Kreativität als Lebensprinzip

Neugier, Zweifel, Balance – und ein Schuss Sfumato

Kreativität als LebensprinzipAutor: Kurt O. Wörl

Warum Kreativität mehr ist als Basteln im Kindergarten: Ein Streifzug durch Evolution, Geschichte und Alltag – mit Leonardo da Vinci, Archimedes in der Badewanne und einem guten Schuss Ironie.

Kreativität – ein Wort, das nach Bastelkurs, Malpinsel und Improtheater klingt. Der eine zuckt zusammen, weil er dabei an esoterische Malkurse in der Volkshochschule denkt; der andere, weil er weiß: Spätestens bei der Weihnachtsfeier wird man wieder gezwungen, „kreativ“ zu sein – ob beim Wichteln oder beim Reimen auf den Chef.

Und doch: Kaum etwas unterscheidet den Menschen so sehr von den anderen Geschöpfen, die hier so herumkriechen, fliegen und schnurren, wie diese unverschämte Fähigkeit, sich Dinge auszudenken, die es vorher nicht gab.

Eine Kuh weidet friedlich und kaut. Sie wird das auch morgen tun. Sie wird es auch übermorgen tun. Kein Rind träumt je von einer Wurstfabrik oder gar einem vegetarischen Kochbuch. Der Mensch hingegen – er schaut in die Wolken und erfindet die Götter. Er schlägt zwei Steine zusammen und findet das Steinmesser. Er haut sich mit dem Hammer auf den Finger und erfindet das Pflaster.

Kreativität ist die ziemliche Unverschämtheit des Homo sapiens.

Vom Beamten und der Muse

Schon das Wort „kreativ“ bringt manche zum Schmunzeln, besonders, wenn es aus dem Mund eines Staatsdieners kommt. Beamte – so das Klischee – sind jene Menschen, die ihre Schuhe nach Paragrafen binden und das Frühstücksei nur essen, wenn es auf Formular C-17 ordnungsgemäß beantragt wurde.

Aber vielleicht ist es gerade die trockene Welt des Vorgedachten, die den Hunger nach dem Ungedachten nährt. Wer sein Leben mit Formularen verbringt, weiß die befreiende Kraft einer schrillen Idee besonders zu schätzen. Kreativität ist schließlich auch die Kunst, im Verwaltungsapparat einen Witz zu platzieren, ohne dass sofort eine Dienstaufsichtsbeschwerde folgt. – Ich muss es wissen, ich war Beamter!

Wörterbuchweisheiten

Der Duden, dieses Gralshüterchen der Sprache, erklärt Kreativität schlicht als „schöpferische Kraft“. Das klingt fast biblisch. Tatsächlich beginnt die Bibel ja mit einem grandiosen kreativen Akt: „Es werde Licht!“ – und zack, war das Weltall beleuchtet. (Ob der Schöpfer damit gegen die Energiesparverordnung verstoßen hat, bleibt ungeklärt.)

Kreation, Kreatur, Kreativität – eine Wortfamilie wie eine WG: Die Kreation hängt Designerstücke an die Wand, die Kreatur lümmelt auf dem Sofa und die Kreativität sorgt für das Chaos in der Küche.

Und dann wären da noch die Kreationisten: Menschen, die glauben, der Kosmos sei das Ergebnis eines Sieben-Tage-Projekts mit strenger Deadline. Gott als Projektleiter im Himmel.

Ohne Kreativität: Stillstand

Doch jenseits aller Glaubensfragen bleibt eine nüchterne Wahrheit: Ohne schöpferische Kraft, ohne den Funken des Neuen, gäbe es keinen Fortschritt. Ohne Kreativität stünde die Menschheit noch immer ratlos am Lagerfeuer, würde sich mit Grunzlauten verständigen und auf den Meteoriten warten, der den Fortschritt erledigt. Kreativität ist das Lebensprinzip, der Motor.

„Am Anfang war die Kreativität“, müsste es eigentlich heißen – und nicht „das Wort“. Denn Worte alleine bewegen gar nichts. Erst wenn sie mit einer Idee verkuppelt werden, kann aus Sprache Handlung werden – und aus Handlung eine neue Welt.

