Autor: Kurt O. Wörl
Warum wir angeblich täglich „mindestens zwei Liter Wasser“ trinken, niemals das Frühstück auslassen und Angst vor Zucker haben sollten – und was davon reines Marketing oder interessengeleitete Legendenbildung ist. Viele Studienbehauptungen haben weniger mit Wissenschaft als mit ökonomischen Interessen zu tun. Dieser Text will mit Humor und Schärfe aufzeigen, wie Studien im Diskurs missbraucht werden – und wie man dem souverän entgegentritt. Für alle, die lieber denken als glauben.
Es gibt Menschen, die haben zu allem eine Meinung – und zu jedem Thema eine Studie. Sie betreten Diskussionsrunden nicht mit Argumenten, sondern mit einem imaginären Stapel von Papieren unterm Arm, den sie nie zeigen, aber stets triumphierend in die Luft halten. Mir fällt hier vor allem Alice Schwarzer, die Altfeministin, ein, die noch bei jedem Talkshow-Auftritt mit ominösen Studienbehauptungen „brilliert“ hat, ohne sie freilich je benannt zu haben. Ihr Lieblingssatz:
„Das ist längst durch Studien belegt.“
Damit soll alles gesagt sein, und zwar endgültig. Die Debatte soll hier enden – nicht etwa mit Einsicht, sondern mit Ehrfurcht. Wer widerspricht, soll als wissenschaftsignorant oder gar verschwörungsgläubig, mindestens aber als rückständig gelten. Die „Studienlage“ – das neue Totschlagargument gleich einem Gottesurteil – unanfechtbar, allgültig und wer sich darauf beruft ein selbsternannter Prophet.
Was früher das Kreuz war, ist heute die Studie: Man trägt sie vor sich her, um das Böse – also die andere Meinung – zu bannen. Die Argumentation besteht dann in der liturgischen Wiederholung: „Untersuchungen zeigen …“, „die Forschung ist da eindeutig …“, „die Wissenschaft sagt …“ – und wehe dem, der nachfragt: Welche Untersuchung? Welche Forschung? Welche Wissenschaft?
Denn meist stellt sich heraus: Es gibt die behauptete, konkrete Studie gar nicht, sondern lediglich ein vages Echo aus der Medienkakophonie, Talkshow-Schnipseln oder gesinnungsethisch aufgeladenen Sekundärquellen.
Die Rhetorik der Studienritter
Einige dieser Behauptungen sind so fest im kollektiven Bewusstsein verankert, dass sie kaum noch hinterfragt werden. Wer kennt sie nicht:
- „Der Mensch soll mindestes zwei, besser drei Liter Wasser am Tag trinken.“
Diese Botschaft hat sich eingebrannt wie ein Ernährungstipp aus der Bibel – dabei basiert sie auf exakt einer einzigen Studie. Und die stammt ausgerechnet von einem großen Mineralwasserproduzenten, der ein verständliches Interesse daran hatte, dass der Durst der Menschheit nicht allein durch das eigene Körpergefühl reguliert wird. Dass unser Durstmechanismus eigentlich ziemlich zuverlässig funktioniert – geschenkt. Hauptsache, der Absatz sprudelt.
Oder nehmen wir das alte Märchen:
- „Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages.“
Auch diese „Erkenntnis“ geht ursprünglich auf eine Werbekampagne eines amerikanischen Frühstücksflocken-Herstellers zurück – flankiert von „Ernährungsstudien“, die man im PR-Büro gleich mitformulierte. Inzwischen zeigen unabhängige Studien: Wer nicht frühstückt, lebt weder kürzer noch dümmer noch ungesünder – er hat nur später Hunger.
Ebenso beliebt:
- „Milch macht starke Knochen.“
Diese Formel, über Jahrzehnte in Kinderwerbung gegossen, beruht auf industrienahen Untersuchungen, die den Knochenschutz durch Calcium überhöhen – und dabei systematisch ausblenden, dass hohe Milchkonsumraten weltweit mit eher höheren Osteoporose-Raten korrelieren. Die Biochemie ist eben um einiges komplizierter als Werbebotschaften.
