Positionspapier: Einen Watch Dog für den ÖRR

Weil die Rundfunkräte kaum Wirkung entfalten
Lesedauer ca. 7 Minuten

Autor: Kurt O. Wörl

Vertrauen ist die härteste Währung der Demokratie. Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) dieses Vertrauen verspielt, verliert nicht nur ein Mediensystem seine Glaubwürdigkeit – sondern der demokratische Diskurs seine Mitte. Immer mehr Bürger sehen in ARD, ZDF und Deutschlandfunk nicht mehr den gemeinsamen Lagerfeuerplatz der Nation, sondern ein Sprachrohr einseitiger links-grüner Narrative. Diese Wahrnehmung ist nicht unbegründet: In Umfragen attestieren sich mehr als 70 % der Mitarbeiter des ÖRR selbst eine eher linke oder grün-progressive Haltung; bei den Volontären der ARD liegt dieser Anteil nach einer internen Erhebung sogar bei über 90 %.

Was fehlt, ist nicht Geld, sondern demokratische Kontrolle. Nicht Einfluss, sondern wirksame Rückmeldung (Feedback). Nicht Zensur, sondern Rechenschaft. In anderen Bereichen haben sich zivilgesellschaftliche Watch Dogs längst etabliert – Abgeordnetenwatch.de für die Politik, Transparency International für Korruptionsbekämpfung, Foodwatch für Verbraucherschutz, Lobbycontrol, Correctiv oder FragDenStaat für die Förderung der Informationsfreiheit.

Nur der milliardenschwere öffentlich-rechtliche Rundfunk bleibt bisher ohne kritisches Gegenüber. Die dafür eigentlich vorgesehenen Rundfunkräte sind selbst politisch durchsetzt und kommen ihrer Aufgabe nicht nach.

Es ist Zeit, das zu ändern – durch einen unabhängigen Watch Dog, der dem ÖRR als Korrektiv hilfreich und vor allem wirksam zur Seite steht, bevor das Vertrauen endgültig verspielt ist. Nachfolgend ein Vorschlag, wie dieser Watch Dog sinnvoll gestaltet werden kann, ohne den ÖRR in der grundgesetzlich geschützten Pressefreiheit einzuschränken, ihn aber wieder auf seine vertraglichen Verpflichtungen aus dem Medienstaatsvertrag zurückzuführen.

1. Vertrauenskrise im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) ist im Grundgesetz verankert und durch den Medienstaatsvertrag geregelt. Er soll staatsfern, ausgewogen und meinungsplural zur freien Meinungsbildung in der demokratischen Gesellschaft beitragen. Dieser Auftrag ist nicht bloß technokratisch – er berührt die Substanz des demokratischen Diskurses.

Doch diese Institution hat in weiten Teilen der Bevölkerung das Vertrauen verloren. Die Kritik richtet sich nicht generell gegen die Existenz des ÖRR, sondern gegen seine inhaltliche Schieflage, ideologische Voreingenommenheit, politisierte Berichterstattung und mangelnde Transparenz bei der Themengewichtung.

Zahlreiche Studien belegen diesen Vertrauensschwund: Besonders das Reuters Institute (Digital News Report 2023) konstatiert einen deutlichen Rückgang des Vertrauens in die Nachrichten in Deutschland. Nur 43% der Erwachsenen meinen in dieser Umfrage, dass man der Berichterstattung trauen kann. (Quelle: Leipnitz-Institut). In der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen liegt der Vertrauenswert bei unter 40 %. Noch geringer ist er unter Bürgern mit mittlerem oder niedrigem Bildungsabschluss oder nicht-akademischem Berufshintergrund.

Ein zentrales Problem ist das Versagen der vorgesehenen Kontrollinstanzen. Die Rundfunkräte – formal mit Aufsicht betraut – haben sich in der Praxis als nahezu wirkungslos erwiesen. Ihre Mitglieder werden vielfach auf Vorschlag politischer Parteien, staatsnaher Organisationen oder regierungsfreundlicher Verbände entsandt. Die Folge: Politische Einfärbung statt unabhängiger Kontrolle. Programmbeschwerden werden abgewiegelt, kritische Rückfragen unterbleiben, Rechenschaft wird nicht eingefordert. Die Räte sind strukturell zahnlos, methodisch schlecht aufgestellt und intellektuell oft unterbesetzt.

Die Menschen zahlen – aber erleben sich nicht als Teil eines demokratisch mitverantworteten Mediensystems. Das beschädigt nicht nur den ÖRR, sondern die demokratische Kultur insgesamt.

