Zwischen Wissenschaft und Weltanschauung

Frauke Brosius-Gersdorf dürfte als Bundesverfassungsrichterin verbrannt sein.
Lesedauer ca. 7 Minuten

Autor: Kurt O. Wörl

Frauke Brosius-Gersdorf gilt als brillante Juristin und war Favoritin für das höchste deutsche Richteramt. Doch ihr Fokus auf links-grüne Streitthemen wie Abtreibung, Frauenquote und AfD-Verbotsverfahren lässt Zweifel an ihrer Unparteilichkeit aufkommen. Was als wissenschaftliche Neutralität verkauft wird, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Werturteil mit politischem Beigeschmack. Warum Brosius-Gersdorf so zum Opfer der Mechanismen wird, die ihr eigenes politisches Lager einst etabliert hat und weshalb sie besser nicht am Bundesverfassungsgericht urteilen sollte.

In der deutschen Staatsrechtswissenschaft gilt Professorin Frauke Brosius-Gersdorf als profilierte Stimme. Ihre akademischen Verdienste sind unbestritten, ihre juristische Expertise steht außer Frage. Und doch: Die Debatte um ihre gescheiterte Wahl zur Richterin am Bundesverfassungsgericht wirft eine grundsätzliche Frage auf, die über ihre Person hinausweist. Es geht um die politische Verortung von Verfassungsjuristen und ihre Wirkung auf das Vertrauen der Gesellschaft.

Frau Brosius-Gersdorf betont zwar mantraartig, sie stehe in der „Mitte der Gesellschaft“. Auf den ersten Blick klingt das beruhigend. Wer aber genauer hinsieht, erkennt ein anderes Bild. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte konzentrieren sich auffällig stark auf Themen, die seit Jahren die gesellschaftspolitische Agenda linker und grün-progressiver Strömungen prägen, als da sind:

Schwangerschaftsabbruch: Brosius-Gersdorf plädiert für eine weitgehende Entkriminalisierung und betrachtet das Lebensrecht des Ungeborenen vor allem im Lichte der Rechte der Schwangeren. Dass diese Haltung von der katholischen Kirche und weiten Teilen des bürgerlich-konservativen Spektrums scharf kritisiert wird, verwundert nicht.

Ehegattensplitting: Sie hält das steuerliche Ehegattensplitting – wie es im Grundgesetz vorgesehen ist – für verfassungsrechtlich bedenklich, sieht dies als Diskriminierung gegenüber unverheirateten Paaren.

Homeschooling/Hausunterricht: Brosius‑Gersdorf argumentiert, dass Schulpflicht auch durch planvollen Hausunterricht erfüllt werden könne. Sie sieht Homeschooling nicht grundsätzlich im Widerspruch zur öffentlichen Schulpflicht.

Frauenquote und Paritätsgesetz: Hier setzt sie sich juristisch ausdrücklich für verpflichtende Quotenregelungen ein – ein Thema, das stark in linken Gleichstellungspolitiken verankert ist.

Kopftuch im Staatsdienst: Ihre differenzierende Haltung dazu – nicht pauschal, aber prinzipiell offen für religiöse Symbole im Staatsdienst – ist ebenfalls eher in linksliberalen Kreisen mehrheitsfähig.

Impfpflicht: Auch in pandemischen Fragen unterstützte sie verfassungsrechtliche Konstruktionen, die eine allgemeine Impfpflicht ermöglichen würden.

AfD-Verbotsverfahren: Besonders brisant ist ihre Haltung zu einem möglichen AfD-Verbot. Brosius-Gersdorf hält ein solches Verfahren für verfassungsrechtlich geboten, sofern belastbare Belege vorlägen. Auch wenn sie hier juristisch korrekt differenziert, bleibt der politische Subtext nicht zu übersehen: Eine klare Haltung gegen rechts, die sich nicht allein aus juristischer Logik speist, sondern auch aus einem gesellschaftspolitischen Wertekanon.

