… vermeide was dich unglücklich macht

Autor: Kurt O. Wörl

Die meisten Menschen haben es sicher schon einmal selbst erfahren, dass das arge Streben nach dem Glück oft eher scheitert als gelingt und zudem auf Dauer selten der Anstrengung wert ist. Und wenn man diesem Ideal erlebten Glücklichseins doch einmal nahe kommt, dann ist es oft nur von kurzer Dauer.

Die Suche nach dem Glück würde ich als mühsames Additionsverfahren bezeichnen. Man versucht sequenziell durch gezielte, aneinandergereihte Handlungen dem Glück näher zu kommen…

  • mancher spielt vielleicht Lotto,
  • manche gehen ins Spielkasino,
  • manche suchen den Endorphinausstoß beim Sport oder kraxeln dafür auf Bergspitzen
  • und wenn ich im Segelflieger sitze, dann empfinde ich durchaus glückliche Momente, vorausgesetzt, ich saufe nach verlorener Thermik nicht gerade auf einem Acker ab.
  • manche suchen das Glück in einer Partnerschaft – und das ist im mühsamen Additionsverfahren m.E. auch noch am aussichtsreichen.

Und doch: am Ende gerät man vielleicht an eine keifende Xanthippe oder an einen Tyrannen, die uns alles Glück verhageln.

Die Methoden des additiven Strebens nach Glück erzeugen nach meiner Wahrnehmung meist nur ein zeitlich begrenztes Hochgefühl, das man vielleicht einen Glücksmoment nennen könnte. Aber sind diese kurzen Momente auch das, was man das Glück nennen kann? – Ich meine nein!

Zwischen einem euphorischen Hochgefühl, etwa nach einem Lottogewinn und dem, was wir „das Glück“ nennen, sehe ich einen Unterschied, zumal Vielen ein selbst hoher Lottogewinn am Ende häufig nur Verdruss und ein zerstörtes Leben bereitet.

Das Glück ist in meiner Vorstellung ein auf Dauer angelegter Zustand der Zufriedenheit und des Wohlgefühls, ja ich bin mir ziemlich sicher, diesen Zustand kann man gar nicht im additiven Streben nach dem Glück erreichen.

Wie wäre es deshalb, doch einmal den umgekehrten Weg zu versuchen? Ich will das an einem anschaulichen Bild erläutern. Das Bild lieferte das künstlerische Multitalent der Renaissance, Michelangelo.

Von ihm wird als Legende erzählt:

Als anfangs des 16. Jahrhunderts in Florenz Michalangelos gigantische Monumentalstatue des “David” enthüllt wurde, fragten ihn staunende Bewunderer, wie es denn nur möglich gewesen sei, eine so wunderschöne Statue zu erschaffen. Michelangelo, so heißt es, habe darauf lakonisch geantwortet:

„Ach die Statue war doch schon immer im Marmorblock vorhanden. Meine Arbeit beschränkte sich ja darauf, alles weg zu schlagen, was nicht zur Statue gehörte.“

Michelangelos Kunst – und das der Steinmetzzunft generell, ist also ein Subtraktionsverfahren: Die Schönheit der Figur wird nicht durch additives Hinzufügen immer neuen Materials erschaffen, wie beim Bilden einer Figur aus Ton, sondern sie wird umgekehrt vom störenden, sie umgebenden Material befreit, also Stück für Stück enthüllt.

Freimaurern ist das subtraktive Vorgehen gut bekannt. Wir gehen sinnbildlich genauso vor, denn indem wir unseren “rauen Stein” – dem Sinnbild des profanen Menschen – bearbeiten, entfernen wir alles, was nicht zu dem Ideal eines Emereks, also des „Wahren Menschen“, gehört.

Unser Leben ist – selbst in die Hand genommen – ganz ähnlich am besten formbar wie die erwähnte Statue des David. Wenn wir unser Leben wie eben diesen rohen Stein betrachten, aus dem die Figur gehauen wurde, dann haben wir in dieser Vorgehensweise alle Chancen, immer genau das zu erreichen, was wir erreichen möchten, z.B. unser Leben zur Schönheit zu entfalten.

