Realität ist Illusion – Wirklichkeit ganz anders

Der Sinn des Lebens ist, es zu leben, wahrzunehmen und weiterzugeben
Lesedauer ca. 15 Minuten

Realität ist Illusion - Wirklichkeit ganz andersAutor: Kurt O. Wörl

Realität ist Illusion – Wirklichkeit ganz anders. – Ist Materie wirklich das Fundament der Welt – oder nur eine Täuschung unserer Sinne? Die moderne Quantenphysik stellt das klassische Weltbild radikal infrage. Sie zeigt: Alles, was wir als „fest“ begreifen, ist in Wahrheit Beziehung, Information, Wirkung. Dieser Essay führt den Leser auf eine Reise zu den Wurzeln des Monismus – von Spinoza und Haeckel bis zu den neuesten Erkenntnissen der Quantenphysik. Eine Einladung, die Welt neu zu denken: als ein großes, sich selbst erkennendes Ganzes, in dem Geist und Materie nicht nur untrennbar verbunden sind, sondern ein zusammengehörendes Ganzes.

Was ist das, was wir Realität nennen? Ist es der feste Boden unter unseren Füßen? Die Tasse, die wir greifen? Oder ist es das Bild in unserem Kopf, das entsteht, wenn elektromagnetische Wellen von Objekten reflektiert werden und über unsere Sinnesorgane zu Signalen verarbeitet werden? Diese Fragen beschäftigen Philosophen seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden. Doch im Licht der modernen Quantenphysik erleben sie eine überraschende Renaissance – nicht als spekulative Gedankenspiele, sondern als Denkerfordernis.

Monismus 2.0

Ich nenne diesen Gedankengang „Monismus 2.0“. Der Begriff „Monismus“ beschreibt die Vorstellung, dass alles, was existiert, auf ein einziges Grundprinzip zurückzuführen ist. Kein Dualismus von Geist und Materie, keine metaphysische Trennung von Seele und Körper, sondern eine durchgängige Einheit, in der das, was wir als „Ding“ erleben, nichts anderes ist als eine Erscheinungsform von Beziehung, von Information – kurz: von Geist.

Es waren große Denker wie Baruch de Spinoza, Ernst Haeckel oder der Physiker Hans-Peter Dürr, die diesen Gedanken in ihrer Zeit formulierten und vorantrieben. Spinoza sprach im 17. Jahrhundert von der „einen Substanz“, die sich uns einmal als „ausgedehnt“ (Materie) und einmal als „denkend“ (Geist) zeigt. Für Spinoza war Gott identisch mit der Natur, was ihn zeitlebens zum Ziel inquisitorischer Angriffe machte. Doch seine Sichtweise sollte sich als visionär erweisen.

Ernst Haeckel, Biologe, Freidenker und einer der Vordenker des modernen Monismus, sprach in seinem Hauptwerk „Die Welträtsel“ vom „Urgrund“, aus dem alles Leben zur Höhe strebt, sobald die Bedingungen dafür gegeben sind. Er sah die Welt als einen kosmischen Organismus, in dem Materie und Geist keine Gegensätze, sondern zwei Perspektiven derselben Wirklichkeit sind. Haeckel wusste zu seiner Zeit noch nichts von der Quantenphysik. Doch seine Begriffe von „Energetik“ und „immateriellen Naturkräften“ zeigen, dass er intuitiv eine Ahnung von jenem tiefen Zusammenhang hatte, den die moderne Physik erst Jahrzehnte später entdecken sollte.

Lange wurde der Monismus als naive Spekulation abgetan. Doch heute – mit dem Wissen der Quantenphysik – erscheinen viele seiner Grundannahmen als zwingende Konsequenz wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Quantentheorie konfrontiert uns mit Phänomenen, die jede dualistische Sichtweise aufbrechen und ein neues Verständnis von Wirklichkeit notwendig machen.

Die Illusion der festen Welt – Realität vs. Wirkung

Betrachten wir zunächst unseren Alltag: Wir leben in einer Welt voller scheinbar fester Gegenstände. Der Tisch, an dem wir sitzen. Die Wand, an die wir uns stoßen, wenn wir unachtsam sind. Doch was passiert in Wahrheit, wenn wir den Kopf an eine Wand schlagen? Prallen da wirklich zwei feste Körper aufeinander?

