Autor: Kurt O. Wörl
Ein kultureller Wandel hat Europas und Deutschlands Institutionen tiefgreifend verändert – angetrieben von einem ideologischen „Marsch durch die Institutionen“, wie ihn Rudi Dutschke forderte. Medien, Universitäten und der öffentlich-rechtliche Rundfunk präsentieren sich zunehmend als moralistische Instanzen statt als neutrale Plattformen. Kritische Stimmen gelten als verdächtig, Sprachvorgaben ersetzen Debattenfreiheit. Die politische Mitte hat diesen Wandel weitgehend hingenommen – und damit den Aufstieg rechter Protestparteien erst ermöglicht.
Der „Marsch durch die Institutionen“
Als Rudi Dutschke Ende der 1960er Jahre den „Marsch durch die Institutionen“ formulierte, war das keine Parole studentischer Fantasten, sondern die strategische Vision einer gezielten kulturellen Machtübernahme durch Infiltration. Nicht der Aufstand auf der Straße, sondern der planvolle Zugriff auf gesellschaftliche Schlüsselpositionen sollte den Wandel bringen: in Ministerien, Medien, Bildungseinrichtungen, Justiz, Gewerkschaften und Kulturbetrieben. Die Vorstellung war ebenso radikal wie langfristig angelegt: Wer das Denken einer Gesellschaft beeinflusst, verändert auch ihr Handeln – und damit ihre politischen Mehrheiten, so die Idee.
Diese Strategie entfaltete über Jahrzehnte hinweg Wirkung. In nahezu allen prägenden Institutionen westlicher Gesellschaften etablierte sich ein linkes oder linksliberales Selbstverständnis. Es war nicht bloß eine politische Strömung unter vielen, sondern wurde mit moralischem Absolutheitsanspruch vertreten. Der offene Streit der Ideen wich einem normativen „So ist es richtig, wer anders denkt liegt falsch“, das vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk über Bildungseinrichtungen bis hin zu Leitmedien reichte. Wer widersprach, wurde nicht nur kritisiert, sondern rasch als verdächtig, rückständig oder gar demokratiefeindlich, inzwischen als rechtsextrem abgestempelt.
Die bürgerliche Mitte – in naiver Selbstverleugnung
Die bürgerlich-liberale Mitte reagierte auf diesen Kulturwandel mit einer Mischung aus Ignoranz, Feigheit und Selbsttäuschung. Weder die Unionsparteien noch die FDP entwickelten ein kulturelles Gegengewicht. Sie überließen das intellektuelle Feld jenen, die mit ideologischem Eifer die Gesellschaft transformieren wollten. Der Glaube, politische Stabilität und wirtschaftlicher Erfolg würden die kulturelle Mitte von selbst stabilisieren, erwies sich als fataler Irrtum.
Der Konservatismus wurde zum technokratischen Verwalter des Status quo. Die CDU wandelte sich unter Angela Merkel zu einer Organisation des Machterhalts, nicht der geistigen Orientierung. Die FDP verstand sich zunehmend als wirtschaftsliberaler Lobbyistenklub, nicht als Verteidiger bürgerlicher Freiheit. So wuchs eine kulturelle Leerstelle, in die linke Deutungsmuster fast widerstandslos einsickern konnten – nicht weil sie intellektuell überlegen waren, sondern weil niemand mit Vehemenz dagegenhielt.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Instrument
Besonders deutlich zeigt sich diese Entwicklung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ursprünglich als staatsfernes Gegengewicht zu parteipolitischer Einflussnahme konzipiert, wirkt er heute vielfach wie ein medialer Arm eines neuen, linkslastigen Moralismus. In Nachrichten, Magazinen, Talkshows und Dokumentationen begegnet dem Zuschauer eine Welt, in der Migration grundsätzlich als Bereicherung, Kritik an Zuwanderung als Fremdenfeindlichkeit, Nationalstaaten als überholt und internationale Regelwerke als nicht hinterfragbar gelten.
Die Auswahl der Gesprächspartner, die Formulierung von Fragen, die Wortwahl – all das folgt einer ideologisch geprägten Linie. Wer andere Schwerpunkte setzt, etwa bei Sicherheit, Energie, Bildung oder kultureller Identität, gerät schnell unter Rechtfertigungsdruck. Viele Zuschauer empfinden das nicht mehr als Information, sondern als Erziehungsversuche – nicht als Abbildung der Wirklichkeit, sondern als Versuch, eine gewünschte Ideologie als Realität durchzusetzen.
