Autor: Kurt O. Wörl
Die Politologie ist ein merkwürdiges Ding.
Sie behauptet, die Demokratie zu begleiten.
Aber sie sitzt immer hinterher im Auto und ruft:
„Ich hab’s kommen sehen.“
Sie ist der Notar der Geschichte.
Sie beglaubigt das, was alle längst wissen –
aber mit Fußnote.
Und abstrakt.
Was ist ein Politologe?
Ein Mensch, der viel weiß.
Und wenig riskiert.
Er beobachtet den Machtbetrieb –
aus sicherer Entfernung.
Er kennt sich aus mit Parteien,
Wählerwanderungen,
Koalitionen und Koalitionsvermeidungen.
Er kann Wahlergebnisse nachträglich so erklären,
dass es aussieht, als wäre es nie anders möglich gewesen.
Der Politologe ist der einzige Mensch,
der von allem die Gründe kennt –
aber nie eine Verantwortung trägt.
Er ist nicht links.
Er ist nicht rechts.
Er ist nicht vorn.
Er ist nicht hinten.
Er ist – verortet.
Im diskursiven Zwischenraum – zwischen Haltung und Hashtag.
Politologie ist wie ein Wetterbericht,
der erklärt, warum es geregnet hat,
aber keine Auskunft gibt,
ob man heute den Schirm mitnehmen soll.
Sie liefert keine Prognose.
Sie liefert keine Lösung.
Aber sie liefert: Einordnung.
Einordnung ist das,
was man tut,
wenn man nicht mehr helfen kann.
Politologen erkennt man daran,
dass sie Sätze sagen wie:
„Diese Entwicklung war absehbar.“
oder: „Die demokratische Resilienz ist bedroht.“
oder: „Die Mitte bröckelt.“
Was sie nie sagen, ist:
„Ich hatte Unrecht.“ oder:
„Ich weiß es nicht.“
Denn das würde Vertrauen zerstören –
in einen Beruf, der vom Ungefähren lebt.
Der Politologe liebt das Panel.
Er sitzt gern in Runden.
Mit Mikrofon.
Mit Stirnrunzeln.
Mit der ernsten Miene
eines Mannes, der schon mal
ein Wahlprogramm gelesen hat – freiwillig!
Er sagt „Transformation“.
Er sagt „Systemvertrauen“.
Er sagt „Demokratieverdrossenheit“.
Er sagt alles – nur nicht:
Was jetzt konkret zu tun wäre.
Er sieht den Aufstieg der Populisten –
aber nicht die Ursachen.
Er warnt vor der Erosion demokratischer Werte –
aber nicht vor den Leuten, die sie täglich befördern,
mit dummen Talkshows, falscher Rücksicht
und Beraterverträgen.
Er hat ein feines Gespür für Gefahren –
solange sie abstrakt bleiben.
Ein Politologe ist wie ein Regisseur, der nie selbst gedreht hat.
Wie ein Koch, der über Geschmack promoviert,
aber nie ein Salzfässchen angefasst hat.
Wie ein Ballettkritiker, der Rückenschmerzen bekommt,
wenn er das Wort „Spagat“ hört.
Und warum das alles?
Weil man mit Meinung Geld verdienen kann,
solange sie wie Wissenschaft klingt.
Kurz gesagt:
Die Politologie ist die Wissenschaft vom
Reden ohne Folgen.
Sie bringt Erkenntnis – aber keine Richtung.
Sie bringt Erklärung – aber kein Ergebnis.
Sie ist der große Chor im Theater der Demokratie –
der ständig singt, aber nie ein Konzert bestreitet.