Symbolfoto von Ryan McGuire auf Pixabay
Autor: Kurt O. Wörl
“Liebe Jüdinnen und Juden, liebe Nichtjüdinnen und Nichtjuden!” Wie finden Sie diese Ansprache, die zweifelsfrei jeden Menschen meint? Oder: “Liebe Farbige und Weiße!” Was kommt Ihnen bei so einer Ansprache, die ebenfalls doch wirklich alle Menschen anspricht, in den Sinn? Ich wäre nicht erstaunt, wenn Sie bei den beiden, zweifelsfrei alle Menschen ansprechenden Anreden ein ungutes Gefühl beschleicht, mich beschleicht es nämlich auch. Wer so andere Menschen anspräche, der stünde – und das zurecht – sofort im Verdacht, rassistischen Motiven zu folgen.
Warum also befällt uns dieses ungute Gefühl, das uns aber bei der Anrede mit “Sehr geehrte Damen und Herren” erspart bleibt?
Die Antwort ist nicht auf den ersten Blick leicht greifbar, aber einleuchtend: Die ersten beiden Ansprachen adressieren den Glauben von Menschen jüdischen Glaubens einerseits und unterscheidet von jenen, die dieser Religion nicht angehören. Die zweite adressiert ethnische Merkmale und unterscheidet zwischen dunkelhäutigen und weißen Menschen. Es wird bereits in der Anrede eine Trennung, eine Absonderung der einen von den anderen Menschen vorgenommen.
Bei der Anrede mit “Sehr geehrte Damen und Herren” hingegen steht nicht die Unterscheidung, nicht die Trennung oder Absonderung von Frauen und Männern im Zentrum, sondern sie birgt eine besondere Würdigung der angesprochenen Menschen in sich. Sie ist eine höfliche Ehrerbietung und wird auch nur so wahrgenommen. Frauen werden zu Damen und die Männer zu Herren aufgewertet. Eine zusätzlich höfliche Würdigung erhalten Frauen, die nach gutem Brauch zuerst als Damen vor den Herren angesprochen werden. Die Wertschätzung und nicht die Trennung steht also bei dieser Anrede im Vordergrund. Würde man denselben Personenkreis mit “Sehr geehrte Frauen und Männer” ansprechen, dann stünde diese in einer Linie mit den beiden ersten beiden, zweifelsfrei unangemessenen und – jawohl – diskriminierenden Anreden.
Schüsselwörter in meinen vorherigen Sätzen sind “Unterscheidung”, “Trennung” und “Absonderung”. Wir verwenden für diese drei Begriffe in der Regel das aus dem Lateinischen stammende Wort “Diskriminierung”. Es leitet sich etymologisch von dem lateinischen Verb “discriminare” ab und das hat eben die Bedeutung von “trennen”, “scheiden”, “unterscheiden”, “absondern”, “ab- und ausgrenzen”.
Das bedeutet aber auch, dass jede Ansprache von Menschen, die, ohne eine besondere, gewollt höfliche Wertschätzung zu enthalten – ohne erkennbare Notwendigkeit ethnische, religiöse oder geschlechtliche Unterschiede hervorhebt und so Menschen voneinander trennt, ohne Wenn und Aber eine Diskriminierung darstellt. Die Rede vor einem Publikum bedarf keiner Unterscheidung zwischen Frauen und Männern. Es ist schlicht Publikum, eine besondere Hervorhebung der biologischen Ausstattung in den Unterhosen desselben würde man zweifelsfrei und zurecht als überaus sexistisch und diskriminierend empfinden. Genau das bewirkt aber der Genderunfug. Von “Zuhörer_innen” zu sprechen impliziert, dass die unterschiedliche, biologische Ausstattung im Publikum mit Penis oder Vulva eine Bedeutung hätte und sichtbar, genauer hörbar gemacht werden müsse. – Im Publikum sitzen aber nur Menschen, die zuhören. Dass es sich aus Frauen und Männern zusammensetzt, ist eine Binse ohne jede Bedeutung für den Vortrag.
