Familie der Prosaformen – Prosa ist nicht gleich Prosa: Zwischen der pointierten Anekdote, der straff gebauten Novelle und dem weit ausgreifenden Roman entfaltet sich ein ganzes Universum an Formen. Hinzu kommen essayistische, satirische und groteske Varianten. Die Übersicht zeigt die gesamte „Familie der Prosa“ in hierarchischer Ordnung und erklärt, wo jede Form ihren Platz hat.
1. Epische Prosa (Erzählende Formen)
Ziel: Darstellung von Figuren, Handlungen, Ereignissen (fiktional oder stark narrativ).
1.1 Kurze epische Formen
Anekdote – pointierte Kurzgeschichte über eine Person oder Begebenheit
Fabel – kurze lehrhafte Tier- oder Dinggeschichte mit Moral
Parabel – lehrhafte Erzählung mit übertragener Bedeutung
Märchen – wunderhafte, zeitlose Erzählung mit magischen Elementen
Legende – religiös gefärbte Erzählung über Heilige / Wundertaten
Sage – volkstümliche Erzählung mit lokalem Bezug, oft mythisch
Kurzgeschichte – moderne Kurzprosa, Alltagsszenen, offenes Ende
1.2 Mittlere epische Formen
Erzählung – Sammelbegriff für mittellange Prosa ohne feste Form
Novelle – straff gebaute Prosa um eine „unerhörte Begebenheit“
Schwank – humoristische Kurzform mit grobem Witz, volkstümlich
Heftroman / Groschenroman – Unterhaltungsliteratur (Liebe, Western, Arztroman)
1.3 Lange epische Formen
Roman (Oberform)
Untergattungen:
Bildungsroman (Goethe, Wilhelm Meister)
Gesellschaftsroman (Fontane, Effi Briest)
Historischer Roman (Scott, Tolstoi)
Liebesroman
Kriminalroman
Science-Fiction
Fantasy
Abenteuerroman
Romanzyklus / Epos in Prosa – sehr umfangreiche Werke mit epischer Breite (z. B. Tolstois Krieg und Frieden)
2. Reflektierende Prosa (nicht-narrativ, argumentativ, essayistisch)
Ziel: Gedanken, Beobachtungen, Argumente entfalten, nicht primär Geschichten erzählen.
Essay – subjektiver, literarischer Gedankentext („Versuch“)
Glosse – kurze, pointierte Meinungsäußerung im Journalismus
Kolumne – regelmäßig erscheinender persönlicher Kommentar
Feuilleton – literarisch-journalistische Mischform
Aphorismus – knapper Sinnspruch oder Gedankensplitter
Traktat / Abhandlung – systematische, argumentative Schrift
Pamphlet – polemische, kämpferische Schrift
Reportage / literarischer Journalismus – Tatsachenbericht mit literarischen Mitteln
Memoiren / Autobiografie – Lebenserzählung in reflektierender Form
3. Komisch-kritische und verzerrende Prosaformen
Ziel: Kritik, Spott, Verzerrung oder humorvolle Brechung.
Satire – entlarvende, kritische Übertreibung
Parodie – Nachahmung eines Stils mit komischem Effekt
Travestie – ernster Stoff ins Lächerliche gezogen
Burleske – übertrieben-derbe Form des Komischen
Karikatur (literarisch) – überzeichnete Darstellung von Typen
Glosse – kleine ironische Spottform (Journalismus)
Polemik – aggressive, direkte Streitschrift
Pamphlet – kurzer, kämpferischer Text
Groteske – Mischung von Komik und Unheimlichem, Verzerrung
4. Rahmen- und Mischformen
Mischungen, die mehrere Prosaarten vereinen.
Rahmenerzählung (z. B. Boccaccio, Decamerone)
Novellensammlung / Zyklus
Essayistische Erzählung (z. B. Borges, Musil)
Dokufiktion / literarische Reportage