Einzige Chance für die FDP: raus aus der Ampel

Sonntagsfrage zur Bundestagswahl

Autor: Kurt O. Wörl

Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, wäre die Ampelkoalition abgewählt. Die aktuellen Umfragen würden eine interessante, neuartige Koalition zwischen CDU/CSU, SPD und BSW ermöglichen.

Die AfD liegt in fast allen Umfragen vor SPD und Grüninnen. Die AfD bleibt damit zweitstärkste politische Kraft hinter CDU/CSU, allerdings mit schwindenden Umfragewerten.

Zur Methodik der Darstellung

Zitiert werden die Umfragedaten nach www.wahlrecht.de. Dabei nutze ich nur die Daten jener Institute mit den jeweils aktuellen Umfragen und errechne dann den Durchschnitt dieser Werte. Dieser Durchschnitt dürfte der wahren Stimmung im Lande am nächsten kommen. 

Der Grund: Nach einer langjährigen Analyse des Informatikers und engagierten Datenanalysten David Kriesel bewerten einige Institute bestimmte Parteien auffällig besser, andere schlechter als andere Institute – und das systematisch seit Jahren. Die “Forschungsgruppe Wahlen” (ZDF-Politbarometer) zum Beispiel stellen die Umfrage-Ergebisse der Grüninnen grundsätzlich besser dar als andere Institute und auch deutlich besser als es der Durchschnitt über alle Institute hergibt. Das nährt weiter die Vermutung, dass die öffentlich-rechtlichen Medien vor allem links-grüne Narrative als “Wahrheit” verkaufen. Kriesel bezeichnet diese Vorgehensweise einiger Institute als “Schlagseite”. In der oben verlinkten Analyse hat der Analyst leicht lesbare Diagramme, jeweils zu den letzten Umfragen, veröffentlich, die diese Schlagseitenfärbung unbestreitbar dokumentieren. Kriesel hält diese Analyse auch ständig aktuell. – Übrigens scheinen nach Kriesels Analyse die Umfragewerte des Instituts GMS jeweils am glaubhaftesten auszufallen, was ich bestätigen kann. Ich kann die oben verlinkte Analyse nur wärmstens empfehlen.

Neu: Da die Freien Wähler (FW) und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nun als Mitbewerber bei den nächsten Wahlen antreten, haben einige Institute diese nun aus den “Sonstigen” herausgenommen und zeigen die Umfragewerte namentlich auf. Dem schließe ich mich an. Dazu war es erforderlich, die Tabelle umzustellen, damit sie dargestellt werden kann. Umfragewerte, die unter der 5%-Klausel liegen, werden in roter, die Zusammenfassung der “Sonstigen” in blauer Farbe markiert.

Umfragen vom 12. bis 23.07.2024

Keine aktuellen Umfragen liegen derzeit vor von

  • Allensbach,
  • GMS,
  • Infratest,
  • Yougov.
Institute →


Parteien ↓

Emnid
12.07.2024

Forsa
23.07.2024
ForschGr
12.07.2024
INSA
22.07.2024
Durchschnitt
23.07.2024
CDU/CSU 31% 31% 32% 31% 31,3%
SPD 15% 14% 14% 15% 14,5%
Grüne 13% 11% 13% 10,5% 11,9%
FDP 5% 5% 4% 5% 4,8%
Linke 3% 4% 3% 3,5% 3,4%
AfD 16% 17% 17% 17% 16,8%
FW
BSW 7% 7% 7% 9% 7,5%
Sonstige 10% 11% 10% 9% 10%
Hinweis zur Tabelle: Der Durchschnittswert der unter “Sonstige” zusammengefassten Kleinparteien ist nicht aussagekräftig, da einige Institute Linke und FW einzeln aufführen, während andere die beiden Klein-Parteien bereits unter Sonstige subsumieren.

Quelle: wahlrecht.de

Bemerkenswert: CDU/CSU und AfD könnten (theoretisch) mit den derzeitigen Umfragen eine neuartige Große Koalition bilden und kämen aktuell zusammen auf 48,1%. Die FDP würde aktuell nicht wieder in den Bundestag einziehen, FW und Linke ebenfalls an der 5%-Klausel scheitern. Das BSW würde die 5%-Klausel deutlich überspringen und wäre im Bundestag vertreten.