Und nicht zu vergessen:
- „Zucker macht Kinder hyperaktiv.“
Ein Mythos, der bis heute lebt – obwohl kontrollierte Studien keinerlei Kausalzusammenhang belegen konnten. Doch seit der ersten „Studie“ eines Zuckervermeidungs-Vereins wurde diese Legende so oft wiederholt, dass sie heute als Binsenweisheit gilt. Ein Lehrstück in psychologischer Erwartungsverstärkung – und ein PR-Erfolg sondergleichen.
Aber: Auch wenn Hyperaktivität durch Zuckergenuss längst als Legende enttarnt ist – übermäßiger Zuckergenuss ist trotzdem ungesund, kann zu faulenden Zähnen (Karies), Fettleibigkeit und Diabetes führen. – Das alles ist wiederum durch anerkannte Studien wirklich gut belegt.
Die Kunst des intellektuellen Bluffs
„Laut Studien …“ ist oft nichts anderes als der Versuch, sich die Mühe argumentieren zu müssen zu ersparen. Es ist das autoritäre Argument der Schein-Aufgeklärten – der Versuch, mit dem Wissenschaftsargument die eigene Meinung zu sakralisieren. Dabei ersetzt der Verweis auf eine Studie kein Argument, – es soll ein solches überflüssig machen.
Es ist wie beim Kartenspiel: Wer die Studie zieht, hofft auf den Stich. Doch häufig handelt es sich nicht um ein Ass, sondern um einen bedruckten Bierdeckel mit Siegelaufdruck.
Der Kern des Problems liegt tiefer: In einer überakademisierten, medienvermittelten Gesellschaft gilt Wissenschaftlichkeit als Gütesiegel – und zwar unabhängig davon, ob jemand versteht, was das eigentlich bedeutet. Dabei ist Wissenschaft keine Verlautbarungsmaschine, sondern ein mühsamer Prozess des Denkens, Prüfens, Zweifelns, des Falsifizierens, der Revision und der Debatte.
Jede Studie ist immer nur ein vorläufiges Ergebnis unter bestimmten Bedingungen. Sie ist wie ein Fernglas: Sie zeigt etwas – aber nie alles. Wer sie als Allzweckwaffe einsetzt, ersetzt die offene Auseinandersetzung durch methodisch getarnte Killer-Rhetorik.
Was tun? Die Kunst des gepflegten Zweifels
Die beste Waffe gegen Studien-Rhetorik ist nicht die Gegenrede, sondern die höfliche Demaskierung. Stelle Fragen. Fordere die Quelle. Bestehe auf Kontext. Frage nach Methodik, Stichprobe, Auftraggeber, Finanzierung. Nichts bringt Studien-Berufene so schnell ins Stottern wie ein gut gelauntes:
- „Oh, spannend – hast du einen Link dazu? – Wie heißt die Studie?“
Die Antwort wird man Dir mit großer Wahrscheinlichkeit schuldig bleiben.
Es geht dabei nicht darum, Wissenschaft zu delegitimieren, sondern ihren Missbrauch zu unterbinden. Denn wer sich ernsthaft auf Studien beruft, kann sie auch konkret benennen, hat sie gelesen – oder weiß zumindest, wovon sie handeln. Alles andere sind pseudoakademische Potemkinsche Dörfer aus Schein und Suggestion.
Der Unterschied zwischen Erkenntnis und Etikett
Wer wissenschaftlich argumentiert, kennt die Demut vor dem Vorläufigen. Wer nur so tut, als argumentiere er wissenschaftlich, ist ein erkenntnispolitischer Hochstapler im geklauten Laborkittel. Wir sollten stets unterscheiden zwischen Argument und Autoritätsgeste, zwischen Begründung und Behauptung, zwischen Beleg und Belehrung.
