Journaille und ihre Lazarett-Poesie

Autor: Kurt O. Wörl

Poeten gibt es heute kaum mehr welche. Zumindest keine, welche wie dereinst Goethen in der Lage wären, breite Gesellschaftsschichten zu erreichen und zu beeindrucken. Deren Platz haben inzwischen Journalisten eingenommen – und auch Leute, die sich nur so nennen. 

Und wenn man nicht gerade die “Neue Züricher Zeitung (NZZ)” abonniert hat, die im deutschsprachigen Raum als eine der letzten Bastionen des verantwortungsbewussten, um Objektivität bemühten Journalismus sich gegen den Trend der Infantilisierung, Emotionalisierung und Proletisierung redaktionell begleiteter Berichterstattung stemmt, wird man mit hoher Treffsicherheit nur auf Medien des derzeit hyperaktiven “Gesinnungsjournalismus” stoßen – oder wie die Vertreter desselben ihn selbst gerne nennen, auf “Haltungsjournalismus”.

Zutreffender wäre freilich der Begriff “Tendenz-Journaille” (Journaille = Kunstwort, gebildet aus Journalismus und Kanaille). Claas Relotius war sicher einer der konsequentesten Vertreter dieser Spielart – schrieb er doch nicht nur seine Reportagen aus einer konsequent politisch linken Gesinnung heraus, sondern erfand die Geschichten dazu gleich frei von der Leber weg selbst – und wurde dafür gar vielfach ausgezeichnet. Relotius schrieb vor allem für den SPIEGEL, aber auch für andere große Blätter. Dass der Betrug über Jahre nicht auffiel sagt sehr, sehr viel über das interne Controlling dieser “Qualitätsmedien” aus. – Wer brav im “richtigen” Haltungs-Mainstream und in der erwünschten Richtung schreibt, muss den Faktencheck der Redaktion offenbar kaum fürchten.

Selbst die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten setzen inzwischen eher auf Gesinnungstäter denn auf ordentliche  Reporter, die Wert auf Objektivität legen, “ohne sich mit der Sache gemein zu machen”. Das war das Credo des großen und beliebten ARD-Moderators Hanns Joachim “Hajo” Friedrichs. Der schrieb seiner Zunft in einem SPIEGEL-Interview dereinst ins Stammbuch:

“Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“

 

Hajo Friedrichs würde sich deshalb vermutlich im Grabe umdrehen wie ein Propeller, würde er von den Vorstellungen zum Beispiel eines Georg Restles erfahren. Restle ist Moderator des WDR-Politmagazins “Monitor”. Ganz unverblümt plädierte er im Juli 2018, in einem Essay in WDRprint, für einen sog. “werteorientierten Journalismus” und erklärt dem staunenden Leser, warum er von neutraler, objektiver Berichterstattung nicht viel hält. Lesen Sie:

WDR print: PLÄDOYER für einen werteorientierten Journalismus.

Restle steht aber nur beispielhaft für tendenziöse Berichterstattung in der ARD, für das ZDF könnte Claus Kleber, Moderator des“heute-journals”, als Beispiel dienen. Wie man sich – abweichend von Friedrichs Credo – doch brutalst-möglich mit einer – in diesem Falle politischen – Sache gemeinmachen kann bewies Kleber zuletzt bei einem “Interview der übelsten Art” mit dem alten und bald neuen österreichischen Bundeskanzler, Sebastian Kurz.

Tendenz-Journaille kann man auch bei den diversen Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender beobachten. Egal ob sie “Hart aber fair”, “Anne Will”, “Maischberger” oder “Maybritt Illner” einschalten. Der Medienwissenschaftler, Prof. Norbert Bolz, bis Ende 2018 Universitätsprofessor an der TU Berlin, berichtete in einem Vortrag darüber, dass die Teilnehmer an den Talkrunden “gecastet” werden, das heißt, sie werden ausgesucht nach einer bestimmten Haltung, die sie in der Sendung dann auch zu vertreten haben. Wird das ablehnt, erfolgt keine Einladung. Für die Moderatoren hat das den Vorteil, dass sie kaum mit “Überraschungen” rechnen müssen.

Die genannten Formate bedienen sich dabei oft eines perfiden Tricks, um die Diskussion in eine bestimmte Richtung zu lenken. Achten Sie mal darauf: Angenommen, es soll über die “Renten-Misere” diskutiert werden. Man wird – abgeblich nur, um das Problem zu illustrieren – vermutlich einen kurzen, sog. “Einspieler” zum Thema bringen, etwa das Einzelschicksal einer Rentnerin, die – um leben zu können – noch immer bei anderen Leuten putzen geht. Oder: aus Krisengebieten werden auch gerne Bilder von Kindern in elendem Zustand, womöglich noch weinend gezeigt. Nach dem Einspieler wird es kaum jemand wagen, die gezeigten Szenen zu relativieren oder gar ihre Authentizität in Frage zu stellen. Augenblicklich würde er sich vor einem Millionenpublikum selbst zum Unmenschen machen. Da hätte es keine Bedeutung, dass es womöglich berechtigte Kritik mit guten Argumenten gäbe. Wenn Emotionen sprechen, haben Verstand und Realismus gefälligst zu schweigen. – Man stört Menschen nicht beim emotionalen Mitleiden, das gehört sich nicht.