Physikalisch betrachtet lautet die Antwort: Nein. Auf atomarer Ebene berühren sich keine Teilchen. Es sind die Elektronenhüllen, die sich gegenseitig abstoßen. Zwischen den Atomen herrscht ein Feld, das dafür sorgt, dass sich die Strukturen nicht durchdringen. Das, was wir als festen Stoß erleben, ist die makrokosmische Realität mikrokosmischer Wechselwirkungen. Es ist ein Phänomen der Wahrnehmung.

Realität ist also das, was wir in unserer Welt wahrnehmen. Wirklichkeit hingegen ist das, was im Mikrokosmos wirklich wirkt. Die Härte der Wand nehmen wir schmerzhaft wahr in unserem Bewusstsein. Sie ist aber nur das Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen Feldern. Denn auf der subatomaren Ebene stoßen sich nur Felder ab. Keine Materie berührt jemals wirklich eine andere Materie.

Hier beginnt die Trennung zwischen dem, was wir erleben und dem, was physikalisch tatsächlich geschieht. Wir erleben die Welt als fest, greifbar, räumlich strukturiert, weil unsere Sinne darauf angewiesen sind, feste Formen wahrzunehmen, um zu überleben. Doch unterhalb dieser Wahrnehmungsebene verbirgt sich eine Wirklichkeit, die alles andere als „fest“ ist.

Der klassische Materiebegriff wird hier entkleidet: Es bleibt keine feste Substanz, sondern ein Ereignisfeld. Wirklichkeit ist nicht das, was „ist“, sondern das, was „geschieht“.

Quanten – Wahrscheinlichkeitswolken statt fester Bausteine

Der Begriff „Quant“ ruft bei vielen Menschen die Vorstellung eines winzigen Teilchens hervor, das wie ein winziges Steinchen durchs Universum schwirrt. Doch das ist ein Irrtum, geboren aus dem Bedürfnis, sich Unsichtbares in begreifbaren Bildern vorzustellen.

Quanten sind keine Teilchen im klassischen Sinne. Sie sind Zustände, in denen sich bestimmte Eigenschaften manifestieren – Energie, Impuls, Spin. Sie sind Wahrscheinlichkeitsverteilungen, die sich erst durch Wechselwirkung mit ihrer Umgebung, etwa durch eine Messung, auf einen bestimmten Zustand „festlegen“. Solange keine Wechselwirkung stattfindet, existiert das Quant nicht als fest umrissene Einheit, sondern als „Möglichkeit“ – als eine Wolke von Wahrscheinlichkeiten.

Wenn wir ein Elektron beobachten, zwingen wir es durch den Akt der Messung dazu, sich zu entscheiden, „wo“ es sein will. Doch dieser Ort existiert nicht unabhängig von der Messung. Erst der Beobachtungsakt – in physikalischem Sinn die Messung – legt den Zustand fest, den wir als Realität interpretieren.

Diese Erkenntnis stellt das klassische Weltbild auf den Kopf. Wir sind es gewohnt zu denken, dass die Dinge „an sich“ existieren und von uns beobachtet werden. Doch in der Quantenphysik entsteht das, was wir „Ding“ nennen, erst durch Wechselwirkung. Realität ist ein Beziehungsgeschehen, keine Anhäufung fester Bausteine.

Dies bedeutet nicht, dass das menschliche Bewusstsein Quanten kollabieren lässt oder die Realität „erschafft“. Solche esoterisch überformten Interpretationen greifen zu kurz. Vielmehr geht es um das Prinzip, dass Wechselwirkungen – gleich welcher Art – Bedingungen für das Zustandekommen von Wirklichkeit schaffen. Die Erkenntnis ist: Nicht Dinge existieren an sich, sondern Beziehungen erzeugen Realität.

Die Verschränkung – die spukhafte Fernwirkung

Eines der erstaunlichsten Phänomene der Quantenphysik ist die Verschränkung. Zwei Quanten, können in einen Zustand versetzt werden, in dem sie augenblicklich miteinander verbunden bleiben – unabhängig davon, wie weit sie voneinander entfernt sind. Eine Zustandsänderung am einen Quant wirkt sich sofort auf das andere aus. Ohne Zeitverzögerung, ohne Signalübertragung.

Albert Einstein, der große Skeptiker dieser Theorie, sprach ironisch von einer „spukhaften Fernwirkung“. Er weigerte sich bis zu seinem Lebensende, dieses Phänomen als real zu akzeptieren und spöttelte „ist der Mond auch da, wenn wir nicht hinsehen?“. Doch seither wurde die Verschränkung unzählige Male experimentell bestätigt. Es ist kein Trick, keine Messungenauigkeit – es ist inzwischen ein Faktum.