Überhaupt meine ich, wir kommen dem Wahren, dem Schönen und dem Guten nur dann wirklich näher, wenn wir uns bemühen, alles von uns zu geben und fernzuhalten, was diesen hehren Zielen entgegensteht. Und das gilt im besonderen Maße auch für das Streben nach dem Glück.

So erst wird das Wahre immer erkennbarer, nämlich je mehr wir gegen das Unwahre fechten.

Das Schöne wird immer sichtbarer, je mehr wir uns des Hässlichen an uns selbst entziehen. Darunter verstehe ich z.B. die sieben Hindernisse, die uns untauglich zum Weg auf eine Initiationsreise werden lassen und wie sie an er Kathedrale St. Etienne zu Metz zu betrachten sind:

Treulosigkeit, Zorn, Selbsthass und Selbstzerstörung, Neid und Geiz, Narzissmus, Feigheit und Selbsttäuschung. Es wird an der Kathedrale auch noch der Götzendienst zur Überwindung empfohlen, aber das ist in unserem Kreis ja eher kein Thema. – Erst dann können wir den Weg vom verdorrtem zum blühenden Baum wirklich antreten. In meinem Bauriss über die „33 Stufen zum Wahren Menschentum“ habe ich vor einigen Jahren darüber nachgedacht.

Das Gute wiederum wird für uns immer fühlbarer, je mehr wir der Bosheit selbst entsagen und ihr entschlossen entgegentreten.

Und für den Zustand, den wir das Glück nennen, ist nicht recht viel mehr erforderlich, als – wo immer möglich und auch zu verantworten – allem aus dem Wege zu gehen, was uns bekanntermaßen unglücklich macht. – Das will ich näher beleuchten:

Es ist doch so: wenn wir danach gefragt werden, was ist das Wahre, was das Schöne, was das Gute und was das Glück sei, dann können die meisten Menschen darauf gar keine rechte Antwort geben, oder aber man flüchtet sich in die Benennung einzelner Glücksmomente, wie eben etwa ein Gewinn in der Lotterie – oder im Spiel.

Aber fast jeder kann viele Beispiele liefern, was er unter Unwahrhaftigkeit, Hässlichkeit, Bösartigkeit und Unglück versteht. Die Ideale kommen immer dann besonders deutlich zum Vorschein, je mehr man sie von ihrem Gegenteil befreit.

  • Das Wahre ist stets frei von Lüge und nur dann das Wahre.
  • Das Schöne ist dann makellos schön, wenn es frei von Entstellendem ist.
  • Das Gute wird nur sichtbar, wenn es völlig frei von Bosheit ist.

Und das Glück, das nicht nur ein kurzes, glückliches Hochgefühl sein sollte, es stellt sich ein, wenn wir uns vor allem bemühen, unser Leben frei zu halten von Dingen und Ereignissen, übrigens durchaus auch von Menschen, die uns immer nur Ärger und Verdruss bereiten. Ich meide daher laute und streitsüchtige Zeitgenossen.

Trotzdem streben die meisten Menschen nicht nach wirklichem Freisein von Unglück, sondern jagen beharrlich ersehnten Glücksmomenten nach. Und dieses Streben machen sich heutzutage vor allem unsere Konsumtempel zunutze:

Klar, wenn ich mir eine neue Kamera kaufe, dann freue ich mich darüber sehr und auf das erste Shooting damit. Wir besteigen gerne unser neues Automobil und genießen die erste längere Ausfahrt damit – und viele Frauen scheinen in der Tat glückliche Momente zu empfinden, wenn Sie sich neue Schuhe kaufen… manche suchen dieses flüchtige Glück im Schuhladen gar über alle Maßen häufig. Die allgegenwärtige Werbung leistet uns bei diesem Rennen nach dem Glück psychologisch auch noch ausgefeilte Hilfe, sollte unser Streben danach nachlassen:

  • Wer diese oder jene Zigarette raucht, genießt den Duft der großen weiten Welt und des Abenteuers.
  • Neue Automobile werden in der Werbung natürlich nicht im Stau auf der Autobahn, sondern ganz alleine in wunderbarer Landschaft fahrend beworben
  • und nur diese oder jene Feuchtigkeitscreme lässt uns um mindestens 10 Jahre jünger erscheinen…

Kauf dir das Glück! Kauf es jetzt sofort… das macht dich glücklich … die Werbung zeigt es, wie wir vor Freude kreischen (sollen!), wenn der Paketdienst die neuen Schuhe von Zalando liefert. Eine Win-Win-Situation: denn die Investoren der Konzerne, die uns all die käuflichen Glückmomente liefern, die machen wir damit ganz nebenbei auch noch glücklich.

Aber leider: schon in wenigen Monaten gibt es eine bessere Kamera auf dem Markt und ich hätte sie so gerne, schickere Autos, schönere Kleider. Und so weiter und so weiter…

Aber es ist ganz anders! Keine Zigarette liefert uns wirklich das Gefühl, als flösse Milch und Honig in unseren Adern und das Gefühl des Ritts auf einem Quater-Horse, der Abendsonne in Nevada entgegen, auch nicht. Und die Feuchtigkeitscreme kann die Spuren des Lebens auch nicht wirklich aus unseren Gesichtern verbannen… macht nichts, die Konsumtempel liefern sicher bald eine neue Beauty-Formel.

Doch weil sie es nicht anders wissen, werden wohl die meisten Menschen immer weiter dem käuflichen Glück hinterher rennen… eine neue X-Box, ein neuer Breitfernseher. Aber all der käufliche Tand wird das Glück auf Dauer nicht bescheren können – und übrigens auch gar nicht wollen. – Im Gegenteil: Unsere durchkommerzialisierte Welt setzt vor allem darauf, Menschen permanent in einem Zustand dauerhafter Unzufriedenheit zu halten. – Nur so lässt sich richtig Geld verdienen. Welch eine Tragödie für unsere kurze Lebenszeit!

Wie also kann es gelingen, ein Leben abseits vom Kaufrausch zu führen, das wir in Summe als gelungen und überwiegend von Zufriedenheit und Glück beherrscht nennen könnten?

  • Streben wir doch einfach nach mehr Zufriedenheit. Es wird immer Menschen geben, die durch Zufall ein sorgenfreieres Leben führen dürfen, als wir selbst. Aber es wird auch immer Menschen geben, mit welchen es das Leben nicht so gut meint wie mit uns. Man muss dort starten, wo das Leben uns hingeführt hat.
  • Streben wir doch nicht nach dem Wahren, das wir im Zweifel gar nicht benennen können. Nähern wir uns doch lieber dem Wahren, indem wir uns selbst dem Unwahrhaftigen entziehen und ihm entgegentreten.
  • Streben wir doch nach dem Schönen, indem wir hässliche Momente an uns selbst und in der Welt im Vorsatz mit Liebe begegnen. Denn in hässlich steckt auch das Wort Hass.
  • Streben wir doch nach dem Guten, indem wir uns gegen Bosheit und Intrige wappnen und selbst darauf verzichten.
  • Wenn wir erkennen, dass erwünschte Ziele unerreichbar bleiben, dann trennen wir uns doch davon und setzen uns solche, die wir auch erreichen können. – Sie führen uns zur Zufriedenheit, während uns das Unerreichbare stets im Kummer hält.
  • Leben wir nicht in Gedanken in der Vergangenheit. Sie ist wie sie war, wir können sie ohnehin nicht ändern.
  • Sorgen wir uns nicht um die Zukunft, denn wir wissen nicht, was sie mit uns vor hat.
  • Gestalten wir doch stattdessen das Gegenwärtige, denn das alleine ist für uns die Zeit, die wir wirklich gestalten können.

