Kunst kommt von Katalog

Eine satirisch-kritische Begleitung der Schwabacher Biennale „Ortung 14“

Kunst kommt von KatalogAutor: Kurt O. Wörl

Kunst kommt von Katalog – Schwabach glänzt, aktuell leider nicht vor purer Schönheit, sondern vor Sprühfarbe: Alle zwei Jahre verwandelt „Ortung“ die Stadt in eine Art Wertstoffhof mit Goldrand. Und während Meister wie Michelangelo und Gustav Klimt die Kunst am Können maßen, stapelt man heute goldlackierte Autowracks, kippt roten Sand in Säle, lässt es erst nach Marzipan, dann nach Blausäure duften – und nennt das Diskurs. Gegenwartskunst, die sich nicht zeigt, sondern erklärt werden will. Wer wissen will, wie Gold so schnell blind wird, bekommt hier eine kleine Ortskunde im Zeichen des Glanzes ohne Gehalt.

Schwabach im Goldrausch

Alle zwei Jahre verwandelt sich unsere Goldschlägerstadt Schwabach in ein Gesamtkunstwerk – oder nüchterner gesagt, in einen Wertstoffhof mit Goldrand. Denn wenn die Biennale „Ortung“ ruft, dann wird aus Abstellkammern ein „Kunstraum“, aus Lost Places „Experimentallabore“ und aus jedem Misthaufen ein „Diskurs“.

Das diesjährige Motto „Im Zeichen des Goldes“ ist eine Steilvorlage. Ein Geschenk für jeden Künstler mit Baumarktanschluss: einmal Sprühfarbe für 7,99 Euro und schon erstrahlen verbeulte Rostlauben als gesellschaftskritisches Mahnmal. Früher hätte man bei solcher Ablagerung am Marktplatz einen Bußgeldbescheid vom Ordnungsamt kassiert – heute gibt’s im schlimmsten Fall einen Kunstpreis.

Und die Stadt verkündet stolz, „Ortung“ sei nicht nur ein regionales Ereignis, sondern ein „national anerkanntes Kunstevent“. Nun ja. Auch die Currywurst ist national anerkannt – da weiß man wenigstens, dass noch Ketchup drauf muss.

Die Mondlandschaft in der Galerie

Besonders preiswürdig fand die Journaille diesmal die „Mondlandschaft“ von Gabrielle Chardigny. Eineinhalb Tonnen roten Sand hat sie in der Städtischen Galerie verteilt – in Handarbeit, betont die Presse, damit der Fleiß auch gewürdigt wird. „Kunstpreisverdächtig!“ Mag sein, aber Garten- und Landschaftsbauer verteilen das Hundertfache davon, und die bekommen höchstens einen Kaffee vom Bauherrn – oder in Franken, a Seidla Bier.

Dazu noch vier Glaskuppeln mit Pflänzchen drunter, und fertig ist die „Utopie im Angesicht des Raubbaus“. Der Clou: Es riecht nach Mandeln. Anfangs denkt man an Kuchen oder Marzipan, dann soll man – bitte mit Katalogtext! – begreifen, dass das ein Hinweis auf Blausäure ist. – Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich in einer Ausstellung an Kuchen denke, gehe ich raus und hole mir ein Stück beim Bäcker. – Und wenn ich an Blausäure denke, gehe ich noch schneller raus.

Die Künstlerin erklärt dazu: „Das eigentliche Gold ist nicht das Metall, sondern die Hoffnung.“ Ach was? Das klingt edel. Hat nur einen Nachteil: Hoffnung lässt sich nicht einschmelzen und bei eBay versteigern.

Schrottkübel im Goldmantel

Noch „beliebter“ beim Publikum: die goldbesprühten Schrottautos, kunstvoll am Königsplatz aufeinandergestapelt. In Schwabach nennt man so etwas „Kunst“. Manche Betrachter schütteln den Kopf, andere sagen: „Das hätte ich auch gekonnt.“ Und genau da liegt der Hund begraben: Kunst kommt heute nicht mehr von Können, sondern von „Katalogtext“.

