Musiktheater in der Ideologiefalle

Werktreue Inszenierung statt Konzept- und Regietheater:

Noch vor 15 Jahren war ich ein begeisterter Theaterbesucher mit festem Abonnement.  Opern und vor allem Operetten, das war mein Genre, das mich begeisterte. Dann übernahmen leider ideologiegetriebene Intendanten und Regiesseure das Zepter in vielen Musentempeln und ich bemerkte, dass ich mein Abo kaum mehr nutzte. Zeit also, es zu kündigen, was ich auch tat.

Ein Phänomen, das viele langjährige Theatergänger beobachten: Opern und Operetten, einst Inbegriff musikalischer Dramatik, geraten heute zusehends in den Sog politischer Agenden und unästhetischer Reduktionen in Inszenierungen, die einst von märchenhafter Pracht, emotionaler Tiefe und klanglicher Strahlkraft lebten, verkommen oft zu Regieexperimenten mit leerem Bühnenbild und ideologischer Überformung. Mozarts Zauberflöte steht beispielhaft für diese Entwicklung – und ist längst kein Einzelfall mehr.

Der Fall Zauberflöte – ein Klassiker im Regielabor

Mozarts Zauberflöte, 1791 uraufgeführt, entstand in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche. Zusammen mit Emanuel Schikaneder, Schauspieler, Theaterleiter und Librettist, verfasste er bewusst ein volkstümliches Singspiel – mit grandiosen Arien, gesprochenen Dialogen, klaren Figuren und symbolträchtigen Bildern. Ziel war es, das einfache bürgerliche Publikum zu erreichen und ihm Tugenden wie Wahrheitssuche, Weisheit, Standhaftigkeit, Schweigsamkeit und Liebe zu vermitteln. 

Mozart und Schikaneder waren Freimaurer. Die Oper verbindet Märchenelemente mit tiefen Symbolen der Freimaurerei: Prüfungen, Lichtmetaphorik, Initiation – ein Humanismusdrama mit Witz, Pathos und Tiefe. Doch heutige Inszenierungen entfernen sich oft so weit vom Original, dass nur noch die Arien als Erkennungszeichen übrigbleiben. Statt Sarastros Tempel erscheinen leere Bühnenräume; statt Prüfungen gibt es Krankenhausbetten, Diktatorenfiguren, Nazi-Uniformen oder kafkaeske Labore. Originaltext aus dem Libretto wird gestrichen, umgedeutet oder satirisch gebrochen. Die einstige Balance zwischen Märchen, Musik und Moral weicht oft einer konzeptionellen Willkür.

Ein enttäuschter Abonnent – und seine Konsequenzen

Als langjähriger Besucher der Staatsoper Nürnberg (vormals Städtische Bühnen Nürnberg) will ich erklären, warum ich mein jahrzehntelanges Abonnement vor ca. 15 Jahren gekündigt habe: Ich kann diese sog. „modernen“ Inszenierungen einfach nicht mehr ertragen. Sie besudeln, ja zerstören jedes Werk. Das ist, als würde man Gemälde alter Meister einem zeitgenössischen Maler mit der Freiheit überlassen, es zeitgemäß zu übermalen oder Dieter Bohlen zu erlauben, das wunderbare Adagio (3. Satz) in Beethovens 9. Symphonie durch einen Pop-Song zu ersetzen. Eine wahrhaft schauderhafte Vorstellung.

Beispiel: Die Zauberflöte. Nicht nur wurde die Zauberflöte im Opernhaus Nürnberg verfremdet (Erdal-Frosch und lila Milka-Kuh als Untier, das Papageno verschreckt), auch in der Operette Die lustige Witwe herrschte in Nürnberg Tristesse – ein leerer schwarzer Raum, sechs weiße Stühle sollten die pontevedrinische Botschaft stilisieren und ein schwarzer Käfig stand als Ersatz für den Pavillon während des Vilja-Lieds. Vom ursprünglichen Esprit, der Wiener Eleganz und der melancholischen Ironie der Partitur war nichts mehr zu spüren.

Kommentare von Intendanten – mit betont „links-progressiver“ Grundhaltung – dazu in den Gazetten als Rechtfertigungsversuch: „Es geht nicht um die Optik, sondern um Musik.“  oder gar „Der Kunst zuliebe, spiele ich sogar vor leerem Haus“. Doch wenn es nur um Musik oder ums Ego von Intendant und Regisseur geht – warum sollte ich dann noch ins Theater gehen und mitfinanzieren, was ich nur entsetzlich finde? Ein Konzertmitschnitt zu Hause ist husten- und räusperfrei zu genießen, klanglich oft besser – und bewahrt wenigstens die Würde der Komposition.

Bühne ohne Bild – Kunst oder Kapitulation?

Seit den 1990er Jahren hat sich also das sogenannte „Regietheater“ – überaus ideologiegetrieben – als dominierende Inszenierungsform etabliert. Es setzt auf Brechung, Symbolersatz, Dekonstruktion und Modernismus. Bühnenbildverweigerung – etwa durch leere Räume, Projektionen oder kahle Gittergerüste – wird zum unästhetischen Statement. Da wird aus einer im Libretto vorgesehenen, dreimastigen Fregatte im Fliegenden Holländers schon mal ein schlichtes, weißes Ruderboot vor ansonsten leerer Bühne. Der Regisseur macht sich zum Ko-Autor, das Original wird zur bloßen Folie für Statements.