Die Konsequenz dieser Verschränkung ist radikal: Information ist nicht an Raum und Zeit gebunden. Es existieren keine unabhängigen Dinge im klassischen Sinne. Die Welt besteht aus Beziehungen, aus Wechselwirkungen, aus Resonanzen.

Quanten sind aber nicht per se verschränkt. Sie müssen in diesen Zustand versetzt werden – etwa durch gemeinsame Entstehung oder gezielte Verschränkungsprozesse im Labor. Doch wenn dieser Zustand einmal hergestellt ist, bleibt die Verbindung bestehen, gleichgültig, wie weit die beiden Quanten voneinander entfernt sind.

Die klassische Vorstellung, dass Informationen sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten und dass nichts schneller sein kann als das Licht, wird durch die Quantenverschränkung fundamental infrage gestellt. Es gibt keinen Signalweg, keine Botschaft, die sich von A nach B bewegt. Die Information ist augenblicklich überall, sie ist Teil eines Beziehungsgeflechts, das sich unserem klassischen Denken entzieht. – Deshalb galt lange die Quantenphysik nicht mit Einsteins Relativitätstheorie vereinbar.

Realität ist was wir wahrnehmen – Wirkung ist was wirkt

Wir Menschen nehmen die Welt als eine Summe fester Gegenstände wahr, weil unsere Sinne darauf ausgelegt sind. Unser Tastsinn vermittelt uns die Illusion von festem Widerstand, unser Sehsinn, unser Gehirn konstruiert aus Lichtreflexionen eine dreidimensionale Welt, in der Dinge einen festen Ort einnehmen. Doch diese Wahrnehmung ist nichts anderes als ein evolutionär entstandenes Modell, das uns das Überleben in dieser Welt sichert.

Die Realität, die wir erleben, ist also nicht die Wirklichkeit an sich, sondern eine Interpretation unseres Nervensystems. Unser Gehirn filtert Informationen, komprimiert und selektiert sie, um uns ein Bild der Welt zu liefern, das praktikabel ist. Doch unterhalb dieser Sinnesoberfläche entfaltet sich eine Wirklichkeit, die sich unserem Alltagsverstand größtenteils entzieht: Eine Welt aus Wahrscheinlichkeiten, Beziehungen, Zuständen, in der feste Körper nie wirklich aufeinandertreffen.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Welt unwirklich ist. Im Gegenteil: Die Wirkung, die wir spüren, wenn wir eine Wand berühren, ist real – aber sie ist das Resultat von Wechselwirkungen auf subatomarer Ebene. Die klassische Vorstellung von Materie als starrem Fundament des Seins wird dadurch hinfällig. Materie ist, was wir wahrnehmen. Doch was wirkt, ist kein fester Baustein, sondern eine Konstellation von Zuständen, von Informationen.

Savants – Inselbegabung als Fenster ins Weltwissen?

Es gibt Menschen, die scheinbar Zugang zu einem Wissensspeicher besitzen, der über das hinausgeht, was sie je gelernt haben können. Die sogenannten Savants oder Inselbegabten verblüffen mit Leistungen, die unser herkömmliches Bild von Lernen und Wissenserwerb infrage stellen.

Ein berühmtes Beispiel ist der britische Savant Daniel Tammet. Tammet kann innerhalb von Sekunden auf zehnstellige Primzahlen zugreifen, beherrscht acht Sprachen autodidaktisch und beschreibt, dass ihm Zahlen als farbige Formen und Landschaften erscheinen. Seine mathematischen Leistungen basieren nicht auf Rechenprozessen, sondern auf einem intuitiven Erfassen von Strukturen, die er einfach sieht.

Ein anderes Beispiel: Ein Inselbegabter überfliegt Rom mit einem Hubschrauber und beginnt danach, auf einer gigantischen Leinwand das Stadtbild mit all seinen Gebäuden, Straßen, Plätzen und sogar Fensterreihen originalgetreu nachzuzeichnen – und das aus dem Gedächtnis. Kein Architekt, kein Stadtplaner könnte das.