Sprache: Die erste große App-Erfindung

Dann kam die Sprache. Eine Revolution, die bis heute wirkt. Statt nur zu gestikulieren, konnte man jetzt sagen, was man wollte: „Gib mir den Stein da!“ oder „Lass die Finger von meiner Frau!“ – Kommunikation erleichtert das Miteinander. Sprache ist die „App“, die unser Gehirn ins Rennen brachte. Ohne sie keine Mythen, keine Rezepte, keine Beleidigungen – und keine Essays über Kreativität.

Vom Lagerfeuer zur Hochkultur

Als die ersten Hochkulturen in Mesopotamien und Ägypten entstanden, war die Kreativität längst zum Prinzip des Überlebens geworden. Die Erfindung der Schrift machte Schluss mit dem „Stille-Post“-Effekt und eröffnete der Menschheit eine ganz neue Karriere als Notizblockbesitzer. – Mit der Wissenschaft kam schließlich die zweite Evolutionsgeschichte: die geistige. Während sich Gene langsam verteilten, flogen Ideen von Kopf zu Kopf – schneller, billiger und ohne biologische Grenzen.

Renaissance: Kreativität im Doppelpack

Ein großer Kreativitätsschub kam mit der Renaissance. Ausgerechnet die Pest, die halb Europa entvölkerte, wirkte wie ein Brandbeschleuniger. Denn wenn selbst der liebe Gott keine rettende Hand ausstreckt, muss man eben selbst das Denken übernehmen. Entscheidend war, dass Künstler wie Filippo Brunelleschi oder Leonardo da Vinci erstmals systematisch Beobachtung, Mathematik und Technik verbanden – und damit den Sprung von Fantasie zu überprüfbarer Kreativität wagten.

Plötzlich malte man Perspektiven, baute Kathedralen, erfand den Buchdruck und blickte durch Teleskope in die Sterne. Der Mensch entdeckte, dass er mehr konnte, als nur fromm zu beten. Er konnte gestalten, forschen, bauen. Kurz: Er konnte Schöpfer spielen.

Am Anfang war die Idee – und dann der Rest

Es gibt ein hübsches Gedankenspiel: Stellen wir uns vor, die Welt wäre ohne kreativen Funken entstanden. Alles bliebe, wie es ist, nichts veränderte sich. Eine ziemlich öde Sache. Kein Rad, keine Oper, kein Internet.

Das Leben selbst zeigt, dass Kreativität nicht nur eine Eigenschaft des Menschen ist, sondern das Prinzip der Existenz. Natur nennt man das in seriösen Lehrbüchern, aber im Kern ist es nichts anderes als ewiges Erfinden: Die Zelle denkt sich Mitochondrien aus, das Meer bringt Quallen hervor, und irgendwann kommt der Mensch und baut ein iPhone.

Stillstand hingegen bedeutet Tod. Wer aufhört, Neues zu schaffen, hat schon verloren – ob als Individuum oder als Gesellschaft.

Kreativität als kleine Schwester der Fantasie

Kreativität beginnt nicht mit dem Hammer, sondern mit der Idee. Erst kommt das Bild im Kopf, dann das Wort, dann die Tat. Die Fantasie ist ihre große Schwester – sie malt aus, was sein könnte. Der Unterschied ist nur: Fantasie bleibt oft im Kopf, Kreativität setzt sie in Gang. Die Fantasie träumt von Fliegen, die Kreativität baut ein Flugzeug. Die Fantasie malt bunte Sterne, die Kreativität klebt sie ins Kinderzimmer.

Und wenn Fantasie und Kreativität einmal richtig zusammenspielen, entstehen Kunstwerke, Wissenschaften, Weltbilder – und gelegentlich auch ziemlich schräge Fernsehshows.

Die Angst vor dem Unberechenbaren

Die Gesellschaft, so heißt es, hat eine eigentümliche Furcht vor dem Kreativen. Es ist unberechenbar, nicht normierbar, nicht in Tabellen zu pressen. Kreativität ist wie ein Kind – man weiß nie, was als Nächstes kommt. Daher neigen wir dazu, sie einzusperren. Ein paar Künstler dürfen sich austoben – die kriegen einen Freibrief, man nennt sie „Genies“. Aber der Rest soll bitte brav, rational, prognostizierbar bleiben. Das ist bequem, aber es macht die Welt langweilig. Denn das wirklich Neue war immer erst einmal chaotisch, schräg, unverständlich. Kopernikus, Darwin, Einstein – allesamt Unruhestifter. Erst wurden sie belächelt oder bekämpft, später als Helden gefeiert.

