Trigger mich nicht, du Reaktionär!

Satirischer Feldversuch im Reich der Empfindsamen
Lesedauer ca. 4 Minuten

Autor: Kurt O. Wörl

„Satire darf alles“, schrieb einst Tucholsky. Heute gilt das nur noch eingeschränkt – etwa dann, wenn sie auf die Üblichen zielt: Besitzbürger, Grillfreunde, Dieselpendler, Konservative. In die andere Richtung ist längst Sperrgebiet. Dort regiert das Lager der Empfindsamen, moralisch lizenziert und ironiedicht versiegelt. Wer dort den Witz wagt, bekommt keine Widerrede, sondern Etikett, Exil und ein digitales Standgericht. Willkommen zum kontrollierten Kontrollverlust – ein Ausflug in die humorfreien Höhenlagen der Fortschrittsfrömmigkeit, wo der Humor stirbt, wenn er nicht vorher gegendert wird.

Lachen ist erlaubt – allerdings nur mit Triggerausweis und moralischer Voranmeldung. Die Pointe muss sich rechtfertigen, die Ironie entschuldigen, der Leser versichern, dass er innerlich aufgewühlt, aber solidarisch gestimmt ist. Wer heute noch lacht, ohne vorher die richtige Haltung beizubringen, riskiert die soziale Bilanz seines Freundeskreises. Der Witz wurde politisiert – nicht durch seine Inhalte, sondern durch die Empfindlichkeit seiner Zielgruppen.

Vom Aufbegehren zum Obergericht

Was einst als rebellisches Aufbegehren begann, nennt sich heute „woke“ und agiert als moralisches Obergericht – ausgestattet mit dem Gestus eines Schiedsrichters, der keine Spielzüge mehr pfeift, sondern nur noch rote Karten verteilt. Satire ist willkommen – sofern sie nach den neuen Spielregeln auftritt: Spott über die progressive Szene gilt als Mikroaggression, Ironie als strukturelle Gewalt. Kritik wird nicht diskutiert, sondern diagnostiziert. Wer die neuen Unantastbaren auch nur ankratzt, dem schlägt kein Argument entgegen, sondern die Entrüstung als Karrierehindernis. – Gaslighting-Attacken nicht ausgeschlossen.

Dreifach geimpft gegen Humor

Inzwischen hat sich diese Szene gegen Humor geimpft. Dreifach. Mit Booster. Lachen gilt als verdächtig, Spott als Angriff auf die emotionale Integrität, Ironie als postkoloniale Provokation. Die Pointe ist ein Risiko, wenn sie sich nicht vorher entschuldigt. Die neue Zartheit trägt Nonkonformisten-Uniform – und sie marschiert durch Redaktionen, Hochschulen und Kulturbetriebe mit der Überzeugung eines Glaubensoffiziers, der Zweifel für ein Sakrileg hält. Wer die neue Empfindsamkeit aufs Korn nimmt, begeht kein Delikt gegen Personen – sondern eines gegen den Zeitgeist. Und der kennt keine Gnade.

Die selbsternannte Avantgarde – einst bissig, anarchisch, widerspenstig – gibt sich heute als humorpädagogischer Dienstleister mit veganem Zeigefinger und CO₂-neutraler Pointe. Der Hofnarr ist verschwunden, übrig geblieben sind Haltungskommissare im Flanellhemd, die den Witz als normierten Service betreiben. Sie rütteln nicht mehr am System – sie stabilisieren die Wohlfühlkoordinaten ihrer Blase. Gelacht wird, aber nur über das, was von oben freigegeben ist. Und wehe, man hält dem Empfindlichkeitsadel den Spiegel vor – dann wird aus Satire sehr schnell Blasphemie.

Minenfeld Pointe

Die neue Lachtopologie kennt ihre Regeln: Wer oben steht, darf nicht nach unten lachen – es sei denn, er gehört selbst zu einer marginalisierten Metaebene. Ein queerer weißer Mann darf über Heteros witzeln. Heterosexuelle besser nicht über Queers, obwohl sie oft lachhaftes Outfit tragen. Eine lesbische Frau darf Männer karikieren, umgekehrt wird es als queer- und frauenfeindlich verstanden. Der Witz ist ein Minenfeld. Wer ihn betritt, benötigt ein Clearing-Verfahren, eine Trigger-Broschüre und ein Betroffenheitszertifikat. Die Pointe braucht inzwischen eine Betriebserlaubnis – und am besten eine Versicherung gegen Folgeschäden.