Für diese Vorgehensweise der Medien gibt es eine uralte Bezeichnung aus berufenem Munde. Man spricht davon, dass diese Medien “Lazarett-Poesie” betreiben. Womit wir wieder bei den eingangs erwähnten Poeten wären. Der Begriff “Lazarett-Poesie” stammt, um es kurz zu machen, von keinem Geringeren als Johann Wolfgang von Goethe. In den “Gesprächen mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens” von Johann Peter Eckermann, lässt sich Goethe über diese “Lazarett-Poeten” aus:

[…] Ein bekannter deutscher Dichter war dieser Tage durch Weimar gegangen und hatte Goethen sein Stammbuch gegeben. »Was darin für schwaches Zeug steht, glauben Sie nicht«, sagte Goethe. »Die Poeten schreiben alle, als wären sie krank und die ganze Welt ein Lazarett. Alle sprechen sie von dem Leiden und dem Jammer der Erde und von den Freuden des Jenseits und unzufrieden, wie schon alle sind, hetzt einer den andern in noch größere Unzufriedenheit hinein. Das ist ein wahrer Missbrauch der Poesie, die uns doch eigentlich dazu gegeben ist, um die kleinen Zwiste des Lebens auszugleichen und den Menschen mit der Welt und seinem Zustand zufrieden zu machen. Aber die jetzige Generation fürchtet sich vor aller echten Kraft, und nur bei der Schwäche ist es ihr gemütlich und poetisch zu Sinne.

 

Ich habe ein gutes Wort gefunden,« fuhr Goethe fort, »um diese Herren zu ärgern. Ich will ihre Poesie die ›Lazarett-Poesie‹ nennen; dagegen die echt ›tyrtäische‹ diejenige, die nicht bloß Schlachtlieder singt, sondern auch den Menschen mit Mut ausrüstet, die Kämpfe des Lebens zu bestehen.« Goethes Worte erhielten meine ganze Zustimmung.” […]

Quelle: Gespräch Eckermanns mit Goethe vom 24.09.1827

 

Damit beschrieb Goethe ziemlich präzise und heute höchst aktuell wirkend den gegenwärtigen Habitus vieler, vor allem deutscher Medien, inklusive des öffentlich-rechtlichen Komplexes. Ja, Goethe hat uns allen auch heute noch viel zu sagen. Ich empfehle sein gigantisches Werk als Fundus und Quell der Weisheit sehr.

Wer den Protagonisten dieser, im Grunde zutiefst misanthropen und pessimistischen Tendenz-Journaille folgt, könnte in der Tat den Eindruck gewinnen in einer sehr üblen Welt zu leben. Dabei durchleben wir – bei allem Leid, das die Welt leider auch zu allen Zeiten bereit hält – gerade die beste Phase, welcher unser Planet für die Menschheit bisher zur Verfügung gestellt hat.

In das Vakuum, das die Abkehr vom ordentlichen Journalismus, wie ihn Hajo Friedrichs empfahl, hinterließ, stießen glücklicherweise alternative Medien, welche die Versäumnisse und Irrwege der Lazarett-Poeten ausgleichen und welche hinterfragen, was Kleber, Restle und Co. für ihre Tendenz-Berichterstattung, in welcher Nachricht und Meinung immer weniger getrennt bleiben, gerne unter den Teppich kehren.

Von ganz Rechtsaußen schallt diesen Vertretern seit einigen Jahren “Lügenpresse” entgegen (sie nutze damit das Vokabular der Nazis). Die Auflagen der Printmedien gehen dramatisch zurück, bei allen Umfragen erreichen vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien eine Glaubwürdigkeit von nur noch deutlich unter 40% (eine ARD-Sendeanstalt hat sich deshalb kürzlich ihre eigene Statistik gemalt, in der kommt sie natürlich besser weg, sie streut sich damit aber aber nur selbst Sand in die Augen). 

Meine Empfehlung: ARD und ZDF sollten Ulrik Haagerup, den Nachrichtenchef vom dänischen Fernsehen DR engagieren. Der hat seinem Sender, der ebenfalls in der Tendenz-Kloake versunken war und nur noch 30% Glaubwürdigkeit erreichte, einer Rosskur unterzogen und die Tendenz-Journaille konsequent aus der Redaktion verbannt. Heute erfreut sich der DR wieder einer über 80%igen Glaubwürdigkeit und ganz nebenbei wurde durch offene, faire Berichterstattung Dänemarks Rechte geradezu pulverisiert. Die hatten nämlich keine Möglichkeit mehr, sich in der Opferrolle zu suhlen, weil sie vom DR wie alle anderen politischen Kräfte auch behandelt wurden. Der Erfolg gab Haagerup recht. Inzwischen berät er europaweit andere Sendeanstalten, u.a. auch die britische BBC.

Aber Haagerup hat auch die Lazarett-Poesie aus der Redaktion verbannt. Er empfiehlt stattdessen, sich eines

DLF: Konstruktiven Journalismus’ 

 

zu bedienen (sehr lesenswert!).

Ich bin jedenfalls im Moment sehr froh, dass neben dem Leuchtturm deutschsprachiger Presse, die Neue Züricher Zeitung“, inzwischen auch Portale wie die von Henrik M. Broder ins Leben gerufene Achse des Guten gibt, welche das mediale Vakuum informativ ausfüllen, auch mit solchen Themen, welche die Mainstream-Medien fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Dabei verschweige ich nicht, dass die Achsen-Autoren bisweilen sehr nahe an rechte Narrative heranrücken. Wer voltaire’sche Tugenden hochhält sollte auch das ertragen können. Meine Hoffnung setze ich aber auf Leute mit Besonnenheit, wie eben Ulrik Haagerup.

Bild von darf_nicht_mehr_hochladen auf Pixabay


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