2. Der Vorschlag: Ein pluraler, professioneller Watch Dog

Um dieser Erosion des Vertrauens zu begegnen, wird die Einrichtung eines unabhängigen, plural kontrollierten Watch Dogs für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgeschlagen. Dieser Watch Dog soll dauerhaft beobachten, analysieren und öffentlich dokumentieren, ob der ÖRR seinen gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Auftrag erfüllt. Er soll keine Zensur ausüben, sondern Transparenz schaffen und Verantwortung einfordern – durch saubere Medienanalyse, öffentlich zugängliche Berichte und nachvollziehbare Kritik.

Er ersetzt symbolische Gremien durch eine professionelle, öffentlich legitimierte Beobachtungsstruktur.

3. Struktur des Watch Dogs

3.1 Trägerschaft: Stiftung pluraler Öffentlichkeit

Der Watch Dog wird von einer gemeinnützigen, staats- und politikfernen Stiftung getragen, die ausschließlich dem Zweck dient, die Qualität und Pluralität öffentlich-rechtlicher Medien zu beobachten. Diese Stiftung ist rechtlich unabhängig, organisatorisch transparent und gesellschaftlich legitimiert.

3.2 Der Stiftungsvorstand: Unabhängigkeit durch höchste Instanz

Der drei- bis fünfköpfige Stiftungsvorstand wird ausschließlich mit pensionierten Richtern der obersten Bundesgerichte besetzt – namentlich des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs oder des Bundesverwaltungsgerichts.

Diese Persönlichkeiten stehen für:

  • verfassungsrechtliche Integrität,
  • parteiunabhängige Neutralität,
  • juristische Exzellenz,
  • und die nötige Distanz zu medialen und politischen Machtstrukturen.

Sie fungieren als Aufsicht, Repräsentanz und ethisches Rückgrat der Stiftung – ohne in redaktionelle Prozesse einzugreifen.

3.3 Der Stiftungsrat: Elder Statesmen als Wächter der Unabhängigkeit

Die Bestellung des Stiftungsvorstands und die Überwachung der Satzungstreue obliegen einem Stiftungsrat aus neun elder statesmen – allesamt Personen mit demokratischer Biografie, öffentlichem Ansehen und glaubhafter Staats- und Politikferne.

Zur Auswahl kommen:

  • ehemalige Verfassungsrichter,
  • pensionierte Präsidenten von Bundesgerichten,
  • profilierte Bürgerrechtler (insbesondere aus Ostdeutschland),
  • unabhängige Hochschulprofessoren für Medienrecht oder Demokratietheorie.

Die Mitglieder des Stiftungsrats werden durch einen plural besetzten Konvent berufen, in dem Institutionen wie der Deutsche Juristentag, die Bundeszentrale für politische Bildung, der Ethikrat oder der Deutsche Presserat vertreten sind – jedoch keine Parteien, keine Ministerien und keine ÖRR-Gremien.

4. Aufgaben des Watch Dogs

Der Watch Dog analysiert dauerhaft:

Nachrichtenformate, politische Magazine, Talkshows und gesellschaftlich relevante Reportagen

  • Gästeauswahl, Framing, Themengewichtung, ideologische Schieflagen
  • Reaktionen auf Programmbeschwerden und deren Behandlung
  • Ausschlüsse, Schwerpunktthemen und Agenda-Strategien

Er veröffentlicht:

  • vierteljährliche Zwischenberichte
  • einen ausführlichen Jahresbericht
  • Sondergutachten bei gravierenden Auffälligkeiten

Alle Analysen sind öffentlich zugänglich, nachvollziehbar dokumentiert und methodisch begründet.

5. Finanzierung: Gebührengestützt – aber zweckgebunden

Der Watch Dog wird finanziert aus einem festen, gesetzlich verankerten Anteil des Rundfunkbeitrags – anfangs 0,5 % (etwa 42 Mio. EUR jährlich). Zudem wird ein dynamischer Eskalationsmechanismus eingeführt:

  • Werden systematische Verstöße gegen Ausgewogenheit oder Pluralität festgestellt, erhöht sich der Anteil automatisch um 0,25 % im Folgejahr – bis maximal 1,5 %.
  • Bessert der ÖRR in der Berichterstattung nach, sinkt der Anteil wieder ab.

So entsteht ein Anreizsystem: Wer sich entsprechend des Medienstaatsvertrags ausgewogen verhält, behält seine Mittel. Wer Warnungen ignoriert, muss mehr Kontrolle ertragen und mitfinanzieren.