Erziehung: Wie man Kreativität abtrainiert

Wir kommen mit Potenzial auf die Welt – Kinder sind von Natur aus kleine Kreativlabore. Sie stellen Fragen, die kein Erwachsener mehr zu stellen wagt und bauen Raketen aus Schuhkartons. Dann kommt die Erziehung. Sie lehrt uns, brav zu sitzen, Linien nicht zu übermalen, Prognosen einzuhalten. Aus dem wilden Skizzenbuchkind wird der normierte Erwachsene, der beim Wort „Kreativ-Workshop“ an Flucht denkt.

Und so vergessen viele, dass sie selbst schöpferische Wesen sind. Wer Glück hat, trifft irgendwann Menschen, die ihn wieder daran erinnern – Lehrer, Freunde, Partner. Menschen, die uns nicht nur so ansehen, wie wir sind, sondern wie wir sein könnten.

Kleine Irrtümer über Kreativität

Ein häufiger Irrtum: Kreativität wird mit Genialität verwechselt. „Ich bin doch kein Mozart“, sagt der eine, und schon legt er die Hände wieder in den Schoß. Dabei hat Kreativität viele Formen: Sie steckt im Tüftler, der einen tropffreien Wasserhahn baut, genauso wie im Komponisten, der eine Symphonie schreibt.

Manchmal genügt es schon, den Alltag einmal anders zu gestalten. Wer statt Pizza einmal Sushi ausprobiert, bricht mit Gewohnheiten – auch das ist ein kreativer Akt. Ob der Magen mitspielt, ist dann eine andere Frage.

Kreativität im Schraubstock der Gesellschaft

So sehr wir alle vom Neuen profitieren, so wenig willkommen ist es im Alltag. In Schulen sind die Lehrer erwünscht, die den Lehrplan abhaken, nicht die, die ihn umwerfen. In Unternehmen liebt man die, die Tabellen ausfüllen, nicht die, die Fragen stellen. Kreativität gilt schnell als Störung des Betriebsfriedens – und Störenfriede mag man nicht, außer vielleicht in Kabaretts.

95 Prozent aller Wissenschaftler, so sagen manche, seien keine echten Entdecker. Sie spielten nur mit vorhandenem Wissen herum, überprüften Hypothesen, wiederholten Versuche. Bürokraten im weißen Kittel. Und das Schicksal des wirklich Neuen? Es muss sich durchbeißen, gegen Skepsis, Spott und Budgetkürzungen. Das bedeutet nicht, dass Wissenschaft nutzlos wäre – aber sie zeigt, wie schwer sich die Gesellschaft mit Kreativität tut. Neues passt eben selten in alte Schubladen.

Hier liegt ein hübsches Paradox: Alle wünschen sich Fortschritt. Nur bitte ohne Veränderung. Das ist, als wollte man abnehmen, ohne weniger zu essen. Oder reich werden, ohne zu arbeiten. Darum liebt man es, das Kreative auf wenige Auserwählte abzuschieben. „Künstler“, „Genies“, „Erfinder“. Der Rest soll bitte weitermachen wie immer. Doch ab und an bricht sich die Kreativität Bahn, wie ein Fluss, der sich sein Bett sucht.

Die Natur als gnadenlose Erinnerungshilfe

Manchmal bringt uns die Natur höchstselbst bei, was Kreativität bedeutet. Denken wir an Katastrophen wie Fukushima oder Tsunamis: Sie zeigen gnadenlos, dass alte Gewissheiten von heute auf morgen zerbrechen können. Und plötzlich beginnen selbst hartgesottene Konservative von erneuerbaren Energien zu schwärmen.

Das mag zynisch klingen, aber es zeigt: Wenn die Menschen ihre Kreativität vergessen, erinnert sie die Welt daran – notfalls schmerzhaft.

Das unterdrückte Genie im Alltag

Jeder kennt dieses Gefühl: Da schlummert noch etwas in mir, ein unterdrückter Teil, der sich zeigen möchte. Viele Menschen spüren das. Manche setzen sich durch und werden gefeiert, ihre Namen stehen in Geschichtsbüchern. Die meisten aber lassen das innere Feuer still in sich glimmen. Dabei bräuchte die Welt nicht nur ein paar Leuchttürme, sondern viele kleine Laternen. Kreativität ist kein Luxus, sondern eine alltägliche Notwendigkeit. Wer einen Nachbarn überrascht, ein Abendessen neu erfindet, ein Problem löst, das andere gar nicht sahen – der übt sie bereits.