Der Spieß der Satire, einst beweglich und zweischneidig, zeigt heute starr in eine Richtung. Aus subversiver Zuspitzung wurde didaktisches Dauernicken. Die Spaßverwalter der neuen Zartheit haben die Satire entkernt, geglättet, reguliert. Was einst provozierte, ist heute korrekt eingebettet. Was einst kratzte, steht unter Erlaubnisbedarf. Der Humor hat den Staub der Institutionen angenommen: trocken, formell, rückversichert. Wo früher Biss war, ist heute Broschüre.

Spiegel vorhalten 

Ich habe den Spieß umgedreht – nicht aus Bosheit, sondern aus Notwehr. Als chronisch ironieaffiner Zeitgenosse reagiere ich auf Denkverklumpung nun einmal allergisch – mit Spott. Also schrieb ich über Pronomen-Duelle in WG-Vollversammlungen, über Antiweißheits-Trainings mit pädagogisch begleiteter Tränenfreisetzung, über Biologielehrer, die in der Reproduktionslehre lieber auf Gefühl als auf Genetik setzen. Und über Diskriminierungs-Bingo als spirituelle Gruppenarbeit. Ich rechnete mit einem müden Lächeln. Ich bekam: Entrüstung. Ich sei „problematisch“. Was dort etwa dem Vorwurf der seelischen Unreinheit entspricht – nur eben mit Regenbogensiegel.

Nicht, weil ich verletzte – sondern weil ich spiegelte. Zu scharf. Zu ironisch. Zu genau. Denn das, woran sich die neue Empfindsamkeit so wundreibt, ist nicht der Angriff – sondern die bloße Erinnerung an ihre eigenen Widersprüche. Was ist das für ein Fortschritt, der keine Rückfragen mehr erträgt? Was ist das für ein Kollektiv, das sich für den Maßstab des Guten hält, aber jede Irritation als Angriff wertet? Und was ist das für eine Satire, die sich im Meinungskuscheln erschöpft?

Humor als Freiheitsmesser

Man erkennt autoritäre Systeme nicht nur an ihren Verboten – sondern an ihrer Humorlosigkeit. An ihrem Unwillen zur Selbstironie. An ihrer Angst vor dem Lachen, das nicht von ihnen bestellt wurde. Humor ist immer subversiv. Er relativiert das Heilige, durchlüftet geschlossene Weltbilder und kratzt an der Pose. Deshalb fürchten ihn Ideologen. Humor ist wie Demokratie: manchmal unhöflich, gelegentlich unfair – aber unverzichtbar.

Die Hofnarren sind verschwunden. An ihre Stelle traten Beauftragte. Sie tragen keine Schellen, sondern Richtlinien. Und sie entwerfen Empfehlungen für „diskriminierungssensible Satire“. Kein Witz – eine Wirklichkeitsbeschreibung. Man rät dort, bei Witzen über Randgruppen vorher die „Selbstbezeichnung“ einzuholen. Oder noch besser: es einfach zu lassen.

Doch wohin führt das? Wenn niemand mehr über das Lachhafte und sich selbst lachen mag – wer darf es dann noch über andere? Wenn jede Pointe ein Prüfverfahren durchlaufen muss – wie viele überleben? Wenn jedes Augenzwinkern als Affront gilt – was bleibt dann von der Ironie? Wir leben in Zeiten, in denen Moral über Freiheit steht, Befindlichkeit über Verstand und Gesinnung über Gelassenheit. Das ist kein Fortschritt – das ist Dekadenz mit Gendersternchen.

Vielleicht, nur vielleicht, sollte sich das bewusstseinsoptimierte Milieu an einen Vorfall in Paris erinnern. Damals wurde fast die gesamte die Redaktion eines Satiremagazins erschossen. Nicht wegen Hass, sondern wegen Satire. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass auch hierzulande jene, die den Witz als Angriff werten, in ihrer Humorallergie beunruhigende Ähnlichkeit mit den Tätern von damals zeigen.

Der Witz ist frei  – noch

Satire ist nur Satire, wenn sie kratzt – gerne auch mich selbst. Ich will lachen über das, was ich liebe und über mich. Ich will keine ironische Einbahnstraße. Keine Satire mit TÜV-Plakette. Ich will Witz – mit Eigensinn. Und die Freiheit für alle, ihn auch zu äußern.

Der Satz „Der Witz ist frei“ stammt aus einer Zeit, als Intelligenz noch links war. Heute klingt er wie ein Aufruf zum Widerstand. Und vielleicht ist er genau das. Denn solange noch jemand lacht – auch über das, was nicht zur moralischen Freigabe vorgesehen ist – ist noch nicht alles verloren, auch wenn die selbsternannte Avantgarde es verlernt hat.


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