Bedeutung für SPD, Grüninnen und Linke

Eine wichtige Erkenntnis sollten SPD, die Grüninnen und die Linke erlangen. Vom Durchschnitt der Umfragen ausgehend: Das Linksspektrum, also Linke, Grüninnen und SPD würde nicht einmal mehr von einem Drittel der Wähler gewählt. Selbst wenn man Sahra Wagenknechts BSW noch hinzuzählt, kämen die vier linken Parteien derzeit gerade noch auf etwas mehr als ein Drittel. Das heißt zwei Drittel der Wähler würden heute eher FDP, CDU/CSU, Freie Wähler und AfD wählen. Das Linksspektrum hätte – an demokratischen Grundsätzen gemessen – aktuell keinen Anspruch darauf, überhaupt Regierungsverantwortung zu tragen. Im Parlament sähe es nicht anders aus. Die Linke wäre sicher nicht mehr im Bundestag vertreten, zumal die bisherige Möglichkeit, mit drei Direktmandaten dennoch ins Parlament einzuziehen, durch das, mit Ampelmehrheit durchgesetzte, neue Wahlgesetz abgeschafft wurde. – Es bleibt allerdings abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht diese Gesetzesänderung bestätigt oder zu Fall bringt. Entsprechende Klagen liegen dem Gericht bereits vor.

Die Ampel wäre abgewählt

Wären am kommenden Sonntag Bundestagswahlen, wäre die Ampelregierung krachend abgewählt. 

Vor diesem Hintergrund hat die FDP m.E. nur noch eine Chance, aus dem Umfragetief herauszukommen und das wäre der Austritt aus der Koalition. Sie müsste sich – wie 1982 – aus der Regierung zurückziehen und zusammen mit der Union ein Konstruktives Misstrauensvotum oder gleich Neuwahlen ermöglichen. Das Ende der Ampel-Koalition würde von der Mehrheit der Bevölkerung als große Erleichterung empfunden, was der FDP zugutekäme. Beim Misstrauensvotum müsste zugleich ein neuer Kanzler designiert werden, hier wäre die SPD gut beraten, den derzeit beliebtesten Politiker, Verteidigungsminister Boris Pistorius, ins Rennen zu schicken. Vorteil: Es wäre nach dem derzeitigen Kräfteverhältnis im Bundestag nur eine Koalition zwischen SPD, CDU/CSU und FDP – unter SPD-Führung – möglich, was in dieser krisenhaften Zeit sogar sehr sinnvoll wäre. Alle Parteien blieben bis zu den Neuwahlen 2025 in bisheriger Zusammensetzung im Bundestag vertreten, die Grüninnen würden aber in der Opposition landen.

Käme keine solche Koalition zustande, wenn die FDP die Regierung verlässt, käme es zu Neuwahlen, mit großen Ungewissheiten für die dann entstehende Zusammensetzung des Bundestages.

Mögliche Koalitionen nach den aktuellen Umfragen

Um die AfD nicht in Regierungsverantwortung gelangen zu lassen, wären nach Neuwahlen dann diese Bündnisse ab 50% denkbar:

  • CDU/CSU + SPD + Grüne
  • CDU/CSU + SPD + BSW

Aber!

Wenn die Linke und evtl. die FDP an der 5%-Klausel scheitern, werden deren Sitze im Parlament auf die anderen Parteien entsprechend ihres Ergebnisses aufgeteilt. Damit wäre dann sogar eine Zweier-Koalitionen möglich, auch wenn die Wahlergebnisse addiert keine 50% ergäben. Maßgeblich ist nämlich nur die Anzahl der Sitze der Parteien, welche in der Lage sind, eine Mehrheit zu bilden, um einen Kanzler – und damit eine neue Regierung – zu wählen. Denkbar wäre:

  • CDU/CSU + SPD = 45,8%
  • (theoretisch) CDU/CSU + AfD = 48,1% 

Bei diesen beiden möglichen Koalitionen würden die zugehörigen Abgeordneten die Mehrheit der Parlamentssitze erreichen.

Bröckelt die “Brandmauer” gegen die AfD?