Was es dafür braucht, ist Freiheit. Die Freiheit, sich irren zu dürfen. Die Freiheit, Neues zu probieren, ohne gleich als Spinner zu gelten. Deutschland, das Land der Versicherungen, ist darin leider nicht Weltmeister. Aber ohne Freiheit bleibt Kreativität im Keim stecken. – Es ist nicht entscheidend, ob jemand das nächste Flugzeug oder nur eine bessere Einkaufszettel-App erfindet. Entscheidend ist, dass er überhaupt etwas Neues wagt.

Leonardo da Vinci: Der Inbegriff des schöpferischen Menschen

Wenn man über Kreativität spricht, kommt man an einem Namen nicht vorbei: Leonardo da Vinci. Der Mann war ein wandelndes Ideenfeuerwerk. Maler, Bildhauer, Ingenieur, Naturforscher, Anatom, Visionär. Einer, der sowohl die „Mona Lisa“ lächeln ließ als auch Flugmaschinen zeichnete, die Jahrhunderte später erst fliegen konnten. Leonardo verkörpert, was kreative Menschen ausmacht: Er war neugierig wie ein Kind, zweifelnd wie ein Philosoph und mutig wie ein Erfinder.

Die sieben Prinzipien des Leonardo

Ein amerikanische Autor hat versucht, dieses Geheimnis zu entschlüsseln – und kam auf „sieben Leonardo-Prinzipien“. Man könnte sie auch als Gebrauchsanweisung für das kreative Leben lesen:

  • Curiosità – die unstillbare Neugier, der Hunger nach Wissen. Wer nicht fragt, erfährt nichts.
  • Dimostrazione – das ständige Prüfen, das Lernen aus Fehlern. Wer sich nie irrt, hat nie etwas Neues versucht.
  • Sensazione – das Schärfen der Sinne. Wer nicht richtig sieht, hört, riecht, verpasst die Hälfte der Welt.
  • Sfumato – die Bereitschaft, das Ungewisse zu akzeptieren. Wer nur Sicherheiten liebt, findet keine Überraschungen.
  • Arte e Scienza – das Gleichgewicht von Kunst und Wissenschaft, Logik und Fantasie. Das eine ohne das andere ist lahm.
  • Corporalità – die Balance von Körper und Geist. Ein müder Körper inspiriert selten zu genialen Gedanken.
  • Connessione – das Erkennen der Zusammenhänge. Alles hängt mit allem zusammen – manchmal sogar Finanzämter mit Philosophie.

Natürlich, wir sind nicht alle Leonardos. Wir müssen auch nicht alle Universalgenies sein. Aber jeder kann sich eine Scheibe abschneiden. Schon ein wenig mehr Curiosità, ein Hauch mehr Sfumato – und der Alltag sieht bunter aus. Die Prinzipien zeigen: Kreativität fällt nicht vom Himmel. Sie ist kein Geistesblitz in einer Sekunde. Sie ist eine Haltung, eine Art zu leben, eine Bereitschaft, sich einzulassen.

Der deutsche Sonderweg: Versicherung statt Risiko

Nur leider, Hand aufs Herz: Das Risiko ist nicht die Lieblingstugend des Deutschen. Hierzulande erfindet man lieber eine Versicherung gegen alles, statt einfach einmal ins Ungewisse zu springen. Es gibt bestimmt schon Tarife gegen die Gefahren „spontaner Einfälle“.

Aber ohne Mut, ohne Risiko, ohne das Aushalten von Unsicherheit geht es nicht. Wer immer nur das Bewährte wiederholt, der sichert zwar das Gestern ab – aber blockiert das Morgen.

Man darf nicht glauben, Kreativität sei eine Art Zauberei. Meist ist sie das Resultat von Neugier, Ausdauer und einer Menge gedanklicher Arbeit. Geistesblitze sind oft nur die Belohnung für stures Grübeln. Aber es ist eine Arbeit, die Freude macht. Denn das Neue zu entdecken, ist eine Form des Glücks. 