Gendersprache: Mich wundert, dass die Journaille bislang Frau Prof. Brosius-Gersdorfs juristische Aktivitäten und persönliche Haltung zur sog. „geschlechtergerechten Sprache“ noch nicht thematisiert hat. Sie war 2016 an der Uni Hannover Mitantragstellerin und Leiterin des Projekts Geschlechtergerechte Sprache in Theorie und Praxis(ein Drittmittelprojekt), das u.a. darauf zielte, rechtliche Rahmenbedingungen für geschlechtergerechte Sprache zu erarbeiten.

Wie sehr die Professorin auch hier über alle Maßen Interesse am links-grünen Spaltthema Gendern und offenbar insgesamt an der Dekonstruktion der bürgerlichen Gesellschaft hat, belegt sie selbst in einem Interview, „Sprachlich unsichtbar – Über Geschlechtervielfalt in der Sprache des Rechts“, gegeben an der Universität Potsdam, am 05.04.2022. Brosius-Gersdorf will sprachlich „das Grundgesetz umkrempeln. Das generische Maskulinum führe zu einer gedanklichen Unterrepräsentation von Frauen“, behauptet sie. Ihre Lösung: „Nicht nur das Grundgesetz, sondern gleich alle Gesetzestexte müssten ‚gendergerecht‘ umgeschrieben werden“. – So fasste kürzlich ein Kommentator im Cicero das Ansinnen der Professorin zusammen.

Wohl gemerkt, keine dieser Positionen ist für sich alleine genommen illegitim. Im Gegenteil: Jede davon ließe sich juristisch sicher begründen. Doch in der Summe entsteht der Eindruck einer deutlichen Schlagseite ihrer Interessensgebiete nach links-außen. – Ich kann schon verstehen, wenn bürgerliche Abgeordnete der CDU diese Frau lieber nicht in der roten Robe des Bundesverfassungsgerichts sehen möchten. Ich möchte auch nicht, dass solche Auffassungen künftig durch in Stahl gegossene Urteile unserer Gesellschaft übergestülpt und dem politischen Diskurs dadurch für immer entzogen werden.

Wo andere Verfassungsjuristen bewusst breit gefächerte Themen wählen, um Ausgewogenheit zu signalisieren, kreist Brosius-Gersdorfs Arbeit fast ausschließlich um solch konfliktträchtige Felder gesellschaftspolitischer Transformation, wie sie nun einmal im links-grünen Spektrum ihre Heimstatt haben. Die Sorge ist deshalb nicht von der Hand zu weisen, dass sie als Verfassungsrichterin ihre bisherigen Thesen versuchen wird, in geltendes Recht zu schmieden. In ihrer Themenauswahl vertritt sie jedenfalls keineswegs „absolut gemäßigten Positionen aus der Mitte“, wie sie von sich selbst behauptet.

Das zeigte sich zuletzt auch bei ihrem Auftritt in der Sendung „Markus Lanz“, am 15.07.2025. Formal wirkte Frau Brosius-Gersdorf souverän, argumentativ jedoch ausweichend. Sie bemühte sich, ihre Haltung als rein wissenschaftlich und unpolitisch darzustellen. Doch genau dieser Versuch missglückte ihr komplett. Statt durch konkrete Beispiele politischer Ausgewogenheit zu überzeugen, wiederholte sie nur nichtssagende Allgemeinplätze und betonte abstrakte Prinzipien.

Der Eindruck: Brosius-Gersdorf kann ihre eigene Themenauswahl offenbar nicht als auch politisch relevante Signale wahrnehmen – oder sie will sie nicht als tendenziös wahrnehmen. Aber sehen sie selbst:

Man kann auf eine Grundsatzfrage zuspitzen:

Ist ein Staatsrechtslehrer automatisch politisch neutral, wenn er verfassungsrechtlich argumentiert? Oder macht ihn nicht die Wahl seiner Schwerpunktthemen automatisch zu einer politischen Figur?

In der Praxis lautet die Antwort: Natürlich letzteres!