Die Bevölkerung zahlt also nicht „für Kontrolle“, sondern für die Qualitätssicherung im ÖRR, mit Rückkopplung.

6. Verfassungsrechtliche Bewertung

Der Watch Dog ist vollkommen grundgesetzkonform. Er greift nicht in Inhalte ein, schreibt keine redaktionellen Entscheidungen vor und zwingt zu keiner Programmänderung. Er zensiert also nicht. Er ist eine zivilgesellschaftlich organisierte Beobachtungsinstanz – vergleichbar mit dem Deutschen Presserat oder dem Bundesrechnungshof. – Aber er hilft dem ÖRR, sich seiner Pflichten aus dem Medienstaatsvertrag stets bewusst zu bleiben und danach zu handeln.

Das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 GG) schützt vor staatlichen Eingriffen – nicht vor öffentlicher Kritik. Der Watch Dog dokumentiert – er zensiert nicht.

7. Klagerecht: Intervention vor dem Bundesverfassungsgericht

Ein entscheidender Punkt: Was geschieht, wenn der ÖRR den Watch Dog systematisch ignoriert? Wenn Analysen abgewertet, Empfehlungen ignoriert und Missstände bagatellisiert werden?

Hierfür schlagen ich vor, dem Watch Dog in seiner Funktion als Institution im öffentlichen Interesse ein subsidiäres Klagerecht vor dem Bundesverfassungsgericht einzuräumen.

Möglich wird dies durch eine gesetzliche Neudefinition:

  • Die Stiftung wird als „öffentliche Kontrollinstanz für medienethische Grundversorgung“ anerkannt,
  • Sie kann beim BVerfG Klage erheben, wenn der ÖRR dauerhaft gegen Art. 5 GG i.V.m. dem Medienstaatsvertrag verstößt,
  • Die Klage bezieht sich nicht auf einzelne Beiträge, sondern auf strukturelle Versäumnisse über längere Zeiträume.

Ein solches Klagerecht wäre neu, aber juristisch tragfähig – vergleichbar mit dem Beschwerderecht des Bundesrechnungshofs oder der Bundesdatenschutzbehörde.

8. Perspektivisch: Ersatz der Rundfunkräte

Langfristig könnte der Watch Dog sogar die Funktion der bisherigen Rundfunkräte übernehmen. Diese sind bereits heute sehr teuer, aber ineffizient, intransparent und parteipolitisch durchsetzt. Und es sind sehr, sehr viele Rundfunkräte, die eigentlich den ÖRR kontrollieren sollten: ARD=529, ZDF=60, Deutschlandradio=45, Deutsche Welle= 17 (Quelle: taz).

Diese zusammen 651 Rundfunkräte erhalten – je nach Sender anders geregelt – für ihr an sich ehrenamtliches Engagement Aufwandsentschädigungen, Sitzungsgelder und Reisekosten aus den Mitteln der Sender. Wie kritisch kann also ein Gremium sein, das vom zu kontrollierenden Sender alimentiert wird? Die Fälle, in welchen die Rundfunkräte wirklich einmal bei ihren Sendern interveniert hätten, sind überschaubar. Im Netz fand ich gerade einmal vier Fälle (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Fall Intervention Folge Seltenheit
NDR „Deutsche Schuld“ Programmfeststellung als Verstoß Rückzug der Doku, Einsicht sehr selten (<10)
RBB Schlesinger Abberufung der Intendantin Personalwechsel bei Führung einmalig, politisch gravierend
NDR Kiel-Führung Intervention zu redaktioneller Einflussnahme Rücktritt von Chefs, Untersuchung geplant selten, öffentlich relevant
MDR Personalwahl Ablehnung durch Rundfunkrat Absage und Reformdiskussion selten, weniger öffentlich

(Quellen: DWDL.de, LTO)

Jedenfalls, durch den Watch Dog wird diese Kontrolle nicht abgeschafft, sondern entpolitisiert, professionalisiert und pluralisiert.

9. Schlussfolgerung und demokratische Notwendigkeit

Ein funktionierender öffentlich-rechtlicher Rundfunk braucht mehr als Geld – er braucht Vertrauen. Dieses Vertrauen kann nicht verordnet werden – es muss verdient, überprüft und öffentlich begründet sein.