Wissen als Netz – und Kreativität als Umknoten

Stellen wir uns unser Wissen einmal als riesiges Netz aus Fäden vor. Jeder Faden ein Fakt, jeder Knoten eine Verknüpfung. Neue Informationen sind kleine Widerhaken, die sich irgendwo im Netz einhaken. Je dichter das Netz, desto leichter bleibt Neues hängen. Kreativität ist nun die Kunst, diese Fäden neu zu knüpfen. Nicht immer geradeaus, sondern querbeet. Wer einmal Gelerntes stumpf wiederkäut, ist ein Lexikon auf zwei Beinen – aber kein kreativer Kopf.

Beeindruckend sind jene, die ihr Wissen kombinieren, neu verknüpfen, umsortieren. Die den Mut haben, Altes anders zusammenzusetzen. So entstehen neue Ideen. Man muss nicht gleich das nächste Weltwunder erschaffen. Schon kleine Abweichungen vom Gewohnten können kreativ sein: Ein Abendessen anders kochen als sonst. Einen Spazierweg nehmen, den man sonst nie geht. Dem Partner einen völlig unerwarteten Satz sagen – „Ich mach heute den Abwasch“ etwa.

So simpel das klingt, es verändert den Blick auf die Welt. Kreativität ist keine elitäre Übung, sondern eine Haltung. Sie macht das Leben leichter, bunter, freudiger.

Fließbandarbeit und andere Kreativitätskiller

Natürlich gibt es Orte, an denen Kreativität schwer gedeihen kann. Fließbandarbeit zum Beispiel – dort ist die größte Innovation oft, sich beim Schrauben einen neuen Rhythmus auszudenken. Kein Wunder, dass solche Arbeiten selten Sinn stiften.

Kreativität dagegen ist eine der größten Sinnquellen. Sie lässt uns aufblühen, sie macht uns lebendig. Darum fühlen wir uns so gut, wenn wir einmal aus dem Trott ausbrechen – selbst wenn es nur ein kleiner Schritt ist.

Entspannung als Türöffner

Eine wichtige Bedingung für Kreativität ist Entspannung. Wer verkrampft, denkt nicht frei. Darum kommen uns die besten Ideen im Halbschlaf, in der Badewanne oder morgens kurz vor dem Aufstehen.

Mozarts Musik kann entspannen, Yoga ebenso, Spaziergänge im Park ebenfalls. Jeder hat seine eigene Technik, das Korsett der Alltagsspannung zu lockern. Michelangelo meinte, seine Skulpturen seien bereits im Stein vorhanden – er müsse ja nur wegschlagen, was nicht zur Figur gehört. Vielleicht gilt das auch für unsere Ideen: Sie sind schon da, wir müssen nur das Überflüssige beiseite räumen.

Heureka! – das Glück des Entdeckens

Manche Ideen sind so naheliegend, dass man sie fast übersieht. Archimedes entdeckte das spezifische Gewicht in der Badewanne – und rannte vor lauter Freude nackt auf die Straße und rief Heureka!“ Vielleicht war er der erste Mensch, der die Euphorie der Entdeckung so offen zeigte. Und seitdem gilt: Wer kreativ ist, hat Momente des Rausches – ganz ohne Drogen. Kreativität hat etwas mit diesem plötzlichen Wiedererkennen zu tun: „Es war doch die ganze Zeit da!“

Darum ist Kreativität oft auch Erinnerung. Sie führt uns näher zu uns selbst, erinnert uns daran, welche Möglichkeiten wir haben, was wir eigentlich sein könnten.

Inspiration: Der Funke von außen

Manchmal ist Kreativität nicht das einsame Genie im stillen Kämmerlein, sondern der Funke, den andere in uns entfachen. Ein Lehrer, der nicht nur prüft, sondern begeistert. Ein Kollege, der statt Kritik zu üben auch einmal lobt. Ein Partner, der den anderen nicht nur so sieht, wie er ist, sondern wie er sein könnte. Das sind die Menschen, die Kreativität hervorlocken. Denn nichts blockiert das Neue so sehr wie vorschnelle Urteile. Wer gleich abwinkt – „Ach, das ist doch Quatsch!“ – zerstört den zarten Keim. Kreativität braucht Schutz, manchmal sogar Fürsorge.

