Autor: Kurt O. Wörl
Vertrauen – jeder braucht es, kaum einer hat genug davon, und am schnellsten geht es kaputt, wenn man es am dringendsten braucht. Es hält Familien zusammen, bringt Flugzeuge in die Luft und sorgt dafür, dass wir beim Friseur nicht mit Anwalt erscheinen müssen. Doch wehe, man überzieht es – dann wird aus Vertrauen schnell ein Bumerang mit eingebauter Rückkehrgarantie. – Über das Vertrauen, eine heiter-ironische Betrachtung.
Es gibt Themen, die sind so groß, dass man sie am liebsten gleich wieder in den Schrank zurückstellen würde: Tod, Liebe – und, neuerdings in dieser Reihe, das Vertrauen. Ein Wort, das nach Kirchenkanzel und Sonntagsrede klingt, aber schon am Montagmorgen von der Aktenmappe erschlagen wird. Dabei ist Vertrauen die unsichtbare Währung, die unser Leben zusammenhält. Ohne Vertrauen gäbe es keine Familie, keine Gesellschaft – und keinen einzigen funktionierenden Handwerkertermin. – Man könnte sagen: Vertrauen ist wie Strom. Man bemerkt es erst, wenn es ausfällt – und dann sitzen alle im Dunkeln.
Bevor wir uns aber im Finstern verirren, sollten wir uns auf einen Begriff einigen: Was ist eigentlich Vertrauen? Klingt simpel, ist aber so trickreich wie eine Steuererklärung. Vertrauen ist nicht bloß ein wohliges Gefühl wie beim dritten Glas Rotwein, sondern eine halsbrecherische Unternehmung.
Zur Verdeutlichung ein Beispiel – nicht ganz jugendfrei, dafür treffsicher: Absolutes Vertrauen ist, wenn sich zwei Kannibalen auf einen Zungenkuss einlassen. Wer jetzt ein leichtes Zucken verspürt, hat den Kern der Sache erfasst: Vertrauen heißt, sich verletzlich zu machen – und darauf zu hoffen, dass der andere nicht auf dumme Gedanken kommt.
Große Geister haben es prägnanter formuliert:
Marie von Ebner-Eschenbach schrieb: „Das Vertrauen ist etwas so Schönes, dass selbst der ärgste Betrüger sich eines gewissen Respektes nicht erwehren kann vor dem, der es ihm schenkt.“
Wilhelm Busch wiederum reimte: „Zuwenig und zuviel Vertrau‘n sind Nachbarskinder.“
Man könnte hinzufügen: Das richtige Maß liegt irgendwo zwischen dem Sparbuch bei der Sparkasse und der Beratung durch einen Anlageprofi, der sein Honorar schon kassiert hat, bevor Sie das Kleingedruckte entziffern.
Warum also dieses Theater um Vertrauen? Ganz einfach: Ohne Vertrauen müssten wir morgens mit Helm und Schutzweste Brötchen kaufen gehen, den Bäcker vor dem Semmelkauf notariell verpflichten und beim Friseur einen Anwalt dabeihaben. Mit anderen Worten: Vertrauen ist der Kitt, der die soziale Fassade zusammenhält – und zwar so zuverlässig wie Kaugummi unter der Schulbank.
Vertrauen in einer Welt voller Risiken
Alle wissen: Vertrauen ist schnell verspielt. Es verhält sich wie ein antiker Spiegel – Jahrzehnte lang in Ehren gehalten, doch ein einziger Stoß, und er liegt in Scherben. Und dann dauert es Jahre, bis man wieder hineinschauen mag, ohne sich zu schneiden.
Wir spüren es sofort – besonders in Krisenzeiten. Banken bringen uns ins Wanken, Politiker greifen schützend ein, und wir sitzen im Scherbenhaufen.. Und plötzlich heißt es: Vertrauen ist wieder die neue „Grundwährung“. Als sei es ein Wertpapier mit dem sprunghaften Kursverlauf der Telekom-Aktie anno 2000.