Wie ich schon schrieb: Wir wissen nie wirklich genau, was uns wirklich glücklich macht, aber wir können fast immer exakt bezeichnen, was uns unglücklich macht.

Auch Aristoteles hat sich in einem Traktat zum Glück geäußert: Er schreibt, dass Freigiebigkeit mehr Zufriedenheit erzeugt, als Geiz, Habgier und Verschwendung. Und in der Tat, wie viel Gelassenheit und strahlende Zufriedenheit geht doch fast immer von Menschen aus, die sich altruistisch anderen zuwenden. Mir fällt hier immer Albert Schweitzer als leuchtendes Beispiel ein. Und wie unzufrieden, ja oft ängstlich, an jedem materiellen Verlust auch schon mal körperlich leidend zeigen sich doch oft die Feudalisten in dieser Welt.

Ich kann freilich nicht versprechen, dass die Strategie des Vermeidens von Unglück jedem überschwängliches Glück im Leben bereiten wird. Jeder ist da anders gestrickt. Aber es ist wie mit dem Frieden: Frieden ist die Abwesenheit von Krieg. Frieden kann ohne das Wissen um Krieg gar nicht gedacht werden. Den Krieg, den müssen wir vermeiden und wo er tobt, beenden, dann ist Frieden. Den Krieg müssen wir subtrahieren! Beginnen wir doch damit, zuerst unsere kleinen Kriege des Alltags beizulegen. Das ist schon mal ein guter Anfang. Und wo wir das, was uns Ärger, Frust und Unbehagen bereitet meiden – so gut es eben geht – da haben wir zumindest eine Chance, eine gewisse Lebenszufriedenheit zu erlangen.

Dann – und nur dann – können uns die kleinen additiven Glücksmomente zusätzlich das Leben versüßen: Doch nicht im Konsum, sondern beim Musikzieren, bei der Malerei, in der Philosophie, überhaupt in Kunst und Kultur können wir unsere Zufriedenheit steigern. Kreativ zu sein, mit andern Menschen zu plaudern, mit ihnen zu lachen auch mal zu weinen… für all das, ist kein Lottogewinn von Nöten.

Schließlich sollte man meiden, das Glück im radikalen Verfolgen von Idealen erzwingen zu wollen. Das Ideale ist nämlich zuallererst nur eine Idee. Und nur selten – eher nie! – wird es wirklich. Wir sollten zufrieden sein, wenn wir wissen, dass wir uns auf dem rechten Weg dahin befinden, um von uns dereinst sagen können: Wir haben uns bemüht.

Kurt Tucholsky hatte es einst auf den Punkt gebracht:

Das Ideal

 

Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – aber abends zum Kino hast du’s nicht weit.

 

Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:

 

Neun Zimmer – nein, doch lieber zehn! Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn, Radio, Zentralheizung, Vakuum, eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm, eine süße Frau voller Rasse und Verve – (und eine fürs Wochenend’, zur Reserve) – eine Bibliothek und drumherum Einsamkeit und Hummelgesumm.

 

Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste, acht Autos, Motorrad – alles lenkste natürlich selber – das wär ja gelacht! Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd.

 

Ja, und das hab ich ganz vergessen: Prima Küche – erstes Essen – alte Weine aus schönem Pokal – und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal. Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion. Und noch ‘ne Million und ‘noch ne Million. Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit. Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.

 

Ja, das möchste!

 

Aber, wie das so ist hienieden: manchmal scheint’s so, als sei es beschieden nur pöapö, das irdische Glück. Immer fehlt dir irgendein Stück. Hast du Geld, dann hast du nicht Käten; hast du die Frau, dann fehl’n dir Moneten – hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer: bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.

 

Etwas ist immer. Tröste dich.

 

Jedes Glück hat einen kleinen Stich. Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten. Dass einer alles hat: das ist selten.

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