Notabene
Schon länger her, da wollte mich eine junge Frau von meinem Irrweg, nicht gendern zu wollen, abbringen und argumentierte: “Wenn Du vom Bäcker oder Metzger sprichst, hast Du dann einen Mann oder eine Frau im Kopf, die diesen Beruf ausübt”.
Ich: “Weder noch!”
Sie, “Na überlege doch mal, es heißt der Bäcker und der Metzger, also welches Bild entsteht in Deinem Kopf?”
Ich: “Wenn ich an den Bäcker denke, dann entsteht in meinem Kopf das Bild eines Ladens, in dem ich leckere Backwaren kaufen kann, beim Metzger wiederum das Bild eines Ladens, bei dem ich Fleisch- und Wurstwaren besorgen kann – mir läuft dabei allenfalls das Wasser im Munde zusammen. Und welche biologische Ausstattung die Person, die mir die Ware über den Tresen reicht, in der Unterhose hat, ist mir vor und nach dem Einkauf ziemlich schnuppe.”
Sie: “Egal, es gibt viele Studien, die eindeutig belegen, dass das generische Maskulinum in den Köpfen stets das Bild einer männlichen Person entstehen lässt.”
Ich: “Das interessiert mich, kannst Du mir sagen, welche Studien diesen Unfug belegen wollen, hast Du sie gelesen?”
Sie: “Ähm, nein, aber ich weiß, dass es sie gibt.”
Das Gespräch hat mich nicht überzeugt. Rohrkrepierer!
Was der Genderunfug wirklich ist: Sexismus pur
Die Schriftstellerin, Nele Polatschek, die sich übrigens selbst Schriftsteller nennt, brachte es in einem Interview im Deutschlandfunk (im Podcast nachzuhören) 2021 auf den Punkt. Danach gefragt, warum sie für sich in Anspruch nehme, Schriftsteller und nicht Schriftstellerin zu sein, antwortet sie:
“Ich glaube, dieser Begriff ‘geschlechtergerechte Sprache’ der impliziert ja schon vieles, nämlich, dass es sich dabei um Geschlechtergerechtigkeit handelt. Ich weiß aber gar nicht, ob der deutsche Ansatz, so wie Sie ihn grade verwenden, dazu führt. Und mein Gefühl ist, dass er das eher nicht tut. Weil wir im Prinzip eine einzige generische Form bräuchten. Ich bin da sehr geprägt von Großbritannien, wo Wörter wie “actress” (Schauspielerin), also die weibliche Form von “actor” (Schauspieler) als sexistisch gilt, weil es sexistisch ist, auf das Geschlecht zu verweisen, wenn es doch eigentlich um den Beruf geht. Und so sehe ich das auch, es ist auch so ein bisschen eine ostdeutsche Prägung. In Ostdeutschland, also meine Großmütter und die Frauen meiner Kindheit, haben von sich selbst gesagt ich bin Journalist, ich bin Ingenieur, weil sie ja nicht weniger sind als der Mann und ich glaub beide Ansätze sind sehr stark drin, dass ich denke ich bin ein Mensch der Bücher schreibt, also bin ich Schriftsteller. Was dabei mein Geschlecht ist, geht keinem Menschen etwas an. “
Hier spricht Frau Polatschek einen sehr richtigen Aspekt an: im anglophonen Sprachraum gilt es heute tatsächlich als sehr ungehörig, bei Frauen andere Berufsbezeichnungen als bei Männern zu wählen. In der Tat sind verweiblichte Berufsbezeichnungen wie actress, stewardess etc. in englischen Wörterbüchern inzwischen als veraltet, unerwünscht und sexistisch gekennzeichnet. Wiederholt haben sich sowohl in den USA wie in Großbritannien bereits weibliche Schauspieler in Interviews vehement dagegen verwahrt, wenn sie als actress bezeichnet wurden. Die weibliche Form wird nicht als Sichtbarmachung, sondern als Verniedlichung empfunden.