Und trotzdem – wir können gar nicht anders. Vertrauen ist unausweichlich. Wer von uns versteht schon die Bordelektronik eines Passagierflugzeugs? Trotzdem steigen wir ein, lehnen uns entspannt zurück und bestellen Tomatensaft, als sei das die natürlichste Sache der Welt. Dass die Maschine überhaupt abhebt, beruht weniger auf Aerodynamik als auf dem simplen Umstand, dass wir Vertrauen haben: in Ingenieure, Mechaniker und Piloten – und hoffen, dass sie den Unterschied zwischen Steuerknüppel und Scheibenwischer kennen.
Dasselbe Muster findet sich in der Politik. Wir wählen Abgeordnete, die stellvertretend für uns Entscheidungen treffen. Das setzt ein Mindestmaß an Vertrauen voraus. Andernfalls müssten wir alle paar Tage mit Schlafsack und Butterbrot ins Parlament ziehen und über jeden Gesetzesentwurf abstimmen. Was die Verkehrslage in Berlin vermutlich endgültig kollabieren ließe.
So gesehen ist Vertrauen das Elixier, das eine Gesellschaft gesund erhält. Ohne es würde aus einer Gemeinschaft schnell eine lose Ansammlung von Individuen, die alle nur darauf achten, dass ihre Zahnbürste nicht entwendet wird.
Ein besonders anschauliches Bild liefert die Bergsteigerseilschaft: Wer an der Wand hängt, vertraut blind darauf, dass der andere das Seil hält. Und wer oben in aller Ruhe an der Trinkflasche nippt, sollte bitte nicht gleichzeitig am Karabiner basteln. Vertrauen ist hier nicht ein nettes Extra, sondern schlicht die Garantie, lebend wieder unten anzukommen.
Doch genau darin steckt das Paradox: Wir lernen Vertrauen von Kindesbeinen an – und gleichzeitig Misstrauen. Eltern sagen: „Hab Vertrauen in dich!“ und gleich darauf: „Aber steig nie zu Fremden ins Auto.“ Das ist ungefähr so widersprüchlich wie der Satz: „Iss Schokolade – aber werde ja nicht dick.“
Und die Wirtschaft? Dort galt lange Zeit: Vertrauen ist ein sentimentaler Weichspülfaktor. Kontrolle ist besser, Controlling noch besser. Dann kam die Finanzkrise – und plötzlich entdeckte man Vertrauen wieder, wie einen vergessenen Gartenzwerg, den man unter einer Schicht Herbstlaub hervorkramt. Manager, die noch gestern Kennzahlen wie Heilige verehrten, sprachen auf einmal von „Vertrauen als Basis des Marktes“. Fast klang es so, als wollten sie den Kontoauszug künftig mit einer Streicheleinheit überreichen.
Vertrauen – ein eingebautes Überlebensprogramm
Früher oder später landet man bei der Frage: Wie entsteht Vertrauen überhaupt? Warum vertraut das eine Kind blind jedem Clown im Zirkus, während das andere schon beim Anblick des eigenen Onkels in Deckung geht?
Die Entwicklungspsychologie hat eine klare Antwort: Vertrauen wird von Anfang an gelernt. Ein Säugling erlebt, dass er gefüttert, gewickelt und getröstet wird – oder eben nicht. Wird er umsorgt, entsteht das berühmte Urvertrauen: die tiefe, fast körperliche Gewissheit, dass die Welt grundsätzlich ein freundlicher Ort ist. Fehlt diese Erfahrung, bleibt das Kind innerlich auf Habachtstellung – sein Stresssystem springt schneller an als ein Rauchmelder beim ersten angebrannten Toast.
Die Genforschung fügt hinzu: Wer als Baby zu wenig sichere Bindung erlebt, dessen Stressgene sind wie ein alter Kühlschrank – sie laufen heiß, brummen unaufhörlich und lassen sich nur schwer wieder abstellen. Das prägt ein Leben lang. Man könnte sagen: Solche Kinder tragen ein eingebautes Frühwarnsystem durchs Leben – leider mit Dauerpiepton.
Hinzu kommt: Vertrauen wird weniger durch Worte gelernt als durch Blicke, Berührungen und Körpersprache. Ein Baby sucht Augenkontakt, lächelt – und merkt sofort, ob sein Lächeln erwidert wird. Daraus entsteht ein inneres Drehbuch, eine Art „Lebensskript“, das später bestimmt, wem wir vertrauen und wem nicht.
