Symbolgrafik KI-generiert
Autor: Kurt O. Wörl
Kaum ein gesellschaftliches Thema hat in den vergangenen Jahren so stark polarisiert wie die Diskussion um transidente und nicht-binäre Identitäten. Was als berechtigtes Anliegen begann – die Anerkennung und der Schutz einer gesellschaftlichen Minderheit – hat sich in vielen westlichen Gesellschaften zu einem komplexen Konfliktfeld entwickelt. Es berührt Fragen von Recht und Gerechtigkeit, von individueller Freiheit und gesellschaftlicher Ordnung, von Minderheitenschutz und Mehrheitsakzeptanz.
Im Kern stehen die Fragen:
- Wie geht ein demokratischer Rechtsstaat mit dem Anspruch um, dass das subjektiv empfundene Geschlecht gegenüber biologischer Realität und gesellschaftlich etablierten Normen Vorrang erhält?
- Kann die subjektive Selbstdefinition eines Menschen verbindliche Grundlage für staatliches Handeln, rechtliche Kategorisierung und gesellschaftliche Normsetzung sein – selbst dann, wenn sie evidenten, objektiven und naturwissenschaftlich zweifelsfreien Tatsachen widerspricht?
Selbstbestimmung und biologische Realität – ein wachsender Widerspruch
Moderne Gleichstellungsgesetze erlauben es heute in vielen Ländern, den Geschlechtseintrag allein auf Grundlage einer Selbstauskunft zu ändern. Medizinische Eingriffe oder psychologische Gutachten sind oft nicht mehr erforderlich. Diese Entwicklung folgt dem ethischen Prinzip der Selbstbestimmung. Gleichzeitig entsteht damit eine Kluft zwischen biologischer Realität und juristisch anerkannter Geschlechtsidentität. Das sogenannte Selbstbestimmungsprinzip steht dabei im Vordergrund: Wer sich als Frau fühlt, ist Frau. Wer sich als nicht-binär empfindet, darf sich rechtlich ebenso einordnen.
Was bedeutet das konkret? Eine Person kann rechtlich als Frau gelten, obwohl sie biologisch männlich ist – inklusive Genitalien, Körperbau, Hormonstatus. Der Staat bestätigt diese Identität durch Personalausweise, Passdokumente, amtliche Formulare. Diese neue Rechtslage bleibt nicht ohne Folgen. Diese Praxis steht zunehmend im Konflikt mit Bereichen, in denen das biologische Geschlecht objektive Relevanz besitzt – etwa in der Medizin, in der Kriminalistik, im Sport, in Schutzräumen oder bei sicherheitsrelevanten Maßnahmen.
Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit
Der Staat hat nicht nur die Aufgabe, Individualrechte zu schützen, sondern auch die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu garantieren. Dies kollidiert zunehmend mit der Selbstidentifikation als alleinige Rechtsgrundlage. Zwei Beispiele zeigen die Problematik: Z.B. die Flug- und Flughafensicherheit: Körperscanner sind nach Geschlechtskategorien programmiert. Wenn eine Transfrau mit männlichem Genitalbereich juristisch als Frau einreist, schlägt der Scanner Alarm – das Personal gerät in ein Dilemma: Folge ich dem Pass oder der biologischen Körpersignatur? – Reagiert das Sicherheitspersonal sachgerecht auf den Scannerbefund, droht der Vorwurf der Diskriminierung.
Im Strafvollzug stellt sich die Frage, in welchem Gefängnis eine Transfrau untergebracht wird. In mehreren Ländern kam es zu Übergriffen von biologisch männlichen Insassen auf weibliche Mithäftlinge, nachdem sie als „Frauen“ in Frauengefängnissen untergebracht worden waren. Umgekehrt besteht für transidente Personen in Männergefängnissen ein hohes Risiko selbst Opfer von Gewalt zu werden. Das Dilemma ist real, nicht theoretisch.
Brisanz dürfte das Thema“ juristisches vs. biologisches Geschlecht“ werden, sollte die im deutschen Grundgesetz festgelegte Wehrpflicht, die nur für Männer gilt, wieder aktiviert werden: Können biologische Männer, die sich als Frau registrieren lassen, sich damit auch der Wehrpflicht entziehen? Unterliegen biologische Frauen, die sich als Männer registrieren lassen, dann der Wehrpflicht?
Wenn Systeme ausgenutzt werden – Der Fall Spanien
In Spanien erhalten weibliche Rekruten beim Militär höhere Zulagen, um Frauen für den Dienst zu gewinnen. Als Folge ließen sich zahlreiche Männer – mit Familien, also mit Frau und Kindern, durchwegs männlichem Auftreten und ohne jegliche Transition – offiziell als „Frauen“ registrieren, zum Teil unter Angabe, sie lebten bewusst und gewollt als Mann, wären aber im Inneren in Wirklichkeit „lesbische Frauen“. Juristisch war dies unangreifbar. Sie konnten sich so die Zulagen für Frauen ebenfalls sichern. Moralisch und systemisch aber wurde das Ziel, Frauen für das Militär zu gewinnen, unterwandert: Es entstand eine finanzielle und nicht vorgesehene Begünstigung biologischer Männer unter dem Deckmantel der Sonderregelung für Frauen. – Abgesehen davon, dass solche geschlechtsspezifischen Zulagen mit dem Grundsatz „gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit“ keiner Weise vereinbar sind.