Ohne erklärendes Begleitheft denkt der Besucher: „Hier hat der Bauhof was vergessen wegzuräumen.“ Mit Katalogtext hingegen: „Aha, wie raffiniert – eine dekonstruktive Parabel auf die Brüchigkeit kapitalistischer Mobilitätsfetische.“

Und während Akademiker andächtig nicken, kommt ein fünfjähriges Kind vorbei, zeigt begeistert auf die goldenen Autos und fragt: „Papa, darf ich das auch anmalen?“ – Antwort: „Nein, das kostet uns den städtischen Steuersäckel.“

Der Goldesel in der Kirche

Ein echtes Highlight ist der „Goldesel“ in der Stadtkirche. Früher sprach man von der Kanzel, heute stehen hier Tiere aus Rindenmulch, die auf glänzende Goldflächen pinkeln. Zumindest sieht es so aus. – Und wenn man lange genug hinschaut, denkt man: „ach, das ist bestimmt eine tiefere Allegorie auf die Vergänglichkeit.“ Wenn man noch länger hinschaut, denkt man: „naja, vielleicht wollte da einfach jemand zeigen, dass Kunst auch mal Pipi machen darf.“

Das Schöne daran: Die Religion ist endlich wieder dort, wo sie zu alttestamentarischen Zeiten schon einmal war – bei den goldenen Kälbern. Nur diesmal halt in Eselform.

Flachs zu Gold

Weiter geht’s in die alte Mälzerei. Dort hängen 300 Fäden aus Flachs von der Decke, handbearbeitet von zwei slowenischen Künstlerinnen. Je nach Sonnenstand schimmern sie golden. Ein schöner Anblick, zweifellos. Aber wenn Sie mich fragen: Das haben wir daheim im Garten auch, wenn die Wäscheleine frisch aufspannt ist und die Abendsonne draufscheint.

Nur der Unterschied ist: Unsere Wäscheleine hängt da, um Hemden zu tragen. Die Flachsfäden hängen da, um „die Transformation von bäuerlichem Rohstoff in auratische Kostbarkeit“ zu symbolisieren. Dafür gibt’s heute Kunstpreise. Bei uns gibt’s höchstens Mottenkugeln.

Die Klanginstallation mit den Schalen

Noch spannender wird es mit der Installation der vielen hängenden Schalen, die sich bei genauerem Hinschauen als Lautsprecher entpuppen. Man tritt ein, sieht dutzende dieser Klanggefäße, die von der Decke baumeln, mit Schnüren und Kabeln verbunden – und denkt sofort: „Ach, die Feuerwehr hat nach dem Wasserschaden die Tropfschalen vergessen wegzuräumen.“ Doch weit gefehlt! Das ist natürlich Kunst: „Liquid Echos“. Jeder Klang, jedes Pendeln soll eine Reflexion über Maß, Rhythmus und das „Goldene Verhältnis“ hervorrufen – was immer das auch sein mag. Ich kenne nur den Goldenen Schnitt.

„Du bist wertvoll“

Besonders rührend: der Beitrag von Bruno Maria Bradt in der Stadtkirche. Zwölf Männer und Frauen der Heilsarmee hat er porträtiert, die Bilder stehen im Altarraum. Titel: „Du bist wertvoll“.

Ein schönes Motto. Allerdings fragt man sich, warum die zwölf Dargestellten gleich als zwölf Apostel bezeichnet werden. Vielleicht, weil das Budget nicht für 13 gereicht hat? Oder weil man ohne Bibelzitat in der Kirche nicht ausstellen darf oder keinen Förderantrag durchbekommt?

