Autor: Kurt O. Wörl
Man wollte nur höflich sein. Man wollte niemanden vergessen, niemanden ausschließen, alle einbeziehen. Was herauskam, ist ein akustisches Rätselspiel, das sich Tag für Tag zwischen Wetterbericht und Talkshow abspielt: Gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zwischen Sprechpausen und Glottisschlag, zwischen Bürger-KNACK-innen und BürgerX mit und ohne Migrationshintergrund irrt die Sprache umher wie ein Tourist ohne Stadtplan.
Es gibt Dinge, die erledigen sich von selbst. Ein Tropfen Wasser findet den Weg nach unten. Ein Kiesel rollt von selbst den Hang hinab. Und dann gibt es das Gendern. Das bleibt einfach stehen. Mitten im Satz. Macht eine Pause. Zieht den Satz in die Länge.
Man sitzt. Man hört. Und man fragt sich: Ist das noch Deutsch? – Es war einmal ein Land, da sprach man einfach. „Liebe Zuschauer.“ Punkt. – Ein Satz, ein Gruß, ein Land im Gleichgewicht.
Der Zuschauer, das war ein Mensch, der Mann oder Frau oder gerne auch irgend etwas soziologisch Eingebildetes sein konnte. Identität – und erstrecht die Genitalienausstattung – hatten beim Zuschauen keine Bedeutung. Der Mensch war generisch korrekt einfach Zuschauer. Damals jedenfalls.
Heute? Heute knackt es im Radio und im Fernseher. Ein Laut, mitten im Satz. Der Sprecher macht eine Pause, räuspert sich nicht einmal. Er trennt. Er trennt das Wort, trennt die Leute, trennt die Vernunft vom Gesprochenen.
„Liebe Zuschauer-KNACK-innen und Zuschauer außen…“
Und man möchte hinzufügen: „… und Zuschauer über den Wolken, die da wohnen bei Gott.“ Nur ist selbst der nicht mehr zuständig. Er wurde gegendert, seines Geschlechts beraubt, das er nie besaß, sprachlich neutralisiert. Im Zweifelsfall heißt er jetzt GottX oder Gott-KNACK-in.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen neuen Glauben: den Genderismus. Früher wurde sonntags gebetet. Heute wird gegendert. Am liebsten morgens, zum Wetterbericht. Da hören es alle. Da muss es sein. Denn irgendwo könnte jemand sitzen, der sich ausgeschlossen fühlt. Weil das grammatikalische Geschlecht gefährlich geworden ist. Die Sprache ist nicht mehr Werkzeug. Sie wurde zur Waffe. Und der Rundfunk setzt sie skrupellos ein. In einer Zeit, in der jeder für alles sensibilisiert sein muss, wird die Sprache selbst zum Tatort. Nicht was man sagt, sondern wie man es sagt, entscheidet über Schuld und Unschuld, Anerkennung oder Verdammnis.
Der Unterschied zwischen einem harmlos schlanken „Liebe Zuhörer …“ und einem wuchtigen „Liebe Zuhörer-KNACK-innen!“ ist ungefähr so groß wie der zwischen einem Händedruck und einer Handgranate – jedenfalls für jene, die sich beruflich mit Mikroaggressionen beschäftigen. –
Sie kennen diese Leute. Man hört sie im Radio, sieht sie im Fernsehen und liest sie in Kommentaren unter Artikeln, die sie wahrscheinlich gar nicht gelesen haben. Früher nannte man sie Korinthenkacker. Heute heißen sie „Changemaker“.
Die öffentlich-rechtlichen Medienhäuser haben sich diesem Spiel mit einer Inbrunst verschrieben, als hinge der Weltfrieden davon ab. Das Erste, das Zweite, die Dritten – sie alle machen jetzt Sprachballett. Man kann es jeden Tag hören: kleine Sprechpausen, künstliche Haltestellen in den Nachrichten, als hätten die Sprecher-KNACK-innen plötzlich vergessen, wie der Satz weitergeht.
Es beginnt mit einem harmlosen Satz: „Die Polizist-KNACK-innen wurden gerufen.“ – Und schon stehen die Gedanken still. Waren es nur Polizistinnen? Oder auch Polizisten und was haben die mit -KNACK-innen zu tun? – Doch das ist erst der Anfang. Wer einmal anfängt, Sprache nach Geschlechtern zu sortieren, endet irgendwann bei Formulierungen wie: „Bürger-KNACK-innen und BürgerX mit Migrationsgeschichte.“
Da sehnt man sich fast nach dem guten alten Amtsdeutsch zurück, wo „die Antragsberechtigten“ allumfassend und nur ein Wort war und keine Mission.
In den Redaktionskonferenzen der öffentlich-rechtlichen Anstalten spricht man heute nicht mehr über Inhalte. Man spricht über Sprache. Über Satzzeichen. Über Sensibilität. Die wichtigste Frage: Wen könnten wir vergessen haben? Sitzt er/sie/es nun tief verletzt heulend in einer Ecke, traumatisiert fürs Leben?