Wie ist das möglich? Hirnforscher haben herausgefunden, dass Savants offenbar auf Bereiche des Gehirns zugreifen können, die bei den meisten Menschen durch „Filtermechanismen“ blockiert sind. Unser Gehirn ist darauf programmiert, aus der unüberschaubaren Menge an Sinnesreizen nur das herauszufiltern, was zum Überleben nötig ist. Ein permanenter Zugang zu allen gespeicherten Eindrücken wäre für unser Alltagsleben unpraktikabel, ja überfordernd.

Doch Savants scheinen über einen direkten Zugang zu diesem umfassenden Speicher zu verfügen. Sie können, ohne darüber nachzudenken, auf Informationen zugreifen, die in ihrem Gehirn gespeichert sind, auf die das Bewusstsein anderer Menschen nicht zugreifen können. In gewissem Sinne erleben Savants eine Form von „direkter Resonanz“ mit der Wirklichkeit.

Sokrates, das Wissen ist in jedem vorhanden

Schon Sokrates vertrat die Auffassung, dass Wissen nichts ist, das von außen in uns hineingetragen wird. Er sah Lernen als einen Akt des Erinnerns. Jeder Mensch, so Sokrates, trägt alles Wissen in sich, doch es ist verdeckt, verschüttet, überlagert. Der Lehrer ist kein Wissensvermittler, sondern ein Geburtshelfer der Erkenntnis. Er muss durch kluge Fragen das verborgene Wissen im Schüler wecken.

Diese sokratische Sichtweise erhält im Lichte der Quantenphilosophie eine neue, tiefere Bedeutung. Wenn Information nicht lokal gespeichert, sondern in einem Beziehungsgeflecht existiert, dann könnte das, was wir als „Wissen“ empfinden, tatsächlich eine Form des Rückgriffs auf ein universelles Informationsfeld sein – ein „Weltwissen“, das nicht im Kopf des Einzelnen, sondern im gesamten Geflecht des Seins verankert ist.

Für Hans-Peter Dürr, Quantenphysiker, war Materie „geronnener Geist“, eine erstarrte Form von Information, die sich in Raum und Zeit als feste Erscheinung zeigt. Bewusstsein hingegen ist die fließende, lebendige Seite dieser Wirklichkeit. Es gibt keinen Bruch zwischen Geist und Materie – beides sind nur unterschiedliche Aggregatzustände derselben Urwirklichkeit.

Evolution als lernender Informationsprozess

Die Evolution, so wie wir sie kennen, könnte kein blinder Zufallsprozess, der auf zufällige Mutationen und Auslese beschränkt ist, sein. Sie könnte vielmehr ein gigantischer Lernprozess, in dem Informationen gesammelt, gespeichert, verarbeitet und für die Weiterentwicklung genutzt werden. Die DNA als sich fortentwickelnder Informationsspeicher.

Das beginnt schon beim Ursprung des Lebens. Zwei Keimzellen vereinigen sich und tragen dabei die genetischen Codes zweier Individuen zusammen. Diese Erbinformationen enthalten den vollständigen Bauplan eines neuen Lebewesens – aber auch die Summe der Erfahrungen und Anpassungen unzähliger vorangegangener Generationen. Das Leben beginnt also mit einem Akt der Informationsweitergabe.

Im Verlauf unseres Lebens sammeln wir fortwährend neue Informationen – durch Sinneseindrücke, durch Reflexion, durch soziale Interaktion, auch durch Bedürfnisse, etwa einer erforderlichen Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen. Ein Teil dieses Wissens wird bewusst weitergegeben, durch Sprache, Kultur, Erziehung. Ein anderer Teil jedoch bleibt im Unbewussten verankert und prägt unsere Entscheidungen, ohne dass wir uns dessen gewahr werden.

Doch selbst jenseits der individuellen Weitergabe trägt jedes Lebewesen durch sein bloßes Dasein zur Anreicherung des Weltwissens bei. Jedes Handeln, jede Wahrnehmung, jede Erfahrung hinterlässt Spuren im Informationsfeld der Wirklichkeit. Die Evolution ist somit kein zufälliger Selektionsprozess, sondern ein lernender Organismus, in dem das Universum sich zunehmend seiner selbst bewusst wird.

Wenn hier vom „Lernen“ des Universums die Rede ist, dann nicht im Sinne eines bewussten Akteurs, sondern als Metapher für ein wachsendes System von Differenzierung und Rückkopplung. Der Kosmos lernt nicht wie ein Mensch – er entwickelt Muster, erkennt Grenzen, überschreitet sie. Lernen als Strukturveränderung durch Erfahrung.