Schutzräume in Gefahr – Der Fall Erlangen
In Erlangen wollte sich ein biologischer Mann, der rechtlich als Frau registriert war, in einem reinen Frauen-Fitnessstudio anmelden. Die Betreiberin lehnte dies im Interesse ihrer Kundinnen – darunter auch Muslimas – ab. Kundinnen, die bewusst einen geschützten Raum für ihr Training suchten. Die Reaktion: der als Frau registrierte, abgelehnte Mann sucht die Öffentlichkeit, ein orchestriert inszenierter, medialer Shitstorm brach über die Betreiberin des Studios herein und eine Intervention der Antidiskriminierungsstelle des Bundes folgte, gleich mit politischer Parteinahme für die abgelehnte „Frau“. Statt Schutz für den geschützten Raum für Frauen wurde öffentliches Bashing gegen die Inhaberin betrieben. Das Hausrecht, das Sicherheitsbedürfnis der Kundinnen, die räumlichen Gegebenheiten – all das zählte plötzlich weniger als der öffentlich inszenierte Anspruch auf Anerkennung.
Sport: Zwischen Fairness und Fiktion
Im Spitzensport ist der Konflikt zwischen biologischer Leistungsfähigkeit und rechtlicher Geschlechtszugehörigkeit besonders sichtbar. Transfrauen, die eine männliche Pubertät durchlaufen haben, besitzen in der Regel dauerhaft physische Vorteile gegenüber biologischen Frauen: mehr Muskelmasse, größere Lungenkapazität, längere Hebel in den Extremitäten, höhere Knochendichte.
Wettbewerbe im Schwimmen, Gewichtheben oder Boxen zeigen inzwischen eine Schieflage: Transfrauen belegen vordere Plätze – biologisch weibliche Athletinnen werden deklassiert. Das führt nicht nur zu Frustration bei den unterlegenen Sportlerinnen, sondern zur Frage: Ist dies noch fairer Wettbewerb? Oder wird hier unter dem Deckmantel der Inklusion das Prinzip der Chancengleichheit aufgegeben, Hauptsache eine Minderheit fühlt sich wohl?
Auch hier mangelt es an differenzierenden Lösungen. Eine offene Klasse, separate Wettkampfgruppen oder Teilnahme nach hormonellen Kriterien wären denkbare Ansätze, die aber bislang kaum umgesetzt wurden. Stattdessen entsteht zunehmend ein Klima, in dem Kritik als transfeindlich diffamiert wird, obwohl es um Schutz bestehender Wettbewerbsstrukturen geht.
Sprachpolitik und Realität – Das Ende des Begriffs „Frau“?
Wenn jeder Mensch per Selbstauskunft zur Frau werden kann, verliert der Begriff „Frau“ seine Bedeutung als biologische, rechtliche und soziale Kategorie. Damit geraten Errungenschaften des Feminismus unter Druck, werden verhöhnt: Schutzräume, Förderprogramme, Gleichstellungsstatistiken und Quotenregelungen basieren auf der realen Erfahrung biologischer Frauen. Wenn „Frau“ nur noch ein gefühlter Zustand ist, wird weibliche Lebenserfahrung nivelliert, das Konzept „Frau“ stirbt.
Sprache selbst wird zum Schlachtfeld: Begriffe wie „gebärende Person“ oder „Menstruierende“ verdrängen „Mutter“ und „Frau“ – mit der Folge, dass viele Frauen sich entfremdet oder ausgelöscht fühlen. Das ist kein Nebenschauplatz, sondern Ausdruck eines kulturellen Umbruchs mit tiefgreifenden Folgen.
Wenn das Offensichtliche nicht gesagt werden darf – das gesellschaftliche Störgefühl
Ein weiterer Aspekt der zunehmenden Polarisierung besteht im wachsenden Unbehagen vieler Menschen darüber, dass sie das Offensichtliche – etwa das biologische Geschlecht einer Person – nicht mehr benennen dürfen, ohne juristische oder soziale Sanktionen zu riskieren. Wird etwa ein biologisch männlicher Mensch mit männlicher Erscheinung und männlicher Stimme, der rechtlich als Frau registriert ist, als „Mann“ bezeichnet, kann dies in bestimmten Kontexten bereits als „Misgendering“ gelten – mit arbeitsrechtlichen, zivilrechtlichen oder sogar strafrechtlichen Konsequenzen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Wahrnehmung und sprachlicher Erwartung erzeugt bei vielen ein Gefühl von Bevormundung oder Wahrheitsverbot. Es geht dabei nicht um Diskriminierung, sondern um die Irritation, dass gesellschaftlich eingeforderte Rücksichtnahme zunehmend zur verpflichtenden Realitätsverleugnung gemacht wird. Die Folge ist ein zunehmender Vertrauensverlust in Institutionen, die nicht mehr vermitteln, sondern vorschreiben, was gesagt werden darf.