Die Frage, die im Raum steht, bleibt: Wer hört diesen Menschen eigentlich zu? Während der Biennale immerhin die Besucher. Danach vermutlich wieder niemand. Auch das ist Kunst: Aufmerksamkeit auf Zeit. – Ich will gerecht sein. Die Figuren des Monumentalkünstlers sind durchaus sehenswert, weil von Können getragen. Auch wenn sich der Sinn schwer erkennen lässt und ich die Steckdose zu „Du bist wertvoll“ nicht finde. – Das liegt sicher nur an meinem Kunstverständnis, das nach Schönheit lechzt.

Schwabach im Goldfieber

Nach ein paar Stunden Kunstparcours ist man erschöpft – weniger körperlich, mehr geistig. Denn irgendwann verschwimmen die Eindrücke: roter Sand hier, goldbemalte, metallische Trümmer in Hight-Art-Manier dort, Fäden von der Decke, ein Esel in der Kirche. Man hat das Gefühl, durch eine Mischung aus Trödelmarkt, Baustelle und Märchenbuch gelaufen zu sein.

Und genau das macht „Ortung“ so besonders: Jeder geht raus und hat etwas völlig anderes gesehen. Die einen schwärmen vom „gesellschaftskritischen Diskurs über Ressourcenverknappung“. Die anderen vom „Duft nach Marzipan“. Und wieder andere meinen kopfschüttelnd: „so ein dilettantischer Unfug.“

Kunst kommt von Katalog

Das eigentliche Geheimnis der Biennale liegt nicht in den Werken selbst, sondern in den Begleittexten. Ohne die Texte stünde das Meiste unter der Frage  „Ist das Kunst oder kann das weg?“. Mit den Texten aber wird es zum „künstlerischen Diskurs“.

Da heißt es dann:

  • „Die goldene Oberfläche thematisiert die Brüchigkeit bürgerlicher Fassaden.“ – Übersetzt: „Da hat einer  Autos angesprüht.“
  • Oder: „Die Klangschalen hinterfragen den Rhythmus urbaner Lebensformen.“ – Übersetzt: „Da tropft was.“
  • Oder: „Die Installation verweist auf die toxische Ambivalenz des Rohstoffabbaus.“ – Übersetzt: „Es riecht nach Blausäure, aber wir stellen es trotzdem in die Galerie.“

Das Erstaunliche daran: Niemand traut sich zu lachen. Denn wer lacht, hat die „Kunst nicht verstanden“. Und nichts ist peinlicher, als im Feuilleton als „Kunstbanause“ abgekanzelt zu werden. Also nickt man andächtig, auch wenn man innerlich denkt: „Müll mit Goldrand.“ – Ich habe da weniger Hemmungen.

Das goldene Resümee

So wandelt der Schwabacher Bürger also 16 Tage lang durch Galerie, Königsplatz, Keller, Kirchen und Hinterhöfe, nickt bedächtig, schnuppert an Mandelduft, betrachtet goldene Eselspfützen – und denkt am Ende: „War irgendwie „interessant“, aber Kunst?“

Die Antwort ist einfach: fürs Image. „Ortung“ soll zeigen, dass man Schwabach nicht nur Goldschlägern, sondern auch Kulturschlägern kann. Und immerhin: „National anerkannt“ ist das Ganze ja schon – das nächste Ziel heißt vermutlich „UNESCO-Weltkulturerbe der Spraydose“. – Und wer weiß, vielleicht türmt man zur 15. Auflage nicht nur vergoldeten Schrott auf, sondern gleich den gesamten Bauhof. Natürlich mit Goldspray. Titel: „Im Zeichen des Steuer­zah­ler­gol­des“.

Bis dahin bleibt die Gewissheit: Kunst muss heute nicht mehr gefallen, sie muss kein Können mehr verraten, sie muss nur erklärt werden. Und wenn sie sich gar nicht erklären lässt – dann, ja dann hat man den Nerv der Zeit besonders gut getroffen. Die Sand-Orgie in der Galerie jedenfalls wird kein Kunstwerk für die Ewigkeit sein. Sie wird im Louvre keine Heimstatt finden, nicht einmal im „Neuen Museum“ in Nürnberg. Ich bedauere nur die Reinigungskräfte, die den ganzen Plunder nach den Biennale-Tagen wieder wegräumen müssen.