Doch was geschieht mit Kindern, die Gewalt oder Missbrauch erfahren – schlimmstenfalls durch Menschen, denen sie ursprünglich vertrauten? Dann verändert sich das Gehirn selbst. Die Angstzentren werden überempfindlich. Schon kleinste Reize genügen, um Panik auszulösen – wie bei einem Hund, der nach einem einzigen Donnerschlag sein Leben lang beim leisesten Knall unter das Sofa flüchtet.
Das Bittere: Das Gehirn vergisst nichts. Man kann verdrängen, aber das beschädigte Urvertrauen bleibt. Die Folge: Ein Leben lang fällt es schwerer, Nähe zuzulassen oder Bindungen aufzubauen.
Dabei ist unser Körper für Vertrauen gemacht. Wer eingebunden ist, lebt gesünder, glücklicher und länger. Einsamkeit dagegen ist ungefähr so schädlich wie eine Schachtel Zigaretten am Tag – nur dass sie sich schlechter besteuern lässt.
Oder in heutiger Übersetzung: Vertrauen ist wie WLAN. Solange es funktioniert, redet keiner darüber – fällt es aus, bricht in der ganzen Familie binnen Sekunden eine kleine Apokalypse los.
Von Hormonen und anderen Zaubertränken
Man könnte meinen, Vertrauen sei eine rein moralische Tugend. Etwas, das allein der menschliche Wille hervorbringt – wie das Zähneputzen oder das Entrümpeln des Dachbodens. Aber nein: Unser Körper mischt kräftig mit. Und zwar mit einem Hormon namens Oxytocin.
Oxytocin ist so etwas wie der Uhu unter den Hormonen: ein körpereigener Klebstoff, der Menschen aneinanderbindet. Es wird ausgeschüttet beim Kuscheln, beim Händeschütteln, sogar beim Blickkontakt. Bei frischgebackenen Müttern sorgt es dafür, dass sie trotz durchwachter Nächte ihr Neugeborenes anlächeln, als sei es der Hauptgewinn in der Lotterie. Bei Verliebten bewirkt es, dass sie tagelang nicht merken, dass der Kühlschrank leer ist.
Forscher haben sogar gezeigt: Bekommen Probanden Oxytocin verabreicht, werden sie vertrauensseliger – selbst dann, wenn das Gegenüber aussieht, als habe es gerade den Bankraub der Woche geplant. Vertrauen auf Rezept also. Man könnte fast von einer „Hormonbrille“ sprechen, die die Welt rosiger erscheinen lässt – inklusive Krimineller mit Strumpfmaske.
Aber Vorsicht: Das Zauberhormon ist kein Allheilmittel. Ohne reale Erfahrung verpufft es. Wer glaubt, man könne mit dem Hormon den Weltfrieden herbeisprühen, glaubt vermutlich auch, dass Baldriantee Steuerbescheide verhindert.
Und doch erklärt der Mechanismus, warum Vertrauen sich überhaupt angenehm anfühlt. Das Gehirn schaltet die Alarmsirenen herunter und belohnt uns gleichzeitig mit einem kleinen Cocktail guter Gefühle. Vertrauen fühlt sich deshalb nicht nur richtig, sondern auch schön an – wie ein unerwarteter Feiertag mitten in der Woche.
Ein Beispiel aus dem Alltag: Das Kind steht oben auf dem Klettergerüst und soll in die Arme des Vaters springen. Objektiv betrachtet eine riskante Angelegenheit. Doch der kleine Mensch wagt den Sprung – weil Vertrauen stärker ist als die Angst. Gelingt es, strömt das Oxytocin, und beim nächsten Mal springt das Kind noch ein Stück höher.
Dasselbe Prinzip wirkt, wenn wir ins Flugzeug steigen. Niemand von uns prüft persönlich die Tragflächen auf Haarrisse oder fragt den Piloten nach seinem Blutdruck. Wir schnallen uns an, lehnen uns zurück und hoffen, dass vorne jemand sitzt, der weiß, welches der Startknopf ist und welches der Scheibenwischer. Vertrauen reduziert Komplexität – und erlaubt es uns, in 10.000 Metern Höhe seelenruhig Tomatensaft zu bestellen.