Dabei ist gerade beim Bundesverfassungsgericht politische Sensibilität gefragt. Die Richter dort entscheiden nicht im luftleeren Raum, sondern beeinflussen gesellschaftliche Realitäten direkt. Wer heute über Paritätsgesetze oder religiöse Symbole im öffentlichen Raum urteilt, setzt Maßstäbe für Jahrzehnte. Entsprechend wichtig ist es, dass Verfassungsrichter nicht nur juristisch brillant sind, sondern auch gesellschaftlich Vertrauen genießen. Und das setzt erkennbares Maßhalten voraus. Konkret: Frau Brosius-Gersdorf hat sich bei ihren Schwerpunktthemen bereits so sehr selbst positioniert, dass es kaum denkbar wäre, sie würde als Verfassungsrichterin entgegen ihrer Positionierung urteilen.

Hier liegt das Problem. Frau Brosius-Gersdorf hat sich selbst in ein Lager eingeordnet – möglicherweise unbeabsichtigt, aber dennoch wirksam, auch wenn sie das nicht wahrhaben will. Es ist daher weniger eine Frage ihrer juristischen Qualifikation als vielmehr eine der gesellschaftlichen Balance:

Eine Richterin, die in zentralen Grundsatzfragen fast ausschließlich Positionen vertritt, die mit der links-grünen Programmatik übereinstimmen, wird es schwer haben, als unparteiische Instanz akzeptiert zu werden.

Das ist kein persönliches Urteil über ihre Integrität oder ihren Charakter. Es ist ein nüchterner Befund über Wirkung und Wahrnehmung. Gerade in einer politisch polarisierten Gesellschaft braucht das höchste deutsche Gericht Persönlichkeiten, die mit beiden Händen auf der Waage stehen – nicht mit einer auf dem Herzen und der anderen im ideologischen Lager.

Frau Brosius-Gersdorf mag eine ausgezeichnete Juristin sein. Doch als Richterin am Bundesverfassungsgericht wäre sie, bei aller Fairness, derzeit wirklich die falsche Wahl.

Cancel Culture Reverse

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet Frau Brosius-Gersdorf sieht sich nun selbst mit dem, einst linken Gehirnen entsprungenen Kampfmittel gegen Andersdenker – der Cancel Culture – konfrontiert. Nach bekannt werden ihrer Nominierung seitens der SPD fegte aus rechten Gazetten, in Sozialen Medien und vor allem seitens der AfD ein bilderbuchartiger Shitstorm über die Juristin hinweg: Sie wäre eine extreme und gnadenlos linke Juristin mit festgeprägter Weltanschauung. Sogar Plagiatsvorwürfe wurden erhoben, die die Juristin mit einem Blitzgutachten versuchte, aus der Welt zu schaffen – nicht ganz überzeugend, wie sich herausstellte. 

Ihre Wahl scheitert nicht etwa an mangelnder juristischer Kompetenz, sondern daran, dass ihr gesellschaftlich und medial das Vertrauen entzogen wurde – mit genau denselben Mechanismen, die schon viele liberal-bürgerlich-konservative Persönlichkeiten in der Vergangenheit getroffen haben. Während diese – jeweils ohne medialen Aufschrei – aus ihren Ämtern gedrängt oder davon abgehalten und in ihrer Existenz bedroht wurden, wird bei Brosius-Gersdorf nun öffentlich überaus larmoyant beklagt, sie werde „diffamiert“, „ungerecht behandelt“, „in ihrer Reputation beschädigt“

Nun, das wird wohl auch so sein, denn Cancel Culture ist ja nichts anderes als Polemik, Diffamierung und Herabwürdigung, mit dem Ziel, die Reputation von Personen mit anderen als den eigenen Ansichten zu schädigen.

Die öffentliche Gegenwehr der Juristin und die ihr gewogene mediale Aufschreireaktion aber, machten sie nun zu verbrannten Kandidatin. 

Die Mechanismen sozialer und politischer Ausgrenzung, ja Ächtung, sind also längst kein Monopol ihrer Erfinder im rot-grünen Spektrum mehr. Brosius-Gersdorf ist nicht Opfer einer Verschwörung, sondern der politischen Kultur, an deren Etablierung ihr akademisches Umfeld selbst mitgewirkt hat. Cancel Culture funktioniert also nicht nur von links gegen alles, was nicht links ist, sondern auch umgekehrt. 

