilfe. In Dänemark wird die verfasste Sozialstaatlichkeit, anders als in Deutschland, noch als richtig befunden und auch gelebt. Die Dänischen Grundsätze lauten:

  • Niemand soll am Reichwerden wirklich gehindert werden, solange er das nicht auf Kosten vieler anderer realisiert.
  • Begriffe wie Kinder- und Altersarmut, Armut schlechthin, sind eine Schande für jedes Gemeinwesen. 
  • Wohlfahrtsstaat war immer ein Ideal und kein Schimpfwort.

Trotz dieser Grundsätze ist das “Hire- und Fire-Prinzip” in Dänemark sehr viel ausgeprägter als in Deutschland. In Dänemark gibt es praktisch keinen Kündigungsschutz. Doch diese Flexibilität im Personalwesen hat sich die Wirtschaft in Dänemark schon erkaufen müssen, durch höhere Verbrauchssteuern zum Beispiel.

Sorgenfalten, den Arbeitsplatz zu verlieren, wird man bei unseren nördlichen Nachbarn jedenfalls kaum entdecken. Warum? Weil das Arbeitslosengeld nur unwesentlich niedriger als das letzte Verdiensteinkommen ist, nämlich bis zu 90% davon und das bis zu vier Jahre. Und die Sozialhilfe? Für Alleinstehende, die nicht bei den Eltern wohnen, beträgt diese 9.857 DKK, das sind rund 1.300 EUR (Stand 2010). Von den dänischen Renten will ich erst gar nicht sprechen, die liegen im Land der Wikinger höher als das Durchschnittseinkommen der breiten Masse in Deutschland.

Wie das geht? Nun, 25% Mehrwertsteuer auf alles und der Sozialstaat ist in Dänemark finanziert. Luxussteuer für zugelassene Kraftfahrzeuge, eine auch in Österreich bewährte Strategie, die zugleich den verkehrsbedingten Schadstoffausstoß drastisch reduzieren würde, wären eine gute Idee auch für Deutschland. In der Tat, die teuersten Metalle in Dänemark sind nicht Gold oder Platin, sondern ist das Blech für die Kfz-Kennzeichen. Wer in Dänemark ein Fahrzeug zulassen will, der bezahlt zwischen 120 und 180% des Fahrzeugwertes nochmal an Luxussteuer ins Staatssäckel. Das gilt übrigens auch für die Zulassung von Gebrauchtfahrzeugen oder für Fahrzeuge, die Ausländer mitbringen, wenn sie sich in Dänemark niederlassen (dafür gibt es staatliche Schätzstellen, die den steuerrelevanten Wert gebrauchter Fahrzeuge ermitteln).

Umsetzung in Deutschland

Nun bin ich nicht naiv. Ich weiß, dass Dänemark keine Autoindustrie hat und diese in Deutschland wiederum eine Schlüsselindustrie ist. Eine generelle Luxussteuer auf die Kfz-Zulassung in dieser Höhe wird man bei uns nicht umsetzen können, ohne den Motor unserer Wirtschaft – und das ist nun mal leider die Automobilindustrie – abzuwürgen. Doch Alternativen gibt es schon:

So könnte man Kleinwagen und Mittelklassewagen durchaus mit 25% Mehrwertsteuer belegen, auf Luxuskarossen aber eine besonders hohe solche erheben, 50% halte ich durchaus für angemessen. Wer also meint mit er müsse seinen Hintern in Spritvernichtern wie SUVs oder Limousinen teurer als 50.000 EUR durch die Gegend chauffieren, soll das weiterhin zwar dürfen, denn er kann sich das offenbar ja leisten. Er kann dann aber auch eine höhere Mehrwertsteuer aufbringen. Damit würde er auch einen Beitrag für seinen besonders großen, ökologischen Fußabdruck beim Fahrspaß leisten. Wer solche Boliden als Firmenfahrzeug benötigt, ist davon wiederum nicht betroffen, ebenso wenig wie es Nutzfahrzeuge wären, da die Mehrwertsteuer als Vorsteuer ja abzugsfähig bliebe.

Und weil wir schon bei der höheren Versteuerung von Luxus sind: Für Schmuck, Goldwaren, Luxusuhren, Segelyachten, Privatflugzeuge, auch Kreuzfahrten und Luxusreisen usw. kann ebenfalls eine möglichst hohe Mehrwertsteuer erhoben werden. Sie träfe immer nur Leute, die sich diese Dinge leisten können und wollen. Der Export (für ein Exportland wie Deutschland wichtig) wäre davon nicht betroffen, da bei der Ausfuhr von Waren die Mehrwertsteuer zurückerstattet wird. 

Was ich mir vorstelle wäre also ein gestaffeltes Mehrwertsteuersystem: Grundnahrungsmittel weiterhin mit 7%, alles andere mit 25% und Luxusartikel ab 50.000 EUR Warenwert eben mit 50% oder noch mehr Mehrwertsteuer belegen. Renten wären finanziert, Sozialhilfe wäre finanziert, das Gesundheits- und sogar das Pflegewesen wären finanziert. Und das auch noch zusätzlich mit nützlichen “Nebenwirkungen”:

Die Sozialabgaben – und damit auch der Arbeitgeberanteil – könnten nämlich ganz wegfallen, was die Lohn-Stückkosten senken würde und Unternehmen, die noch Mitarbeiter beschäftigen, nicht mehr ggü. der vollautomatisierten Konkurrenz benachteiligen. Egal, ob Produkte von Menschenhand oder von Industrierobotern in menschenfreien Fabriken hergestellt werden, Unternehmen: die auf Automaten statt Mitarbeiter setzen, könnten sich nicht mehr aus dem Sozialsystem einfach ausklinken und auf diese Weise einen enormen Wettbewerbsvorteil auskosten. Denn auch den fairen Wettbewerb sicher zu stellen, ist Teil staatlicher Aufgaben.

Dass es Zeit wird, endlich alle Einkommen derselben Einkommensteuer zu unterwerfen, darüber brauchen wir nicht diskutieren. Es ist schlechterdings nicht einzusehen, dass Lohn für Arbeit bisweilen bereits beim Facharbeiter mit dem Spitzensteuersatz belegt, Einnahmen aus Börsenspekulationen oder Kapitalerträgen hingegen nur minimal versteuert werden.

Wenn man will, geht alles, auch einen menschenwürdigen Sozialstaat sicher zu stellen. Man muss es aber wollen und Wohlfahrtsstaat als Ideal und nicht als Schimpfwort betrachten. Es muss der Wille aller politisch Verantwortlichen werden, keine Armut im eigenen Land zuzulassen und für so viele Menschen wie möglich ein gutes, menschenwürdiges Leben sicher zu stellen. Dänemark konnte das, deshalb wohnen dort seit Jahrzehnten die glücklichsten Menschen auf Erden. Und was Dänemarks Regierungen für 6 Mio Menschen erreichen konnten, kann auch die Regierung des angeblich reichsten Landes Europas für seine Menschen schaffen – wenn sie denn will!

Also SPD, auf zum Nachsitzen, um Euer bislang windiges Sozialkonzept auf neue, zukunftsträchtigere Beine zu stellen!

Foto: pixabay Creative Commons CC0


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