Kunst kommt von Können. Oder besser: kam.

Schuld sind vermutlich Joseph Buys, der einmal meinte „Jeder Mensch ist ein Künstler“ und Hanno Edelmann, ihm wurden die Worte „Kunst kommt von Künden“ in den Mund gelegt. Will heißen: Können wird inzwischen offenbar völlig überschätzt, ähnlich wie in Schulen mit Inklusionsanspruch.

Das eigentliche Problem ist ja: Wir Laien – und damit meine ich die normale Menschheit – verbinden mit Kunst etwas völlig anderes. Wir denken an Michelangelos Werke, wie etwa dem David, der so meisterhaft gemeißelt ist, dass man glaubt, der Jüngling atme gleich. Wir denken an Albrecht Dürer, der mit Pinselstrichen Bilder schuf, die man für Fotografien halten könnte, Jahrhunderte vor der Fotografie. Oder an den wahren Künstler in Sachen Gold in der Kunst: Gustav Klimt, der das Edelmetall zu einem göttlichen Rausch verarbeitete. Wer je vor Der Kuss stand, weiß, wovon ich rede. – Das war Kunst, als der Begriff noch von Können kam und man darunter die schönen Künste verstand.

Und heute? Heute stehen in Schwabach besprühte Exponate vom Schrottplatz, Sandhaufen mit Glasdeckeln und Rindentiere mit Goldpfützen. Das ist ungefähr so, als würde man der Mona Lisa mit dem Filzstift Schnurrbart und Brille malen – und es dann als „Dekonstruktion der patriarchalen Ikonografie“ verkaufen.

Das Schlimme: Wer wirklich malen, schnitzen oder bildhauen kann, wer Autodidakt ist und Talent statt Theorien hat, findet bei der „Ortung“ eher selten Platz. In der Schwabacher Galerie schon gar nicht. Der Schwabacher Künstlerbund wacht eifersüchtig über Pfründe. Wer nicht mit akademischem Stallgeruch daherkommt, bleibt außen vor. Neuaufnahmen in den elitären Kreis nur mit Pre-Casting. – Kunst muss heute nicht schön sein, aber unbedingt mit Gesellschaftskritik daherkommen.

Das sehe ich etwas anders. Bei Ausstellungen von Autodidakten fand ich bislang weitaus mehr Talent und Können als bei der Ortung. Werke von Künstlern, die vielleicht nie in Paris studiert haben, aber mit Herz und Hand erschaffen, was Menschen wirklich berührt. In Büchenbach etwa, bei der „BüKa“*, habe ich Kunst gesehen, die jederzeit mein Wohnzimmer zieren dürfte.

Ich ziehe diese ungefilterten Ausstellungen wirklich vor oder die der alten Meister in den Museen. Echte Kunst, die sich selbst erklärt. Ortungs-Kunst hingegen braucht Deutung, Erklärung. Wer hier das Wahre, Schöne und Gute sucht, wird kaum fündig. Aber er findet viel Narzissmus, Dünkel, Hybris und Schrägheit.

Zu guter Letzt

Gibt’s überhaupt nichts, womit Ortung 14 meine Anerkennung finden könnte? Doch, gibt es: Die wahren Künstler dieser Biennale sind für mich zweifellos die Graffiti-Artisten, die über das Stadtgebiet verteilt, an ausgewiesenen Flächen, ihre Werke präsentieren dürfen. Da ist viel überaus Gelungenes dabei. Ihre Kunst beweist zweifelsfrei Können.

* Hinweis: nächste BüKa am 8./9. November 2025 – Vernissage 08.11. um 13:00 Uhr.


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