Ich meine, gerade in polarisierten Zeiten brauchen Verfassungsrichter keine erkennbaren Schwerpunktsetzungen in eine Richtung – sondern erkennbares Maßhalten und wahrnehmbaren Willen zur Neutralität. Brosius-Gersdorf hat daran, ob bewusst oder nicht, starke Zweifel geweckt. Und das allein genügt, ihr nicht die Stimme zu geben.

Abgeordneten-Bashing

In der öffentlichen Debatte wird derzeit viel Kritik an jenen Bundestagsabgeordneten laut, die die Wahl der Kandidatin verhindert haben – vor allem gegen jene in Reihen der CDU. Diese hätten sich von rechtsextremer Propaganda seitens der AfD irreführen lassen. Die alte linke Niedertracht: Wer nicht unserer Meinung ist, ist halt ein Nazi.

Doch hier wird ein grundlegendes Missverständnis deutlich: Abgeordnete des Deutschen Bundestages sind keine Parteisoldaten. Sie sind nach Artikel 38 des Grundgesetzes ausschließlich ihrem Gewissen und den Interessen ihrer Wähler verpflichtet. Sie vertreten den Souverän – das Volk – und wählen für diesen die Richter am höchsten deutschen Gericht. Wenn eine Bewerberin für ein solches Amt erkennbar und wiederholt Positionen vertritt, die dem Wertekanon der eigenen Fraktion, der eigenen Wählerschaft oder auch des eigenen Gewissens widersprechen, dann ist es nicht nur das Recht der Abgeordneten, dieser Wahl ihre Stimme zu verweigern. – Es ist ihre demokratische Pflicht!

Vor allem bei den Grünen muss die Causa um die Juristin wie ein Blitz eingeschlagen haben, sahen sie doch den Versuch, eine vor allem ihrer Ideologie gewogene Richterin am BVerfG zu installieren, am Widerstand aus der CDU scheitern. In einer bislang von ihr so nicht gekannten, hasserfüllten Wutrede wandte sich die Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann in der Folge an das Parlament – nicht ahnend offenbar, dass sie das Feuer um die verbrannte Juristin damit noch anfachte, weil sie der Sorge in bürgerlichen Reihen damit auch noch Substanz verlieh.

Resümee

Verfassungsrichter sind keine abstrakten Paragraphenreiter, sondern gestalten gesellschaftliche Realität – durch Urteile, die massiv in die politische Handlungsfähigkeit wirken. Entsprechend darf bei ihrer Wahl nicht der kleinste Zweifel daran bestehen, dass sie diesen Auftrag im Sinne der ganzen Bevölkerung und nicht einer partiellen Ideologie folgend ausführen können.

Im Fall Frauke Brosius-Gersdorf bestehen diese Zweifel – unabhängig davon, wie gesamtgesellschaftlich sie als Richterin wirklich urteilen würde. Und diese Zweifel konnte Sie bei ihrer Gegenwehr und ihrem Auftritt bei Markus Lanz nicht beseitigen. Sie sollte besser auf ihre Kandidatur verzichten, wenn sie das Amt der Verfassungsrichter nicht beschädigen will.

Nachtrag 07.08.2025

Am 07.08.2025 verkündete die Juristin, dass sie auf Ihre Kandidatur verzichte, da ihr unmissverständlich von Unionsabgeordneten signalisiert wurde, dass man sie nicht wählen werde. Sie begründete ihren Verzicht damit, dass sie die anderen Kandidaten und vor allem das höchste deutsche Gericht nicht beschädigt wissen wolle. Da ist es nur noch eine ironisch wirkende Randnotiz, dass sie in ihrem, von Bitterkeit getragenen Rücktrittschreiben darauf hinwies, dass SPD, Grüne und Linke hinter ihr gestanden hätten. – Cancel culture ist ein überaus unfaires Instrument im politischen Geschäft. Und wer hat’s erfunden?


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