Eine bessere Begründung, warum der aus dem deutschen links-grünen Spektrum forcierte Genderunfug genau das Gegenteil dessen ist, was gewollt wird: Gendern ist Sexismus und Diskriminierung in Reinform.
Weiter führt Polatschek in dem Interview aus, beim Gendern trete automatisch immer das Geschlecht in den Vordergrund, ob der oder die Betroffene es wolle oder nicht. Und sie selbst wolle das nicht. Es habe auch nichts in einer Berufsbezeichnung zu suchen; jeder und jede solle auch das Recht auf Unsichtbarkeit haben. Das Gendern mache es aber unmöglich, das Geschlecht nicht zu sehen. Polatschek wörtlich:
… “Also in dem Moment, wo ich sage ‘Professor_innen’, denken wir einmal über Menschen nach, die an der Universität lehren und dann denken wir bitte nochmal alle über Geschlechter nach. Und damit mache ich es unmöglich nicht mehr über Geschlechter nachzudenken, genauso wenn ich die weibliche Form eines Worts mache, sage ich, du musst jetzt über das Geschlecht nachdenken. Ich könnte ja genauso sagen, jetzt denkt nochmal über die Hautfarbe oder die Religion nach. Wenn sie mich jedes Mal vorstellen würden mit die ‘jüdische Schriftstellerin’ Nele Polatschek hat ein Buch geschrieben, die jüdische Schriftstellerin geht in die Küche, die jüdische Schriftstellerin macht sonst irgendwas, dann würde ich irgendwann fragen, haben Sie ein Antisemitismus-Problem oder warum müssen Sie immer darauf verweisen, dass ich jüdisch bin? – Das ist es für mich, dieses dauernde Markieren, zwanghafte Markieren, Wörter zu haben, in denen man gar nicht anders kann als über Geschlecht zu reden.” …
Ihre Überzeugung: Wer Gleichheit wolle, müsse sie herstellen, nicht nur darüber reden. Siehe den Gender-Gap, also die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen hierzulande. „Wir diskutieren seit 40 Jahren über gendergerechte Sprache, während sich bei der materiellen Realität überhaupt nichts ändert. Meine Angst ist, dass wir gendern, um nichts in der Realität verändern zu müssen.“ …
Hier geht’s Nachhören des Radio-Features, in dem auch – ausgerechnet ein Mann – ganz begeistert, aber nicht sehr überzeugend den Genderunfug verteidigt. Polatscheks Sichtweise hingegen finde ich in sich schlüssig und ich selbst halte es ebenso wie sie und vermeide weitgehend Verweiblichungen von Nomen, etwa von Berufsbezeichnungen, wenn es sich sprachlich elegant vermeiden lässt.
DLF – Gendern oder nicht? Helfen * bei der Gleichstellung
Epilog
Wer sich darüber – übrigens auch über den Willen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung – hinwegsetzt, der will nicht von Menschen, von der einen und hoffentlich einigen Menschheit sprechen, die sich unserer Gattung entsprechend aus Frauen und Männern zusammensetzt, sondern er – meistens aber eher sie – will diskriminieren, Keile zwischen Menschen treiben, sie gegeneinanderstellen, vielleicht sogar gegeneinander aufbringen. Ich nenne solche Leute schlicht Sexisten oder treffender: elende Misanthropen, Zwietracht säende Menschenfeinde also, die – warum auch immer – von einem fortwährenden Krieg der Geschlechter träumen. Klassenkampf, Geschlechterkampf immer sehen sich Leute aus dem links-grünen Spektrum im Krieg gegen irgendwas, was ihren ideologiegetriebenen Hirnen entspringt.
Die Gender-Ideologen haben natürlich eine ganz eigene Erklärung für diesen Artikel: Da schreibt halt wieder ein “alter, weißer Mann” … eine sexistische Diskriminierung freilich, die ich mir aufgrund meines Alters, meiner Ethnie und meines Geschlechts erwerbe. Und ums Diskriminieren Andersdenkender, im Wahn, das Gute zu wollen, geht es den Genderbefürwortern ja auch vorwiegend.