Denn:
Nicht wer am lautesten „Studien!“ ruft, hat recht –
sondern wer am besten fragen und hinterfragen kann.
So gesehen ist die wichtigste Disziplin in der Diskussion nicht das Zitieren, sondern das Prüfen. Nicht die Quellenfülle, sondern die Quellenkritik. Und nicht der blinde Studienglaube, sondern der mutige Zweifel als Ausdruck intellektueller Reife.
Werkzeuge gegen die Studienkeule
Damit du künftig nicht sprachlos bleibst, wenn dir wieder jemand mit der „Studienlage“ winkt, hier ein kleiner Werkzeugkasten für den Alltag. Du musst kein Professor sein – nur neugierig, höflich und ein bisschen skeptisch.
1. Die Präzisierungsfrage
- „Welche Studie genau meinst du?“
- „Weißt du noch, wer sie erstellt hat?“
- „Wo wurde sie veröffentlicht?“
Diese Fragen wirken wie ein Lichtstrahl in den Nebel. Meist reicht schon eine aus, um die studiengestählte Fassade ins Wanken zu bringen. Wer tatsächlich weiß, wovon er spricht, freut sich über das Interesse. Wer nur hofft, damit durchzukommen, fällt meist mit roten Ohren und Blässe im Gesicht auf.
2. Der Kontextcheck
- „War das eine Beobachtungsstudie oder ein kontrolliertes Experiment?“
- „Wurde Kausalität festgestellt oder nur ein Zusammenhang beschrieben?“
- „Wie groß war die Stichprobe?“
Mit diesen Fragen trittst Du auf Augenhöhe in den Diskurs. Du musst nicht alle Antworten kennen – du musst nur interessiert die richtigen Fragen stellen.
3. Der Finanzierungsdetektor
- „Weißt Du, wer die Studie finanziert hat?“
- „Gab es Interessenkonflikte? – Cui bono? – wem nützt das Ergebnis?“
Viele Studien sind nicht falsch – aber überaus tendenziös. Der Blick auf die Auftrag- und Geldgeber ersetzt nicht die Methodenkritik, aber er schärft die Wahrnehmung. Ein „wissenschaftliches Ergebnis“ klingt anders, wenn es aus dem PR-Budget eines Großkonzerns stammt.
4. Die Gegenthese
- „Ich habe zu dem Thema auch andere Studien gesehen,
mit gegenteiligen Ergebnissen.“
Allein diese Bemerkung reicht, um die Illusion der alternativlosen Evidenz zu zerstören. Wissenschaft ist keine Einbahnstraße – sondern ein Diskursraum. Wer das nicht aushält, sollte nicht mit ihr argumentieren.
5. Der höfliche Bluff-Stopp
- „Ein Verweis auf eine nicht näher bezeichnete Studienlage
ist für mich kein Argument.“ - „Ich glaube gern an Wissenschaft –
aber ich glaube nicht an Zitate ohne Quelle.“
Du bleibst sachlich, aber bestimmend. Kein Spott, keine Aggression – nur ein klarer Hinweis, dass Du kein Weihrauchopfer im Tempel der Pseudowissenschaft darbringen wirst.
Zum Mitnehmen
Die Wissenschaft ist kein Zauberstab, mit dem man Diskussionen beenden kann. Sie ist ein Werkzeug – und Werkzeuge wollen beherrscht werden. Wer sich auf sie beruft, muss wissen, was er tut. Wer sie nur zitiert, um andere zum Schweigen zu bringen, hat sie vermutlich gar nicht verstanden.
Oder wie Karl Popper es formulierte – lange bevor die Influencer ihre „Studien“ posteten:
„Wissenschaft muss falsifizierbar sein – sonst ist sie Religion.“
In diesem Sinne: Fröhliches Fragen, entspanntes Zweifeln – und gern ein Glas Wasser dazu. Zwei Liter müssen nicht sein – laut Studien. – Hör einfach auf Dein Durstgefühl.
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