Da sitzt dann einer in der Runde, graue Schläfen, seit zwanzig Jahren dabei, und murmelt: „Früher hatten wir mehr Mut.“ Aber er wird überstimmt. Die jungen Progressiven wollen das Gendern. – Aber: Wollen sie es wirklich? Oder haben sie einfach Angst davor, zu sagen, dass sie es gar nicht wollen? – Cancel-Phobie?
Denn das ist das Wesen des modernen Rundfunks: Er sendet aus Angst. Aus Angst, einen Fehler zu machen. Aus Angst, irgendjemanden zu kränken. Leider nicht aus Angst, die eigene Relevanz zu verlieren.
Man könnte ja auch einfach Klartext senden. Nachrichten, Fakten, Sport. Wetterbericht ohne moralischen Überbau. So wie früher es Dagmar Berghoff oder Hajo Friedrichs vermochten – und keiner war beleidigt. Aber das wäre zu wenig. Man will ja nicht mehr nur berichten. Man will verbessern. Erziehen. Formen. Vorgeben, wie der Medienkonsument das Ausgestrahlte gefälligst einzuordnen hat.
So schleicht sich das Gendern in jede Ecke. Bis hinein in den Krimi. Früher sagte der Kommissar: „Der Täter ist geflohen.“ Er wurde allenfalls von einer Kollegin mit Haaren auf den Zähnen und ernstem Blick ergänzt mit „…oder die Täterin“!
Heute sagt er lieber gleich: „Die tatverdächtige Person hat sich vom Tatort entfernt.“ – Da gibts danach auch keine Krisengespräche mit Vorgesetzt-KNACK-innen, Gleichstellungs-, Antimobbing-, Frauen- und sonstige Beauftragten für Hypersensible und Zerbrechliche.
Da ist keine Kante mehr erkennbar. Kein Profil. Nur noch Watte. Sprachliche Watte.
Und die Zuschauer? Die schalten irgendwann ab. Oder sie hören nicht mehr hin. Oder sie lachen.
Denn das ist das Tragische am Gender-Projekt: Es macht die Sprache nicht schöner. Es macht sie nicht gerechter. Es macht sie nur lächerlich. Es ist über alle Maßen sexistisch bis ins letzte i-Tüpfelchen. Und vor allem ist es spalterisch und damit diskriminierend. Gendern markiert ständig das Geschlecht – auch dort, wo es vollkommen nebensächlich ist. Es trennt, wo es verbinden will.
Wer Arzt sagt, denkt nicht an einen Mann. Wer Feuerwehr sagt, denkt nicht an ein Geschlecht. Wer Bäcker denkt, denkt an ein Ladengeschäft, in welchem es leckere Backwaren gibt und nicht an Penisse. Wer an Metzger denkt, denkt auch nicht an Hodensäcke, sondern an einen Ort, an dem ihm Wurst und Fleischwaren über die Theke gereicht werden. Und welche Genitalien die Fachkraft hinter der Theke in der Unterhose hat, interessiert keine alte S… – ähm niemanden.
Ein Beruf ist ein Beruf. Keine Spezies. Keine Identität. Wenn gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit eine berechtigte Forderung ist, dann kann die gleiche Berufsbezeichnungen für gleiche Tätigkeiten nicht falsch sein. Alle Berufe sind Unisexberufe. Alles andere ist Etikettenschwindel mit moralistischem Anstrich.
Die Anglophonen haben es längst begriffen. Erlaube sich mal heute einer eine Schauspielerin noch „actress“ zu nennen. „No! I’m an actor!“ wird sie ihn mit glühenden Augen anfauchen.
Aber wer einmal das Lächerliche zur Norm erhebt, der braucht sich nicht zu wundern, wenn niemand mehr zuhören mag. Dabei gäbe es einen einfachen Ausweg: Einfach sprechen, wie der Schnabel gewachsen ist. Ohne Pause, ohne Unterbrechung, ohne Glottisschlag. So, wie es früher einmal war, als man noch „Liebe Zuschauer“ sagte und damit alle meinte und sich auch alle angesprochen fühlten.
Oder, um es als unvermeidlichen Schlussappell zu formulieren:
Liebe Sprachbenutzerinnen und Sprachbenutzer, liebe Sprechende und Zuhörende, liebe Ironiker-KNACK-innen und SatirikerX – denkt doch mal darüber nach: Vielleicht ist das deutlichste und glaubhafteste Zeichen von Gleichbehandlung genau das, dass man Unterschiede nicht ständig betont und hervorhebt und damit erst in Dauerpräsenz zementiert?
Vielleicht lohnt es sich doch, einfach wieder zu sagen: „Guten Abend.“ Und Schluss.