Wie ein ÖRR seine Glaubwürdigkeit zurückgewinnen kann
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Dänemark. Dort erkannte der Journalist Ulrik Haagerup, Leiter der Nachrichtenredaktion beim öffentlich-rechtlichen Sender DR, zu einer Zeit, als das Vertrauen der Bevölkerung in den Sender auf unter 40 Prozent gesunken war, das Problem. Haagerup hatte eine einfache, aber revolutionäre Idee: Journalismus sollte wieder berichten statt belehren und die Einordnung den mündigen Bürgern selbst überlassen.
Er führte das Konzept des „konstruktiven Journalismus“ ein – keine Skandalisierung, keine moralische Belehrung, sondern sachliche Darstellung, echte Debatte, faire Berichterstattung. Vor allem aber: Er ließ wieder alle Teile der Gesellschaft zu Wort kommen – nicht nur akademisch Gebildete aus urbanen Zentren, sondern auch kleine Handwerksbetriebe, Landwirte, Arbeiter, Pflegekräfte, Familien. Das Ergebnis: Die Glaubwürdigkeit des Senders stieg über Jahre hinweg auf über 80 Prozent. Zugleich verlor die politische Rechte Dänemarks an Zugkraft, wurde marginalisiert, weil ihr Hauptnarrativ – das der verlogenen Medien – nicht mehr verfing.
Haagerups Ansatz entwaffnete den Populismus nicht durch Empörung, sondern durch Qualität. Das ist möglich – aber nur, wenn der Wille zu Selbstkritik und Selbstkorrektur besteht.
Universitäten als Kaderschmieden statt Denkwerkstätten
Eine ähnlich besorgniserregende Entwicklung zeigt sich an den Universitäten. Was einst Orte des freien Denkens waren, ist heute vielfach ein System der ideologischen Homogenisierung. Besonders in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern dominieren identitätspolitische Narrative, die Kritik nicht aushalten, sondern unterdrücken.
Abweichende Meinungen gelten nicht als Anstoß zur Debatte, sondern als Störung des moralisch Guten. Vorträge konservativer Autoren werden verhindert (Cancel Culture), Professoren mit vom Mainstream abweichenden Thesen ausgegrenzt. Wer auf kulturelle Eigenheiten, nationale Identität oder biologische Realitäten hinweist, wird rasch als „rechts“, oft als Nazi markiert – selbst wenn diese Positionen gut begründet und sachlich formuliert sind.
Hinzu kommt ein zunehmender sprachlicher Konformitätsdruck. Studenten werden in vielen Fächern und an einer Reihe von Hochschulen angehalten – teils ausdrücklich verpflichtet – ihre Arbeiten in sogenannter „geschlechtergerechter Sprache“ (Gendern) zu verfassen. Wer sich dieser Anforderung verweigert, riskiert Punktabzüge, formale Abwertungen oder implizite Benachteiligung. Nicht selten entscheiden einzelne Dozenten darüber völlig willkürlich. Das geschieht nicht auf Grundlage eines demokratisch legitimierten Konsenses, sondern im Sinne eines ideologischen Imperativs.
Gleichzeitig dulden Hochschulen propalästinensische Demonstrationen, auf denen antisemitische Parolen skandiert oder israelische Flaggen verbrannt werden. Während konservative Gedanken sanktioniert werden, gelten antiwestliche, antikapitalistische und identitätspolitisch radikale Positionen als Ausdruck akademischer Vielfalt. Ein eklatantes Missverhältnis.
So entsteht eine neue Generation von Absolventen, die weniger gelernt hat zu denken als zu kontrollieren. Nicht die Auseinandersetzung mit dem Anderen wird gelehrt, sondern dessen moralische Delegitimierung. Diese Haltung tragen sie später in Redaktionen, Verwaltungen, Bildungseinrichtungen und NGOs – und damit zurück in jene Institutionen, die eigentlich Orte geistiger Offenheit sein sollten.
Der politische Preis: Aufstieg der Populisten
Die gesellschaftliche Folge dieses kulturellen Klimas ist unübersehbar. Überall in Europa steigen Parteien auf, die sich explizit gegen diese links geprägte Deutungshoheit stellen. In Deutschland erhielt die AfD bei den Bundestagswahlen im Februar 2025 20,8 Prozent der Wählerstimmen und inzwischen stabile Umfragewerte zwischen 20 und 25 Prozent, in manchen Regionen in Ostdeutschland ist sie bereits stärkste Kraft. Und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), hat sich als populistisches Querfrontprojekt etabliert, das offenbar problemlos links- wie rechtsextreme Positionen unter einen Hut bringt.