So betrachtet ist Vertrauen ein kleines biologisches Kunststück: Es verwandelt Gefahr in Nähe, Unsicherheit in Geborgenheit und Skepsis in Wohlbefinden. Oder, etwas weniger poetisch: Ohne Vertrauen säßen wir alle allein zu Hause – und hätten sehr saubere, aber völlig unbenutzte Klettergerüste.
Vertrauen und Gesellschaft – das große Misstrauensdilemma
Vertrauen ist im Privaten schon schwer genug. Doch in der Gesellschaft wird es richtig heikel. Ohne Vertrauen in Institutionen wäre das Zusammenleben etwa so angenehm wie ein Klassenzimmer voller Schüler, die alle voneinander abschreiben – und am Ende trotzdem durchfallen.
Darum gibt es Gesetze, Gerichte und Polizei. Nicht, weil wir uns so sehr lieben, sondern weil ein bisschen Kontrolle das Vertrauen stabilisiert. Wer seinem Freund den Hund leiht, hofft zwar, dass er ihn nicht an der Leine vertauscht – trotzdem ist man froh, dass im Hintergrund ein Tierschutzgesetz existiert, das im Zweifel einschreiten könnte.
Niklas Luhmann, der Soziologe mit der beneidenswerten Fähigkeit, jedes Problem mit einem langen Satz zu erklären, schrieb: „Vertrauen ist ein Mechanismus, der soziale Komplexität reduziert.“ Übersetzt: Wer vertraut, spart Nerven. Denn wir können nicht jeden Busfahrer vor der Fahrt persönlich auf Herz und Leber prüfen. Also steigen wir ein – und hoffen, dass er links und rechts auseinanderhalten kann.
Doch Vertrauen ist ein empfindlicher Schatz. Man gewinnt es schwer, man verliert es schnell. Die Banken haben uns das vorgemacht: Jahrzehntelang hieß es, Kontrolle sei besser als Vertrauen. Dann krachte die Finanzwelt zusammen, und plötzlich predigten Banker und Politiker im Chor von der „Grundwährung Vertrauen“. Das war, als würde ein Pyromane plötzlich für den freiwilligen Feuerwehrdienst werben.
Seither gilt: Wer noch an die Selbstheilungskräfte des Marktes glaubt, vertraut vermutlich auch darauf, dass Zahnfeen die Rentenversicherung sanieren.
Und die Politik? Dort sieht es noch düsterer aus. Die Wahlbeteiligung sinkt, das Vertrauen in Parlamente und Parteien dümpelt konstant im Keller. In Umfragen liegen sie zuverlässig knapp hinter dem Zahnarztbesuch ohne Betäubung. Fast ein Drittel der Wahlberechtigten bleibt gleich zu Hause, weil es den Glauben verloren hat, dass die eigene Stimme irgendetwas bewirken könnte.
Nur zwei Institutionen genießen konstant hohes Vertrauen: das Bundesverfassungsgericht und die Polizei. Vermutlich, weil beide den Eindruck erwecken, dass sie – im Gegensatz zu den Parteien – tatsächlich noch auf Gesetze achten. Das höchste Gericht vermittelt den beruhigenden Gedanken, dass politische Entscheidungen einer letzten Prüfung unterzogen werden. Und die Polizei vermittelt: „Wir passen auf, dass nicht jeder macht, was er will.“ Parteien hingegen vermitteln eher: „Wir passen auf, dass wir machen, was wir wollen.“
So kommt es zu einem paradoxen Befund: „Ich habe Vertrauen in die Politik“ ist heute fast schon ein Widerspruch in sich – ähnlich wie „gesundes Fast Food“ oder „ein erlebnisreicher Stau“.
Die dunkle Seite des Vertrauens
So glänzend Vertrauen klingt – es hat eine Schattenseite. Denn wo ein Schatz liegt, finden sich bekanntlich auch jene, die mit Schaufel und Sack bereitstehen.
Da wäre zum Beispiel der notorische Schuldenmacher. Er vertraut felsenfest darauf, dass Eltern oder Freunde ihn jedes Mal aus der Patsche ziehen. Für ihn ist Vertrauen so robust wie eine deutsche Eiche. Blöd nur, dass auch die stärkste Eiche irgendwann vom Holzwurm heimgesucht wird.