In einer kreativen Umgebung wächst auch die eigene Kreativität. Wer ständig mit Ideenmenschen zusammenarbeitet, beginnt selbst, querzudenken. Darum sprießen in Cafés von Universitätsstädten oft mehr Gedanken als in den Sitzungssälen mancher Ministerien.

Das bedeutet: Wir können nicht nur unsere eigene Kreativität pflegen, sondern auch die anderer. Indem wir zuhören, ermutigen, mitspielen. Kreativität ist nicht nur ein persönlicher Gewinn – sie ist auch ein kollektiver.

Der Unterschied zwischen reden und tun

Kennen Sie auch diese Leute, die seit Jahren „an einem Buch schreiben“, das aber nie erscheint? Die ständig von ihrer „großen Idee“ reden, die sie „bald“ umsetzen wollen? –  Kreativität, die nie aus den Startlöchern kommt.

Ideen allein machen keinen Unterschied. Erst die Tat verwandelt sie in Wirklichkeit. Kreativität ist nicht nur das Denken, sondern das Machen. Oder, wie Marie von Ebner-Eschenbach schrieb: „Für das Können gibt es nur einen überzeugenden Beweis: das Tun.“

Tagträumen als Technik

Albert Einstein war überzeugt, dass man kreative Gedanken fördern kann, indem man Fantasie bewusst fließen lässt. Heute nennt man das „Image-Streaming“ oder schlicht Tagträumen. Man schließt die Augen, lässt Bilder entstehen, beschreibt sie mit allen Sinnen – wie sie aussehen, riechen, klingen. So entstehen neue Verbindungen im Kopf, neue Ideen, neue Muster. Und – so merkwürdig das klingt – Das Tagträumen gelingt am besten, wenn man von Langeweile befallen ist. Das wirkt trivial, aber es ist eine Technik, die Maler, Schriftsteller, Erfinder seit Jahrhunderten nutzen. Manchmal ist der Traum der erste Schritt in die Verwirklichung.

Am Ende ist Kreativität eine Form der Erinnerung. Sie zeigt uns unseren Möglichkeitsraum. Darum fühlen wir uns in kreativen Momenten so lebendig: Wir kommen uns selbst näher. Wir sind mehr als Funktionsträger, mehr als Rollen. Wir sind Schöpfer – auf unsere ganz kleine, menschliche Art.

Ohne Neues kein Morgen

Die Zukunft hängt an der Kreativität. Es ist nicht die konservierte Vergangenheit, die uns weiterbringt, sondern der Mut zum Neuen. Jede große Veränderung der Menschheit begann mit einem Gedanken, der zunächst belächelt oder bekämpft wurde: das Rad, das Feuer, die Schrift, die Dampfmaschine, die Elektrizität, das Internet – alles waren einst Spinnereien. Heute sind sie selbstverständlich. Und morgen wird uns das Neue, das heute noch lächerlich wirkt, ebenso vertraut erscheinen. Wir leben in einer Welt voller Krisen: Klimawandel, Ressourcenknappheit, gesellschaftliche Spannungen. Das macht Kreativität nicht zum bloßen Luxus, sondern zur Überlebensfrage. Vergisst der Mensch, schöpferisch zu sein, zwingt ihn die Wirklichkeit zurück dazu. Notfalls mit Katastrophen.

Aber jenseits aller großen Weltfragen: Kreativität ist vor allem eine Quelle von Freude. Wer etwas Neues erschafft – sei es ein Bild, ein Gedicht, ein Kuchenrezept oder eine pfiffige Lösung für ein Alltagsproblem – spürt Lebendigkeit.

Kreativität gibt uns das Gefühl, einen Unterschied zu machen. Nicht nur zu wiederholen, was schon da ist, sondern etwas Eigenes hinzuzufügen. Das macht uns zufrieden.

Der letzte Appell

Darum gilt: Jeder Mensch ist kreativ. Die einen bauen Kathedralen, die anderen schreiben Einkaufszettel in Gedichtform. Wichtig ist nicht die Größe des Werkes, sondern dass es überhaupt entsteht. Kreativität bedeutet, der Welt ein kleines Stück Neues zu schenken: ein Gedicht, einen Gedanken, ein Lied. 

Kreativität ist das eigentliche Lebensprinzip. Sie ist das Lachen des Geistes, der Mut zum Risiko, die Lust am Unerwarteten. Darum: Seien Sie kreativ – heute, morgen, jeden Tag. Es kostet nichts und bringt alles.


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