Zwischen Sprachstolz und Sprachscham

ARD und ZDF diskriminieren Dialekte, aber nicht alle:

Symbolfoto KI-generiert

Autor: Kurt O. Wörl

Im deutschen Sprachraum existiert ein paradoxes Spannungsfeld zwischen sprachlicher Vielfalt und sprachlicher Normierung. Einerseits ist Deutschland reich an Dialekten, die Ausdruck regionaler Kultur, historischer Identität und kommunikativer Intimität sind. Andererseits dominiert im öffentlichen Raum ein standardisiertes Hochdeutsch, das als Bildungs- und Prestigesprache fungiert. Dieses Spannungsverhältnis wird nicht zuletzt durch die Medien forciert, die Dialekte nach ästhetischen und sozialen Kriterien unterschiedlich gewichten. Besonders deutlich wird das am Beispiel der beliebten Krimireihe „Tatort“.

Ein genauer Blick auf die Darstellung von Sprache im Fernsehen offenbart eine beunruhigende Tendenz: Nicht alle Dialekte sind gleich. Während etwa der oberbayerische und der wienerische Dialekt – beide reich an idiomatischer Vielfalt und klanglicher Musikalität – in Medien mit Sympathie, Humor und sogar Charisma verbunden werden, bleiben andere Sprachformen, wie das Fränkische, randständig. In Produktionen wie dem Franken-Tatort sprechen die Hauptfiguren – etwa die Kommissare – konsequent Hochdeutsch. Fränkisch bleibt den Randfiguren vorbehalten: uniformierten Beamten, schrulligen Zeugen oder provinziellen Tatverdächtigen. Das hat eine subtile, aber tiefgreifende Wirkung: Dialekt wird zum Marker für Randständigkeit, nicht für Kompetenz.

Diese Inszenierung reproduziert eine implizite soziale Hierarchie. Hochdeutsch bedeutet in dieser medialen Grammatik: Kontrolle, Bildung, Intelligenz. Dialekt bedeutet: Bodenständigkeit, aber auch Naivität, Komik, manchmal gar Einfalt. Besonders perfide ist dabei die Art, wie dieser Effekt auftritt: nicht als explizite Aussage, sondern durch wiederholte, schleichende Bildsprache. Wenn fränkisch sprechende Figuren stets in Nebenrollen auftauchen – oft mit geringem Einfluss auf das Geschehen – und Hochdeutsch den analytischen Ermittlern vorbehalten bleibt, formt das beim Zuschauer ein unbewusstes Bild: Wer „klug“ ist, spricht Hochdeutsch. Wer „verhaftet“ in der Region lebt, spricht Dialekt.

Besonders in Franken führt das zu einem Phänomen, das Soziolinguisten als „Sprachscham“ beschreiben. Viele Menschen, vor allem in städtischen Regionen Mittelfrankens, vermeiden es, ihren Dialekt öffentlich zu sprechen. Sie fühlen sich unwohl, wenn sie „Fränggisch“ reden – nicht, weil der Dialekt weniger ausdrucksfähig wäre, sondern weil er medial wie gesellschaftlich abgewertet wurde. Ganz anders in Wien oder Oberbayern: Dort ist Dialekt nicht nur akzeptiert, sondern ein Zeichen von Selbstbewusstsein, Humor und kultureller Tiefe. Das hat auch historische Gründe. In Wien wurde der Dialekt durch Theater, Kabarett und Musik (von Nestroy bis Qualtinger) zur Kunstform erhoben. In Bayern ist Bayrisch durch Politiker, Volksmusik und Fernsehformate allgegenwärtig und mit Heimatstolz verwoben. Beide Regionen haben ihre sprachliche Eigenart in die öffentliche Repräsentation integriert.

Franken hingegen leidet bis heute an einer gewissen sprachlichen Unsichtbarkeit. Es gibt keine dominante Medienfigur, die fränkisch spricht und zugleich als intellektuelle Autorität wahrgenommen wird. Fränkisch kommt in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem in humoristischen Kontexten vor – als Kabarett, Karikatur oder regionales Kolorit. Das mag unterhaltsam sein, aber es trägt nicht zur Aufwertung des Dialekts bei.

Dabei ist Fränkisch keineswegs weniger differenziert oder weniger emotional reich als andere Varietäten. Es ist lediglich weniger prestigebehaftet. Diese Tatsache ändert sich auch nicht dadurch, dass es innerhalb Frankens viele Untervarianten gibt (Unter-, Mittel-, Oberfränkisch) – im Gegenteil: Die sprachliche Vielfalt der Region verhindert eine übergreifende Identität, wie sie etwa das Bayrische genießt. Nicht anders wird übrigens in den Tatort-Krimis mit dem Schwäbischen, Sächsischen und Hessischen verfahren.

Was tun? Eine Neubewertung des Dialekts kann nicht allein von den Medien erwartet werden. Sie beginnt im Alltag. Wenn Eltern mit ihren Kindern selbstbewusst Dialekt sprechen, wenn Schulen nicht nur Hochsprache unterrichten, sondern auch sprachliche Herkunft thematisieren, wenn regionale Medien bewusst Dialektsprecher in seriösen Kontexten zeigen – dann ändert sich das Bild. Aber auch nationale Medien müssten sich fragen: Warum dürfen Münchner oder Wiener Kommissare Dialekt sprechen, ein Nürnberger, Stuttgarter, Dresdner aber nicht? Warum werden die einen als kernig dargestellt, die anderen als provinziell?

Die Sprache ist Ausdruck kultureller Identität. Sie ist kein Ornament, sondern ein Zeichen von Zugehörigkeit, Tiefe und Traditionsbewusstsein. Wer einen Dialekt spricht, beweist keine Bildungsferne, sondern kulturelle Verwurzelung. Es ist an der Zeit, diese Wahrheit auch medial wieder sichtbarer zu machen. Nicht nur für Franken. Sondern für alle, die Sprache lieben, weil sie mehr ist als nur Mittel zum Zweck: Sie ist Heimat im Klang.


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