Wer gesellschaftlichen Frieden erhalten will, muss auch das Recht auf sachliche Benennung der Realität schützen – ohne daraus Diskriminierung abzuleiten. Andernfalls entsteht eben dieses Störgefühl bei vielen Menschen, dass die Wahrheit unterdrückt und das Aussprechen derselben bestraft wird. Ein Störgefühl, das von rechtspopulistischen Kräften sehr gerne aufgefangen wird.
Die politische Gegenreaktion
In vielen westlichen Demokratien lässt sich deshalb eine erstarkende Ablehnung identitätspolitischer Überdehnung beobachten. Bürger, die sich nicht gehört und gesehen fühlen und sich unter Sprechverbot gestellt fühlen, wenden sich Parteien zu, die einfache Antworten und Lösung des Problems versprechen – vor allem solchen am rechten Rand.
Ganz aktuell in den USA: Donald Trump ließ per Dekret festlegen, dass es nur zwei Geschlechter gibt – bestimmt durch das bei Geburt festgestellte biologische Geschlecht. Dieser Schritt war rechtlich autoritär, aber politisch überaus populär, nicht nur bei republikanischen Wählern, sondern bei über 60% der Amerikaner insgesamt. Trumps Maßnahme zielte nicht nur auf Transpersonen, sondern vor allem auf das erwähnte Unbehagen vieler Menschen, deren Realitätsempfinden durch radikale Identitätspolitik delegitimiert wurde.
Der Mechanismus: Wenn eine Minderheit – trotz Schutzwürdigkeit – normative Kontrolle über Sprache, Gesetze und Institutionen beansprucht und erhält, entsteht eine Gegenbewegung, die sich als „letzter Hort der Vernunft“ inszeniert. Die Folge ist gesellschaftliche Spaltung, die weit über das Thema Geschlecht hinausreicht. – In gewisser Weise hat die Trans-Community mit der Überdehnung ihrer Ansprüche begonnen, sich den Ast, auf dem sie endlich sitzen durfte, selbst abzusägen.
Ein Mittelweg der Vernunft – Handlungsvorschläge
Mögliche Lösungen zur Konfliktvermeidung könnten sein:
- Dualer Geschlechtseintrag: Aus Ausweisen, Pässen und sicherheitsrelevanten Registern sollten digital sowohl das juristische als auch das biologische Geschlecht (letzteres mit Zugriff nur für Sicherheitsbehörden) zu entnehmen sein.
- Kontextuelle Anwendung des Selbstbestimmungsprinzips: In Schutzräumen, im Sport, bei der Kriminalitätsbekämpfung, bei der Wehrpflicht usw. muss Biologie Berücksichtigung finden dürfen.
- Recht auf respektvolle, aber realitätsnahe Kommunikation: Niemand sollte gezwungen sein, gegen seine Wahrnehmung sprechen zu müssen – sofern dies sachlich und ohne Diskriminierung erfolgt. Wenn ich meine, eine Person als Mann zu erkennen, dann darf ich meine Meinung, vor mir stünde ein Mann auch sagen, denn auch dieses Recht hat Verfassungsrang. Das heißt: Keine Strafandrohung bei biologisch- naturwissenschaftlichen und damit evidenten Aussagen: Es muss erlaubt bleiben, eine Person als biologischen Mann oder Frau zu bezeichnen, wenn dies aufgrund objektiver Wahrnehmung tatsachengestützt und ohne Schmähabsicht erfolgt.
- Stärkung des Hausrechts und der Vertragsfreiheit: Betreiberinnen von Schutzräumen (z.B. Fitness-Studio für Frauen) und Dienstleistern dürfen auf biologische Kriterien bestehen, wenn diese relevant sind.
- Schutzrechte ohne Totalitätsanspruch: Minderheitenschutz darf nicht in Sprech- oder Denkverbote für die Mehrheit umschlagen.
Epilog
Die Debatte um Geschlechtsidentität ist kein Randthema, sondern ein Stresstest für die Zukunft liberaler Demokratien. Die Balance zwischen Selbstbestimmung und Realitätswahrnehmung ist brüchig geworden. Wer glaubt, dass sich soziale Ordnung durch subjektive Selbstauskunft allein herstellen lässt und dass das Gefühlte über der faktenbasierten Realität stehen darf, verkennt die Anforderungen eines funktionierenden Gemeinwesens.
Der Schutz von Minderheiten ist elementar – aber er muss eingebettet bleiben in eine Ordnung, die auf überprüfbaren Tatsachen, fairer Abwägung und demokratischer Mehrheitsfähigkeit basiert. Andernfalls droht die Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts – nicht wegen der Existenz von Transmenschen, sondern wegen des Versuchs, Identität zum Maß aller Dinge zu machen.
Es braucht deshalb einen Weg der Vernunft: Der Mensch ist mehr als Biologie – aber Biologie ist mehr als Meinung oder nur ein Gefühl. Nur eine Ordnung, die beides achtet, wird dauerhaft tragfähig sein.