Fürs Linksspektrum wird's immer brenzlicher:

Sonntagsfrage zur Bundestagswahl

Autor: Kurt O. Wörl

Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, hätten weder die Ampel- noch eine “Große Koalition” bisheriger Art eine Mehrheit im Parlament. Die AfD liegt in allen Umfragen vor der SPD. In den neuesten Umfragen von FORSA liegt die SPD schon über acht Prozentpunkte hinter der AfD. Letztere bleibt damit zweitstärkste politische Kraft hinter CDU/CSU – und das stabil seit Monaten.

FORSA-Umfrage vom 05.12.2023

CDU/CSU SPD Grüne FDP Linke AfD Sonstige
30%
(-)
14%
(-)
14%
(+)
5%
(-)
4%
(+/-)
22%
(+/-)
10%
(+)

Quelle: statista

Bemerkenswert: Union und AfD könnten mit dem Ergebnis eine neue Große Koalition bilden und kämen zusammen auf 52%.

Bedeutung für SPD und die Grüninnen

Eine wichtige Erkenntnis sollten SPD und die Grüninnen erlangen: Das Mitte-Rechts-Spektrum (also von liberal über bürgerlich-konservativ bis nach rechts-außen) stellt inzwischen mit 60% eine nahezu zwei Drittel Mehrheit. Das Linksspektrum hätte – an demokratischen Grundsätzen gemessen – aktuell keinen Anspruch auf Regierungsverantwortung.

Wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl, wären nach der neuesten Umfrage (FORSA) Mehrheiten nur über zwei Dreierbündnisse – eines davon recht abenteuerlich – oder über eine neuartige Große Koalition möglich.

Um die AfD nicht in Regierungsverantwortung gelangen zu lassen, wären demnach nur noch folgende Bündnisse denkbar:

  • CDU/CSU + SPD + FDP = 52%
  • CDU/CSU + SPD + Grüne = 58%

Mit der zweiten Variante würde sich die Union aber – wie jetzt schon die FDP in der Ampel – einem Dauerzoff wegen rot-grüner Hirngespinste – vorbei am Mehrheitswillen der Bevölkerung – aussetzen.

Die “Brandmauer” gegen die AfD bröckelt

Ich denke und befürchte zugleich, dass die “Brandmauer” gegen die AfD inzwischen gewaltig bröckelt, genau wie seinerzeit jene gegen die Linkspartei, die just in dem Moment kollabierte als die SPD die kommunistischen SED-Nachfolger erstmals zur Mehrheitsbeschaffung benötigte.

Nehmen wir zur Kenntnis, dass sich in Deutschland zunehmend ähnliche Kräfteverhältnisse etablieren, wie in vielen anderen europäischen Staaten schon länger, wo Mitte-Rechts-Bündnisse schon Realität sind.

Mit der AfD wäre dieses Bündnis möglich:

CDU/CSU + AfD = 52%

Diese neuartige Große Koalition wird zunehmend wahrscheinlicher, zumal es zwischen Union und AfD mehr gemeinsame Schnittmengen geben dürfte als mit dem ideologiegetriebenen, linken Parteispektrum.

Demokratische Alternative: Minderheitsregierung

Einen gewissen Charme, um die AfD weiterhin von der Regierungsbeteiligung auszuschließen, hätte das Ausweichen der Union in eine Minderheitsregierung. Das wäre allerdings etwas, was es in Deutschland noch nie gegeben und hierzulande bislang immer als eine Art “Worst-Case”-Szenario gegolten hat (anders als z.B. in Dänemark, wo man traditionell mit Minderheitsregierungen sehr gut zurechtkommt).

Die alleinregierende Union müsste sich dann für jede Gesetzgebung im Parlament stets aufs Neue immer wieder eine Mehrheit suchen. Vorteil: das würde vor allem Linke, SPD und die Grüninnen disziplinieren und unter Dauerstress setzen. Denn es läge dann nur an ihnen zu verhindern, dass die Union die erforderliche Mehrheit von der AfD erhält, die dafür ganz sicher jedes Mal ein Unterpfand einfordern würde. Das Linkspektrum wäre wie Wachs in den Händen der regierenden Union. – Eine sehr schöne Vorstellung aus der Sicht der Mitte. Dies wäre ein Szenario, das mir persönlich auch deshalb gut gefallen würde, weil ich die wiederkehrende Suche nach parlamentarischen Mehrheiten für besonders demokratisch halte, weil es Parlamentarismus in purer Form wäre, weil ein “Durchregieren” nicht mehr so einfach möglich wäre und zuverlässig jedem Gesetzesvorhaben eine mögliche Überschärfe entzogen werden könnte. Grund: ein Gesetz würde immer in einem breit getragenen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition entstehen.

Übrigens: Minderheitsregierungen sind z.B. in Dänemark keine Seltenheit und sie funktionieren oft besser als mit Mehrheit regierende Koalitionen. In Dänemark wird halt an Gesetzentwürfen so lange gefeilt, bis eine Mehrheit im Parlament zustimmen kann. Den Erfolg verbuchen dort dann Regierung und Opposition gemeinsam.

Problem: die Dänen sind traditionell eine Konsensgesellschaft, in der Neid und Missgunst wenig Raum haben. Die unversöhnliche deutsche Ellenbogen-, Rechthaber- und Streithanselgesellschaft ist da eher umgekehrt strukturiert. Die Erfahrung einer Minderheitsregierung könnte hier sogar eine heilsame Wirkung haben und das Ekelhafte aus der deutschen Politik nehmen.

Game-Changer Wagenknecht-Partei?

Das Werkzeug der Sonntagsfrage orientiert sich stets an den aktuellen Gegebenheiten und den tatsächlich aktuell wählbaren Parteien. Doch hier könnte sich die von Sahra Wagenknecht in Aussicht gestellte, neue, links-konservative Partei als echter Game-Changer herausstellen, – wenn es Wagenknecht klug anstellt und ihre neue Partei zwischen SPD und CDU zu positionieren versteht. Wenn nicht, wenn sie wieder nur eine weitere Linksaußenpartei wird, dann wird das ganz sicher ein Flopp.

Die Partei muss für das bürgerliche Lager, besonders für die untere und mittlere Mittelschicht, wählbar sein und sie muss anschlussfähig an Koalitionen – sowohl mit der SPD als auch mit der Union und den Liberalen – werden. Diese Positionierung entspräche zumindest den vielzähligen Äußerungen Wagenknechts in ihren Büchern und Podcasts. Eine Partei, die sich sowohl der sozialen Gerechtigkeit, der Probleme der aus dem Ruder gelaufenen Migration anzunehmen gedenkt und den Bevormundungsorgien der Grüninnen, mit ihrer Politik, die sich vor allem an den Wünschen des akademisch-urbanen Umfelds orientiert, eine deutliche Absage erteilt.

So einer, dann nah der Mitte angesiedelten Alternative zur Linkspartei trauen viele Autoren – auch ich – inzwischen ein Potenzial von mindestens 20% der Wählerstimmen zu, die dann vor allem zu Lasten der AfD, der Grüninnen, der SPD und der ohnehin schon in der Bedeutungslosigkeit versunkenen Linken gingen. – Eine sehr schöne Vorstellung, finde ich! – Ich hätte auch schon einen Namen für die Partei: Soziale Bürgerpartei Deutschlands, SBD. – Aber erstmal stellte Wagenknecht am vergangenen Montag die Vorstufe, ihr “Bündnis Sahra Wagenknecht” (BSW) vor. Was ich bei der Pressekonferenz vernahm, sprach mich durchaus an.


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