Warum unser Gehirn uns von Wissen abschirmt –
und warum das sinnvoll ist

Warum jedoch hindert uns unser Gehirn, auf dieses umfassende Wissen permanent zuzugreifen? Warum sind wir „normalen“ Menschen nicht in der Lage, das zu tun, was Savants scheinbar mühelos gelingt?

Die Antwort liegt in der Evolution. Ein Lebewesen, das in jeder Sekunde seines Daseins mit allen Details seiner Wahrnehmung konfrontiert wäre, hätte es sehr schwer. Es würde im Chaos der Eindrücke versinken und genau darüber klagen viele Savants auch. Deshalb hat unser Gehirn Filtermechanismen entwickelt, die nur die für den Augenblick relevanten Informationen ins Bewusstsein dringen lassen.

Savants oder Kinder im Vorschulalter, die diese Filter noch nicht vollständig ausgebildet haben, erleben die Welt intensiver, aber auch verwirrender. Sie sehen Details, die uns verborgen bleiben, sind aber oft überfordert, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Im Straßenverkehr etwa, könnte ein solcher Zustand tödlich enden.

Diese Filterung ist es, die dafür sorgt, dass wir im Alltag funktionieren. Unser Gehirn blendet das meiste aus, um uns handlungsfähig zu halten. Doch dabei gehen auch direkte Zugangsmöglichkeiten verloren – etwa zu dem, was wir als intuitives Wissen oder tiefere Einsicht bezeichnen könnten. – Bemerkenswert ist, dass intuitive Entscheidungen – das sogenannte „Bauchgefühl“ – häufig treffsicherer sind als durchrationalisierte Analysen. Offenbar wirkt hier ein vorbewusstes Verarbeiten von Mustern, das unserem bewussten Denken vorausläuft.

Interessanterweise konnten Hirnforscher zeigen, dass es möglich ist, diese Filtermechanismen temporär auszuschalten. Durch magnetische Stimulation des linken Schläfenlappens – jener Hirnregion, die für das Filtern von Wahrnehmungen verantwortlich ist – erlebten Versuchspersonen für kurze Zeit einen Zustand erhöhter Klarheit. Sie berichteten, dass ihnen plötzlich komplexe Zusammenhänge schlagartig klar wurden, dass sie Muster sahen, die ihnen vorher verborgen geblieben waren. Es war, als hätten sie für einen Moment den Schleier gelüftet, der ihre Wahrnehmung begrenzt.

Das Universum als sich selbst erkennendes System

Was bedeutet das für unser Weltverständnis? Wenn wir den Monismus konsequent weiterdenken, dann ist alles, was existiert, Teil eines einzigen, allumfassenden Prozesses. Das Universum ist kein zufällig entstandenes Konstrukt aus lebloser Materie, sondern ein dynamisches System, das sich seiner selbst bewusst werden will – zum Beispiel durch uns, durch unsere Wahrnehmung, unser Denken, unser Handeln.

Jeder Mensch ist somit nicht nur ein Produkt der Evolution, sondern auch ein Akteur innerhalb eines gigantischen Erkenntnisprozesses. Das Universum sieht durch unsere Augen, denkt durch unser Gehirn, fühlt durch unser Erleben. Wir sind keine isolierten Wesen, sondern Resonanzkörper eines kosmischen Geistes. – Und das gilt übrigens für alle Lebenwesen, tierischen wie pflanzlichen und es gilt auch für mögliche Entitäten in ganz anderen Welten des gigantischen Kosmos‘.

Wenn wir etwas erkennen, wenn wir eine neue Erfahrung machen, verändert das nicht nur uns, sondern auch das Universum selbst. Jede Erkenntnis ist ein kleiner Schritt in einem großen Prozess des Selbstverstehens des Kosmos.

Auch die phänomenologische Tradition – etwa Edmund Husserl oder Maurice Merleau-Ponty – betonte, dass die Welt nicht einfach „da draußen“ sei, sondern erst durch intentional gerichtete Wahrnehmung Gestalt annimmt. Was wir sehen, ist nie bloß das Gegebene – es ist das, was uns anspricht, was uns betrifft. Wahrnehmung ist Begegnung, keine Fotografie.