Oder der selbstbewusste Drängler im Straßenverkehr. Er baut darauf, dass die anderen schon rechtzeitig bremsen. Man könnte ihn fast einen „Straßenverkehrs-Optimisten“ nennen. Er lebt nach dem Motto: „Gott schütze die Kühnen – und vor allem ihre Stoßstangen.“
Dann der faule Schüler. Er vertraut auf die Nachbarschaftshilfe im Klassenzimmer. Spätestens wenn der Mitschüler absichtlich falsche Ergebnisse zum Abschreiben liefert, merkt er: Vertrauen kann ein sehr schlüpfriger Stuhl sein.
Und schließlich die Eltern, die fest darauf zählen, dass ihre Kinder sie im Alter pflegen werden. Ein Vertrauen, das manchmal berechtigt ist – und manchmal in der ernüchternden Botschaft endet: „Tut uns leid, wir können nicht – wir müssen gerade in Bali ein Startup gründen.“
Das Problem all dieser Beispiele heißt Egoismus. Vertrauen funktioniert nur, wenn beide Seiten etwas davon haben. Wird es einseitig ausgenutzt, verwandelt es sich in moralische Erpressung. Dann ist Vertrauen nicht mehr edel, sondern tyrannisch.
Wilhelm Busch brachte es unnachahmlich auf den Punkt: „Wer anderen zu wenig traut, hat Angst an allen Ecken; und wer zu viel auf andere baut, erwacht zumeist mit Schrecken.“
Das gilt bis heute, im Kleinen wie im Großen. Denn blindes Vertrauen ist keine Tugend – sondern eine offene Einladung zum Missbrauch.
Resümee: Ohne Vertrauen kein Morgen
Am Ende aller Überlegungen bleibt eines unbestritten: Vertrauen ist das Lebenselixier des Zusammenlebens. Ohne Vertrauen könnten wir die Welt gleich einpacken wie ein missglücktes Ikea-Regal – schief, wackelig und nach drei Wochen im Sperrmüll.
Mit Vertrauen beginnt jedes Abenteuer: der Sprung ins Schwimmbecken, das Geständnis einer Liebe, die riskante Freundschaft mit einem Menschen, den man gestern noch nicht kannte. Vertrauen macht uns gesünder, gelassener und, man darf es ruhig sagen: menschlicher.
Doch dieses fragile Gut ist ständig bedroht. Institutionen verspielen es, Banker verzocken es, Politiker behandeln es wie Wechselgeld, und im Privaten missbrauchen Egoisten es, als sei es ein Geldautomat ohne PIN. Kein Wunder, dass viele Menschen vorsichtiger geworden sind.
Und trotzdem: Wer gar nicht vertraut, verpasst das Leben. Wer nur misstraut, baut sich einen mentalen Hochsicherheitstrakt. Sicher – aber einsam. Vertrauen ist der Mut, sich verletzlich zu zeigen. Ohne diesen Mut gäbe es keine Freundschaft, keine Liebe und keine Gesellschaft.
Darum der Kern in einem Satz: Vertrauen ist kein Quittungsblock, den man vorzeigen kann – es ist ein Bumerang: missbraucht man es, trifft es einen schmerzhaft im Nacken, pflegt man es, kehrt es treu zurück.
Heinrich von Kleist schrieb: „Vertrauen und Achtung, das sind die beiden unzertrennlichen Grundpfeiler der Liebe.“ Oder, in moderner Übersetzung: Vertrauen ist die Software, die uns Menschen verbindet – ohne Updates stürzt das System oft ab.
Natürlich will Vertrauen verdient sein. Es wächst nicht auf Knopfdruck, es lässt sich nicht erzwingen wie Rundfunkgebühren. Vertrauen gedeiht langsam, wird genährt durch Erfahrung, bestätigt durch Ehrlichkeit.
Lasst uns also mehr Vertrauen wagen. Nicht blind, nicht naiv, aber beherzt. Denn eine Gesellschaft ohne Vertrauen ist wie eine Oper ohne Musik – man hat zwar die Kulisse, aber niemand will bleiben.