Ein pluraler Watch Dog, getragen von Persönlichkeiten mit juristischer Integrität, finanziert aus bestehenden Mitteln, organisiert mit medienethischer Verantwortung, ist das richtige Instrument zur Rettung des öffentlich-rechtlichen Systems vor sich selbst.

Er schützt nicht nur den Zuschauer – er schützt die Idee des ÖRR vor dem Verlust ihrer Glaubwürdigkeit.

10. Gibt es eine Alternative zu einem ÖRR-Watch

Die gibt es! – Eine tragfähige Alternative oder Ergänzung zur institutionellen Kontrolle durch einen Watch Dog bietet das Beispiel Dänemarks, wo der öffentlich-rechtliche Sender DR unter der Leitung seines damaligen Nachrichtenchefs Ulrik Haagerup eine bemerkenswerte journalistische Erneuerung durchlief – mit tiefgreifenden Folgen für das Vertrauen der Bevölkerung und die Marginalisierung rechtspopulistischer Kräfte.

Bevor Haagerup mit dem von ihm geprägten Konzept des „constructive journalism“ international bekannt wurde, setzte er intern beim DR etwas viel Fundamentaleres durch: eine harte Rückkehr zur journalistischen Ausgewogenheitspflicht. In einer Redaktion, die von vielen Reportern selbstbewusst als „progressiv“ oder „linksliberal“ beschrieben wurde, bestand er auf der Einhaltung des klassischen öffentlich-rechtlichen Auftrags: keine Einseitigkeit, keine moralische Schlagseite, keine parteipolitische Tendenz. Das rief in den Redaktion natürlich Widerstände hervor – nicht aus Angst vor Zensur, sondern weil viele Journalisten in ihrer Haltung bereits den Maßstab für legitime Berichterstattung sahen, nicht anders wie im deutschen ÖRR.

Doch Haagerup blieb unbeirrt: „Wir berichten für alle – nicht für unsere Milieus.“ Unter seiner Leitung wurde die redaktionelle Arbeit durch interne Audits, methodische Ausgleichsverfahren und eine systematische Selbstreflexion überprüft. Wer etwa über Migration, Sozialpolitik oder Klimaschutz berichtete, musste systematisch mehr als eine Perspektive anbieten, unterschiedliche Milieus zu Wort kommen lassen und Sprachbilder vermeiden, die Meinung als Fakten tarnen.

Es gab 2016 eine selten selbstkritische Dokumentation des Medienmagazins ZAPP (NDR), in dem Haagerup seine erfolgreiche Umstellung der Berichterstattung erklärte. Diese kann auf Youtube noch nachgesehen werden: „Medien in der Vertrauenskrise“. Das Statement von Ulrik Haagerup finden Sie ab Min 25:54. Ich empfehle aber, sich die gesamte Sendung (ca. 30 Minuten) anzusehen, weil sie das Problem der einseitigen Berichterstattung plastisch darstellt. – Interessant auch, wie sich einige deutsche Journalisten gegen den Weg Haagerups wehren.

Erst auf dieser Grundlage – also einer glaubwürdigen Neutralität – konnte Haagerup später den konstruktiven Journalismus aufsetzen: eine Haltung, die nicht relativiert, aber respektiert, die nicht skandalisiert, aber differenziert. Die nicht „beide Seiten“ künstlich gleichsetzt, sondern die Komplexität gesellschaftlicher Wirklichkeit nicht dem Kampagnenmodus opfert.

Die Wirkung war durchschlagend: Das Vertrauen in den DR stieg signifikant, von nur unter 40% auf über 80%, die Zuschauerbindung nahm wieder zu, insbesondere bei jungen Erwachsenen und politisch eher konservativen Bürgern, die sich zuvor vom ÖRR entfremdet hatten. Und auch die populistische Rechte, die lange in einer Opferrolle den DR als Feindbild kultivierte, verlor ihren publizistischen Resonanzraum, weil ihre medienkritische Selbstinszenierung nicht mehr verfangen konnte.

Haagerups Modell ist ein Beweis, dass glaubwürdiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk möglich ist, wenn man redaktionellen Mut mit professionellen Standards verbindet. Und es ist ein Gegenbeweis zu der in Deutschland verbreiteten Annahme, ein Sender müsse sich entweder an der „richtigen Haltung“ oder an der „kalten Neutralität“ orientieren. Er zeigt: Demokratie braucht keine Haltungsjournalisten – sie braucht faire, disziplinierte Berichterstatter, die vom mündigen Medienkonsumenten ausgeht und diesem die Einordnung der ausgewogenen Berichterstattung zutraut.


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