Die Denkfalle religiöser Jenseitsphantasien –
Dualismus in Reinform

Der Mensch hat seit jeher versucht, das Unverfügbare, das Unerklärliche, in Bilder zu fassen. Daraus entstanden Religionen, Mythen, Glaubenssysteme. Besonders die Frage, was nach dem Tod geschieht, hat dabei zu einer Fülle von Vorstellungen geführt: Himmel und Hölle, Wiedergeburt, das Paradies, ewiges Leben in Seligkeit oder Verdammnis.

Diese Modelle beruhen durchweg auf einem dualistischen Weltbild: Da ist einerseits der Körper, der sterblich ist und andererseits eine „Seele“, die unsterblich sei. Diese Seele soll, losgelöst von der materiellen Existenz, in einem jenseitigen Raum weiterexistieren. Doch dieser Glaube an eine vom Körper unabhängige Seele ist ein gedankliches Konstrukt, geboren aus der Angst vor der eigenen Endlichkeit.

Wenn wir aber die Erkenntnisse der Quantenphysik ernst nehmen, wenn wir den Monismus als Denknotwendigkeit verstehen, dann wird klar: Es gibt keine Trennung zwischen Geist und Materie. Das, was wir „Seele“ nennen, ist kein losgelöstes metaphysisches Etwas, sondern Ausdruck der lebendigen Beziehung von Informationsfeldern.

Der Monismus zeigt: Alles ist eines. Es gibt keinen Ort außerhalb der Welt, keinen „Jenseitsraum“, in dem eine vom Körper gelöste Seele weiterexistieren könnte. Die Vorstellung eines Himmels, in dem wir für alle Ewigkeit Hosianna singen oder einer Hölle, in der ewige Pein wartet, ist nicht nur naiv, sondern zutiefst anthropozentrisch. Sie macht den Menschen zum Mittelpunkt eines Kosmos, der in Wahrheit ganz andere Dimensionen besitzt.

Mehr noch: Diese Jenseitsphantasien haben zu allen Zeiten auch als Mittel zur Machtausübung gedient. Wer den Menschen Angst vor einem drohenden Höllenfeuer macht, gewinnt Macht über ihr Leben im Diesseits. Religionen, die mit dem Versprechen ewiger Glückseligkeit oder der Drohung ewiger Verdammnis operieren, halten Menschen in einem geistigen Korsett, das sie daran hindert, sich selbst als Teil eines schöpferischen Universums zu begreifen.

Wenn das Universum sich selbst erkennt –
Information als Urgrund

Was meinen wir eigentlich, wenn wir von „Information“ sprechen? In der Biologie ist sie genetischer Code, in der Physik ein quantifizierbares Maß von Zuständen, in der Philosophie ein Strukturprinzip von Sinn. Diese Vielschichtigkeit ist kein Mangel, sondern Ausdruck der Tatsache, dass Information der gemeinsame Nenner aller Erscheinung ist – gleich ob als DNA, als Energiepaket oder als gedankliche Struktur. Information ist nicht das, was wir „haben“, sondern das, was „ist“.

Die Quantenphysik lehrt uns: Information ist nicht lokal gebunden. Sie ist kein Gut, das von einem Punkt A zu einem Punkt B transportiert wird, sondern ein Beziehungsgeflecht, das sich durch Resonanz und Wechselwirkung manifestiert.

Wenn wir dieses Bild auf das Phänomen Leben anwenden, ergibt sich eine neue, faszinierende Perspektive: Der Sinn des Lebens besteht nicht in einem jenseitigen Fortbestehen der individuellen Existenz, sondern im Beitrag zum Erkenntnisprozess des Universums. Leben bedeutet Wahrnehmen, Erkennen, Weitergeben. Jeder neue Gedanke, jede neue Erfahrung ist ein Mosaikstein in einem gigantischen kosmischen Puzzle, in dem das Universum beginnt, sich selbst zu verstehen.

Diese Sichtweise erhebt uns nicht über die Natur, sondern bindet uns tief in ihren Prozess ein. Wir sind keine Fremdkörper im Kosmos, sondern in gewisser Weise seine Sinnesorgane. Unsere fünf Sinne, unser Denken, unser kulturelles Schaffen sind Ausdruck eines universellen Prinzips, das in allen Erscheinungen wirkt.

Der Monismus zeigt uns, dass die Welt nicht in zwei Substanzen zerfällt. Materie und Geist sind keine Gegensätze. Materie ist, bildlich gesprochen, der geronnene, manifestierte Geist. Sie ist die Form, in der Information für unsere Sinne greifbar wird. Geist ist die fließende, schöpferische Seite derselben Wirklichkeit.