In Italien regiert Giorgia Meloni. In Ungarn Viktor Orbán. In Frankreich steht der Rassemblement National von Marine Le Pen kurz vor der Machtübernahme.
Diese Parteien sprechen gezielt jene an, die sich von Medien, Universitäten und etablierter Politik missachtet, lächerlich gemacht oder moralisch abgekanzelt fühlen. Diese politischen Kräfte versprechen, diesem Spuk eine Ende zu bereiten – die Kontrolle über die Institutionen zurückzuholen, die kulturelle Selbstvergewisserung des linken Milieus zu durchbrechen und das Gefühl von Zugehörigkeit wiederherzustellen.
Die Macht dieser Bewegungen wächst nicht, weil sie überzeugendere Konzepte hätten – sondern weil viele Wähler sie als einzige Möglichkeit sehen, noch gehört zu werden und dem linken Establishment die Rote Karte zu zeigen. Nicht das Programm dieser Parteien, sondern der Protest steht im Zentrum des Wollens dieser Wähler.
Die Institutionen gefährden sich selbst
Institutionen, die ihre Einseitigkeit nicht erkennen und beenden wollen, sägen an dem Ast, auf dem sie selbst sitzen. In Ländern, in denen Rechtsparteien die Regierung übernehmen, beginnen diese fast reflexartig mit dem Umbau dieser Institutionen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird politisch umgestaltet, Gerichte neu besetzt, die Gewaltenteilung relativiert, andere Medien kontrolliert. In Ungarn ist die Gewaltenteilung faktisch aufgehoben worden. In Polen wurde unter der PIS die Justiz systematisch auf Regierungslinie gebracht. In den USA entzog Donald Trump sogar Elite-Universitäten Fördermittel und erklärte linksdominierte Medien zu Feinden des Volkes.
Das geschieht nicht aus dem Nichts. Es ist die konservative Retourkutsche auf Jahrzehnte linkslastiger, kultureller Bevormundung. Wer Institutionen ideologisiert, riskiert nicht deren Erhalt, sondern deren Marginalisierung oder gar Abschaffung. Der Schutz demokratischer Grundpfeiler gelingt nicht durch einseitige Haltung, sondern durch institutionelle Demut. Wer öffentlich finanzierte Macht ausübt, sollte sich der Vielfalt seiner Öffentlichkeit verpflichtet fühlen – nicht der eigenen Blase.
Was ist nun zu tun?
Der Ausweg aus dieser kulturellen Sackgasse beginnt mit Selbstkritik. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss seine Rolle neu verstehen: als Bühne des Diskurses, nicht als Sprecher eines linken, moralistischen Milieus. Er sollte zuhören, statt erziehen zu wollen. fragen, statt zu belehren. Wenn er das nicht tut, wird er zum Steigbügelhalter jener, die ihn ganz abschaffen wollen.
Die Universitäten müssen zum geistigen Streit zurückkehren. Nicht jede These muss gefallen, aber jede muss gesagt werden dürfen, voltaire’sche Tugenden sind gefragt. Wer sich als akademische Elite versteht, muss Widerspruch aushalten – nicht unterbinden.
Die Politik sollte neue Koalitionen ermöglichen. Nicht alle Brücken dürfen eingerissen werden, weil sie nicht ins Weltbild passen. In einer Demokratie entscheidet der Wähler – nicht die moralische Bewertung des Ergebnisses. Das Verbot jeder Zusammenarbeit mit bestimmten Parteien kann die Radikalisierung nur beschleunigen – und zugleich die eigenen Handlungsspielräume einengen.
Und die Bürger? Sie müssen ihre Stimme wieder erheben. Nicht nur in Wahllokalen, sondern auch im Alltag. In Gesprächen, Leserbriefen, Diskussionsforen. Sie sollten sich nicht einschüchtern lassen von jenen, die nur Etiketten verteilen, weil ihnen die Argumente fehlen. Demokratie lebt nicht vom Einvernehmen – sondern vom Streit, der ausgehalten wird und ausgehalten werden muss.
Es liegt im Interesse der Institutionen, sich wieder als das zu begreifen, was sie einmal waren: Orte des Ausgleichs, nicht der Ausgrenzung. Orte des Dialogs, nicht der Belehrung. Orte des Denkens, nicht der moralistischen Disziplinierung. Sie müssen erkennen, dass sie selbst erst den Nährboden für populistische Kräfte bereiteten. Wer das nicht erkennt, wird die kommenden Umwälzungen nicht verhindern – sondern ihr erstes Opfer sein.