Nach den beeindruckenden Protesten gegen Rechtsextremismus in der Vergangenheit und den Spionage- und Landesverratsvorwürfen hielt ich es lange Zeit nicht mehr für wahrscheinlich, dass auf Bundesebene die sog. “Brandmauer” gegen die AfD bröckeln wird. Hinzu kam, dass in Frankreich inzwischen sogar die rechtspopulistische Partei von Marine Le Pen, das “Rassemblement National“, sich wegen der “Remigrations-Phatasien” der AfD von dieser distanziert hat und die AfD wegen ihres extremistischen Gehabes aus der bisher gemeinsamen EU-Fraktion ausgeschlossen wurde. – So sicher bin ich mir da heute aber nicht mehr. 

Zumindest auf Landesebene ist das in Ostdeutschland, mit Blick auf die Umfrageergebnisse, aber nicht mehr ausgeschlossen. Es gab ja schon einmal eine “Brandmauer” gegen die Linke, die just in dem Moment kollabierte als die SPD die kommunistischen SED-Nachfolger erstmals zur Mehrheitsbeschaffung benötigte. Wenn etwa in Thüringen keine andere Mehrheit mehr zustande kommt, könnte die AfD im dritten Wahlgang, mit nur einfacher Mehrheit, sogar eine Minderheitsregierung bilden, wie derzeit die Linke. Gerade in Thüringen könnte die Sahra-Wagenknecht-Partei den Ausschlag geben. Nach den derzeitigen Umfragen hätte das BSW aber nur die Linke halbiert, ohne erkennbare Einbußen bei der AfD.

Nehmen wir zur Kenntnis, dass sich in Deutschland zunehmend ähnliche Kräfteverhältnisse etablieren, wie in vielen anderen europäischen Staaten schon länger, wo Mitte-Rechts-Bündnisse längst Realität sind.

Demokratische Alternative: Minderheitsregierung

Einen gewissen Charme, um die AfD weiterhin von der Regierungsbeteiligung auszuschließen, hätte das Ausweichen der Union in eine Minderheitsregierung. Das wäre allerdings etwas, was es auf Bundesebene in Deutschland noch nie gegeben und hierzulande bislang immer als eine Art “Worst-Case”-Szenario gegolten hat (anders als z.B. in Dänemark, wo man traditionell mit Minderheitsregierungen sehr gut zurechtkommt).

Die alleinregierende Union müsste sich dann für jede Gesetzgebung im Parlament stets aufs Neue immer wieder eine Mehrheit suchen. Vorteil: das würde vor allem Linke, SPD und die Grüninnen disziplinieren und unter Dauerstress setzen. Denn es läge dann nur an ihnen, zu verhindern, dass die Union die erforderliche Mehrheit von der AfD erhält, die dafür ganz sicher jedes Mal ein Unterpfand einfordern würde. Das Linkspektrum wäre wie Wachs in den Händen der regierenden Union. – Eine sehr schöne Vorstellung aus der Sicht der Mitte. Dies wäre ein Szenario, das mir persönlich auch deshalb gut gefallen würde, weil ich die wiederkehrende Suche nach parlamentarischen Mehrheiten für besonders demokratisch halte, weil es Parlamentarismus in purer Form wäre und ein “Durchregieren” nicht mehr so einfach möglich wäre. Es würde zuverlässig jedem Gesetzesvorhaben eine mögliche Überschärfe entzogen. Grund: ein Gesetz würde immer in einem breit getragenen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition entstehen.

Wie schon erwähnt: Minderheitsregierungen sind z.B. in Dänemark keine Seltenheit und sie funktionieren oft besser als mit Mehrheit regierende Koalitionen. In Dänemark wird halt an Gesetzentwürfen so lange gefeilt, bis eine Mehrheit im Parlament zustimmen kann. Den Erfolg verbuchen dort dann Regierung und Opposition gemeinsam.

Problem: die Dänen sind traditionell eine sehr stabile Konsensgesellschaft, in der Neid und Missgunst wenig Raum haben. Die unversöhnliche deutsche Ellenbogen-, Rechthaber- und Streithanselgesellschaft ist da eher umgekehrt strukturiert. Die Erfahrung einer Minderheitsregierung könnte hier sogar eine heilsame Wirkung auf die Demokraten aller Parteien haben und das ekelhafte Gezanke aus der deutschen Politik nehmen.


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