Die Evolution als kosmischer Lernprozess –
das Leben als Erkenntnisreise

Wenn wir unser eigenes Leben betrachten, erkennen wir: Wir beginnen als unbeschriebenes Blatt, empfangen Informationen aus unserer Umwelt, lernen, reflektieren, geben weiter. Dieser Prozess wiederholt sich von Generation zu Generation. Die Evolution ist kein stures Durchwursteln durch zufällige Mutationen, sondern ein gigantischer Erkenntnisstrom.

Bereits in den Erbanlagen tragen wir die gespeicherte Information unzähliger Generationen. Die Gene sind dabei nicht nur biologische Baupläne, sondern zugleich auch Speicher vergangener Anpassungen, Erfahrungen, Informationen. Doch das, was wir lernen, was wir erfahren, was wir als kulturelles Wissen weitergeben, übersteigt die genetische Dimension um ein Vielfaches. – Wenn wir es so wollen: Ein Leben nach dem Tode gibt es tatsächlich. Das Leben erhält sich im Generationenprinzip. Wenn wir sterben, dann leben wir in unseren Kindern und allen weiteren Nachkommen, in stets neuen, unverbrauchten Körpern weiter, wie alle unsere Vorfahren in uns weiterlebten. Wäre das nicht ein sehr viel sinnvolleres „ewiges“ Leben, als es ins Jenseitsversprechungen vermitteln?

Wenn wir uns dieser Sichtweise öffnen, erkennen wir: Der Sinn des Lebens liegt nicht in einer statischen Erfüllung eines göttlichen Plans, sondern im dynamischen Prozess der Erkenntnis. Leben bedeutet, das Universum durch Sinne erkennen zu lassen, es durch unser Denken zum Bewusstsein seiner selbst zu führen.

Dieses Weltwissen, das sich aus dem Zusammenspiel alles Lebendigen speist, ist kein statischer Speicher. Es ist ein lebendiger, atmender Organismus. Jede Erkenntnis, jede Erfahrung, jede Wahrnehmung erweitert das Informationsgeflecht. In diesem Prozess existiert kein Anfang und kein Ende. Es ist ein ewiger Kreislauf von Wahrnehmen, Verarbeiten, Weitergeben.

Der Monismus als metaphysische
Konsequenz der Quantenphysik

Die Quantenphysik liefert uns keine neue Religion, keinen neuen Glauben. Aber sie öffnet uns die Tür zu einer metaphysischen Perspektive, die den Dualismus endgültig überwindet. Wenn wir akzeptieren, dass das, was wir als Materie erleben, letztlich aus Informationszuständen besteht, wenn wir begreifen, dass Geist und Materie nur unterschiedliche Erscheinungsformen eines einheitlichen Urgrundes sind, dann bleibt uns nur ein Schluss: Monismus ist keine Hypothese mehr, sondern eine Denkkonsequenz.

Wir dürfen nicht den Fehler machen, die Quantenphysik auf eine neue Form von Esoterik zu reduzieren. Es geht nicht um magisches Denken oder um pseudowissenschaftliche Spinnereien. Es geht darum, die philosophischen Implikationen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ernst zu nehmen.

Materie ist nichts Eigenständiges. Sie ist ein Phänomen der Wechselwirkung. Geist ist kein metaphysisches Extra, sondern der innere Aspekt jener Wirklichkeit, die wir als Kosmos erleben. Der Monismus zeigt uns: Alles ist Beziehung. Alles ist Resonanz. Alles ist Information.

Das Leben als Aufgabe –
Wahrnehmen, Erkennen, Weitergeben

Wenn wir die Vorstellung eines persönlichen Jenseits ad acta legen, wenn wir akzeptieren, dass der Sinn des Lebens nicht in einer wie auch immer gearteten Fortexistenz des Ichs liegt, was bleibt dann?

Was bleibt, ist das Leben selbst. Das bewusste, aufmerksame Leben. Das Sammeln von Wahrnehmungen. Das Erkennen von Zusammenhängen. Das Weitergeben von Erkenntnis. Der Sinn des Lebens ist also, es zu leben.

Es gibt keinen anderen Sinn als das Leben zu leben.

Dabei bedeutet Leben nicht bloß biologisches Überleben. Es bedeutet, die fünf Sinne in alle Richtungen zu öffnen, das Staunen nicht zu verlernen, Fragen zu stellen, Zusammenhänge zu erkennen. Es bedeutet, zu reflektieren, sich selbst und die Welt in immer neuen Perspektiven zu sehen, den Horizont des Möglichen zu erweitern.