Der Preis dafür: Die Einheit von Text, Musik und Szene – das Herz der Oper – zerreißt. Zuschauer erkennen ihre Lieblingswerke nicht wieder, neue Besucher fühlen sich nicht abgeholt. Die Oper verliert ihr Publikum – in jedem Fall aber verlor sie mich.

Die Kraft des Originals – Volksbildung durch Kunst

Gerade die Zauberflöte war nie als elitäres Kunstwerk gedacht. Sie entstand aus dem Geist eines aufklärerischen Bürgertums, das Bildung, Ethik und Gefühl in Einklang bringen wollte. Mozart und Schikaneder schufen kein Museumsexponat, sondern ein Werk für das Volk – im besten Sinne: verständlich, tiefgründig, humorvoll, lehrreich. Die Prüfungen Taminos und Paminas, Sarastros Weisheit gegen die Rachsucht der Königin der Nacht, die schlichte Lebensfreude Papagenos – all das ist Theater mit moralischer Botschaft, lehrreich aber eben ohne Dogma.

Eine werktreue Inszenierung bedeutet hier nicht Rückwärtsgewandtheit, sondern Respekt gegenüber der ursprünglichen Absicht: den Menschen durch Kunst Anregung für eine bessere Lebensführung zu geben, vielleicht auch nur Freude zu vermitteln. Und das nicht über Provokation oder Dekonstruktion, sondern durch Veranschaulichung, Ermutigung und das Erlebnis des Schönen. Das Wahre, Schöne und Gute wird in oft dystopisch wirkenden Inszenierungen jedenfalls kaum noch spürbar. 

Musicals als Gegenmodell und warum sie gewinnen

Während Oper und Operette unter ideologischen Überlagerungen leiden, feiern Musicals Erfolge. Der König der Löwen, Das Phantom der Oper oder Tanz der Vampire u.v.a.m. bieten große Bühnenbilder, aufwändige Kostüme, klare Emotionen. Auch wenn die Gesangsqualität in Musicals oft nicht an den Opernmaßstab heranreicht – das Publikum kommt in Scharen. Denn es bekommt: Atmosphäre, Erzählung, Sinnlichkeit, Freude und ganz viel Unterhaltung, aber keine Erziehungsversuche, für die es auch noch Eintritt zahlen soll.

Was Opernhäuser verlernt haben, setzen Musicalproduktionen meisterhaft um:
Respekt vor dem Zuschauer als Erlebnis-Menschen.

Die letzte werktreue und übrigens fantastische Inszenierung – auch mit Blick auf die Besetzung – der Zauberflöte konnte ich jedenfalls 2002 mit der Züricher Inszenierung genießen. 

Hoffnungsträger – wer noch werktreu inszeniert

Es gibt sie aber noch: Häuser, die bewusst Werktreue, Musikdramaturgie und visuelle Schönheit zu vereinen wissen:

  • Volksoper Wien: Klassisch inszenierte Operetten mit feinem Humor und prallem Bühnenbild,
  • Gärtnerplatztheater München: Zauberflöte mit Märchenszenerie, Csárdásfürstin in voller Pracht,
  • Opernhaus Zürich: Wieder verstärkt werksensible Produktionen nach Jahren der Konzeptkunst,
  • Landestheater Linz, Ulm, Erfurt, Coburg, Passau: Kleinere Bühnen, gewiss, aber oft mit liebevoller Inszenierung ohne ideologischen Überbau.

Wer sich nach klassischer Opern- und Operettenerfahrung sehnt, muss also nicht völlig resignieren – muss aber gezielt wählen. – Auf ein Abonnement muss man als in Franken Lebender, wie ich, aber dann freilich verzichten.

Fazit: Konzept vs. Kunst

Die moderne Oper steht an einem Scheideweg. Der Versuch, Werke aus dem 18. und 19. Jahrhundert als Plattform für aktuelle Debatten zu nutzen, ist legitim, die Freiheit der Kunst ist von unserer Verfassung geschützt – doch sollte das Original nicht völlig verdrängt bleiben. Es geht mir dabei nicht um Nostalgie, sondern um Respekt vor einer Kunstform, die auf musikalischer Schönheit, emotionaler Tiefe und visueller Erzählkraft beruht.

Eine werktreue Inszenierung der Zauberflöte ist kein Rückschritt – sondern ein Schritt hin zu jenem aufgeklärten Theater, das Mozart und Schikaneder im Sinn hatten: „Zur Erhebung des Geistes und zur Freude des Herzens.“

Der Staat könnte hier durchaus einen wirksamen Beitrag leisten, wenn er nicht mehr bereit wäre, dauerhaft die Defizite des Konzept- und Regietheaters wegen zu geringer Besucherzahlen auszugleichen. Er könnte z.B. seine staatlichen Zuschüsse vom Erfolg und selbsterspielten Einnahmen der jeweiligen Bühne abhängig machen. Wer viele Menschen anspricht, erhält viele Zuschüsse. Wenn Häuser durch eigenes Verschulden keine eigenen Einnahmen mehr erzielen, dann wird es auch Zeit, dass sie untergehen und nicht vom Staat verlangen, dass ihre Ideologiegetriebenheit auch noch von ihm dauerhaft durchfinanziert wird.

Es gilt:

Wer das Publikum ernst nimmt, wird es nicht belehren
oder gar erziehen,
sondern berühren wollen.


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