Dieser Weg der Erkenntnis ist der eigentliche „Fortbestand“ dessen, was wir als Ich empfinden. Wir leben weiter, nicht in einem metaphysischen Jenseits, sondern in dem, was wir an Erkenntnis, an Wahrnehmung, an Wirkung in das Weltwissen eingespeist haben.

Wenn alles Beziehung ist, dann ist Ethik kein Regelwerk von Geboten, sondern Achtsamkeit gegenüber Resonanzen. Wer erkennt, dass jede Handlung das Geflecht verändert, in dem wir alle eingebunden sind, handelt nicht aus Pflicht, sondern aus Bewusstheit. Die Verantwortung liegt nicht außerhalb von uns – sie ist die Folge des Wissens, dass wir nie getrennt sind.

Resümee: Die Welt als Selbstbewusstsein des Universums

Der Monismus war nie ein bloßer Gedanke. Er war nur seiner Zeit voraus. Im Licht der Quantenphysik, im Spiegel der neueren Erkenntnistheorie, im Bewusstsein um die Tragweite unserer Wahrnehmung erhält der Monismus eine neue Relevanz.

Die Welt ist kein Konglomerat aus toten Dingen. Sie ist lebendig. Sie ist Beziehung. Sie ist Geist, der sich in Form von Materie ausdrückt.

Das Universum strebt danach, sich selbst zu erkennen – z.B. durch uns. Wir sind keine Zuschauer in diesem Prozess, sondern aktive Teilnehmer. Jeder Gedanke, jedes Wort, jede Wahrnehmung ist Teil eines unermesslichen Stromes von Information, der das Universum in seinem Werden begleitet.

Monismus 2.0 bedeutet, diesen Zusammenhang zu begreifen. Es bedeutet, sich als Teil eines Ganzen zu erkennen, in dem das, was wir als Ich empfinden, nicht das Zentrum, sondern eine Facette eines viel größeren Bewusstseinsprozesses ist.

Vielleicht war das, was Religionen mit dem Begriff „Gott“ umschrieben, immer schon dieses große Ganze. Doch der Weg zu dieser Erkenntnis führt nicht über Dogmen, sondern über Wahrnehmung, über Reflexion, über Erkenntnis.

Denn wenn das Universum sich selbst erkennen will, dann braucht es uns. Nicht als Untertanen eines metaphysischen Jenseits, sondern als bewusste, selbstdenkende Teile eines großen Ganzen.

Und übrigens: Dieses gewaltige Universum wäre, ohne dass es je in seiner Pracht wahrgenommen würde, eine ziemlich sinnlose, aber gewaltige Platzverschwendung. Es wäre schlechterdings völlig egal, ob es ein Universum gäbe oder nicht. Und ohne Wahrnehmung würde es faktisch auch gar nicht existieren. Wahrnehmung, oder der Weltengeist, wie sie es nenne, kann Existenz erst Wirklichkeit werden lassen.

Ich finde es eine sehr schöne Vorstellung: Singularität bedeutet: nichts ist möglich, kein Raum, keine Zeit, keine Materie, kein Leben. Universum bedeutet: alles ist möglich, sogar, dass wir darüber nachdenken können. In gewisser Weise war das Leben eine zwingende Notwendigkeit und mit dem Urknall eine unvermeidbare Konsequenz – überall dort, wo sich die Vorrausetzungen entwickelt haben – und ganz sicher nicht nur auf Erden. 

Vielleicht liegt der tiefste Sinn unseres Daseins nicht im Erklären der Welt, sondern im Erleben ihrer Tiefe. Die Welt will nicht nur verstanden, sie will gespürt werden. Bewusstsein ist nicht nur Licht im Kopf – es ist Wärme im Geflecht des universellen Seins. – Und vielleicht ist das Universum ja selbst eine sich entwickelnde, lebendige Entität? Vielleicht sind wir so etwas wie das Mikrobiom in unserem Darm, ohne das wir nicht existieren können. Und kein einziges Darmbakterium hat Ahnung davon, welchem übergeordnete Sein es tatsächlich dient? 


Lesen Sie auch:

Wer trägt die Gesellschaft – und wer zerrt an ihr?

Diesen Beitrag teilen:

Die Kommentare sind geschlossen.