Bin ich “links”? Bin ich “rechts”?

Autor: Kurt O. Wörl

Diese politischen Etiketten nach dem horizontalen Links-Rechts-Schema (ein übernommenes Relikt aus dem britischen Parlamentarismus) mag ich gar nicht, weil sie im Grunde überhaupt nichts aussagen und nur der Verunglimpfung dienen.

Dabei hat sich herauskristallisiert: “Links” ist “gefühlt” irgendwie gut, moralisch erhaben, “rechts” kann demzufolge dann ja nur “pfui”, “bäh”, “igitt” sein.

Ich halte diese Etikettierung für Blödsinn, weil in der Realpolitik Problemlösungsansätze nach Sinnigkeit und nach Wirkung und nicht nach Ideenherkunft beurteilt werden sollten. Oft wundert man sich zudem, wo bestimmte Ideen im Ursprung wirklich herkommen. Das “Rechts-Links-Schema” ist jedenfalls Quatsch, wenn wohl auch kaum ausrottbar! Quod esset demonstrandum:

Besser finde ich die vertikale Zuordnung von Auffassungen und Haltungen von oben nach unten, also von freiheitlich-demokratisch-rechtsstaatlich-humanitär nach diktatorisch-antidemokratisch-rechtsstaatwidrig-inhuman. Das hätte den Vorteil, dass die politischen Arschlöcher dieser Welt alle in der unteren Schmuddelecke beieinander säßen. Und man müsste keinen rhetorischen Unterschied mehr zwischen braunen und rotlackierten Faschisten machen, so, als gäbe es unter Arschlöchern qualitative Unterschiede. Nach der recht einleuchtenden Hufeisentheorie sind sich die Extreme am “linken” und “rechten” Rand in ihren Methoden und ihrer Haltung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ohnehin sehr viel näher als sie je der politischen Mitte wären.

Auch denke ich, dass mein vertikaler Vorschlag der Beurteilung von Menschen und ihrer Ansichten der Realität näher kämen. Die veröffentlichte Meinung neigt nämlich dazu, frühzeitig Rechts-Links-Etikette zu verteilen und denunziert damit manchmal Menschen, die das so nicht verdienen. Ein paar Beispiele mögen das verdeutlichen:

Nehmen wir an, ich lehne den Islam grundsätzlich ab. Man könnte mich dann also zurecht islamophob nennen und wer als islamophob gilt steht in unserer gegenwärtigen Gouvernantengesellschaft bekanntlich a priori im Verdacht ein intoleranter “Rechter” zu sein. Ließe ich das so stehen, hätte ich mein Etikett – ohne Chancen es wieder loszuwerden – für immer anheften.

Es stimmt übrigens tatsächlich, ich lehne den Islam tatsächlich in Gänze ab; – aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die volle Wahrheit ist, ich lehne nicht nur den Islam, sondern generell alle religiösen Wahnsysteme, also auch das Christentum und auch das Judentum ab. Alle drei Konfessionen haben Ströme von Blut über die Menschheit gebracht, sie waren, sind und werden immer intolerant bleiben und sie treiben Menschen in gemeine Gewissensnöte.

Hui, ein Konfessionskritiker, womöglich ein Atheist, das riecht doch sehr nach “linker” Lebenshaltung, nicht wahr?

Oder: Ich hielt immer und halte nach wie vor die EURO-Einführung für einen Kardinalsfehler des nur teilgeeinten Europas ohne politische Einheit. Und wer EURO-Kritiker ist, gilt bei uns zunächst einmal als “Rechter”, einer, der nationalen Gedanken wie nationalen Währungen, insbesondere der D-Mark, nachhängt. Jedenfalls, wenn man dem Spiegel-Kolumnisten und “Freitag-Herausgeber” Jakob Augstein folgt. Also wäre ich demnach ein “Rechter”.

Jedoch: Keine 10 Jahre nach seiner Existenz hat die europäische Währung die meisten Mitgliedsstaaten ins Schwanken, einige an den Rand der Staatspleite gebracht. Wirtschaftsschwache Mitgliedsstaaten mit einst weichen Währungen (Lire, Drachme usw.), die in ihrer Härte der tatsächlichen Wirtschaftskraft entsprachen, erhielten mit dem EURO eine übermäßig harte Währung oktroyiert. Die Folge war der Zusammenbruch des Exports in diesen Ländern, der zusätzliche Zwang zum Import und es blieb nichts anderes als in eine gigantische Staatsverschuldung zu flüchten, um für die Bevölkerung unter dem EURO den Lebensstandard halten zu können. – Und die Banken Europas haben dieses Spiel sehr gerne mitgespielt.

Für die deutsche Wirtschaft (nicht für die deutsche Bevölkerung!) war die EURO-Einführung in der Tat aber ein Segen – bisher! Deutschland litt massiv unter seiner harten D-Mark, was dem Export schadete, ihn fast zum Erliegen brachte – und die Massenarbeitslosigkeit Ende der 90er Jahre war ein deutliches Symptom dafür. Im Vergleich zur D-Mark und für deutsche Verhältnisse war der EURO aufgrund seiner Durchmischung mit den Weichwährungen Europas von Anfang an eine eher weiche Währung. Folge: Der deutsche Export explodierte mit der Einführung der neuen Währung und hält seither an.

Hinzukam ein nur verbrecherisch zu nennender Abbau der deutschen Sozialstaatlichkeit, die bis dahin weltweit ihresgleichen suchte. Die “rot-grüne” Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder und Joseph Fischer (genannt “Joschka”) zertrümmerte mit der sog. Agenta 2010 nahezu alle Sicherungssysteme. Leichtlohngruppen, Billiglohnarbeiter, Zeitarbeit, das obszöne Wort vom “Ein-Euro-Job” und Lohndrückerei, auch in allen anderen Berufsgruppen waren die Folge. Die Agenta 2010 folgte dabei weitgehend den neoliberalen Empfehlungen der “Bertelmann Stiftung” und fand ihren Höhepunkt sicher in der Abschaffung der Sozialhilfe, der das elendige und beschämende HARTZ IV-System als Ersatz folgte.

Selbstversuch: Nehmen sie ihre letzte Gehaltsabrechnung zu D-Mark-Zeiten her und dazu die Speisekarte eines Restaurants, das sie kennen: Was kostete damals ein Wiener Schnitzel? Sagen wir 13 DM? Und das galt damals bereits als teuer!

Und nun nehmen sie eine aktuelle Gehaltsabrechnung in EURO-Währung her und eine aktuelle Speisekarte des selben Restaurants: Was kostet das Wiener Schnitzel heute? Etwa 13 EUR, nicht wahr? Das sind nach der offiziellen Umrechnung fast 26 DM. Die Preise haben sich also verdoppelt. Das ist die eigentlich bittere Wahrheit der Euro-Einführung, nämlich, dass die Einkommen mit dieser Währung faktisch halbiert oder die Preise verdoppelt wurden. – Klingt ein bisschen nach “linker Haltung, nicht wahr?

Was als “Fitmachen Deutschlands für die Globalisierung” verkauft wurde, war letztlich nichts weiter als deutsche Großmannssucht. Sie entspricht faktisch einer wirtschaftlichen Kriegsführung Deutschlands gegen Resteuropa. Denn: Bei etwas heißblütigeren Südländern ist es für die dortigen Regierungen bei weitem nicht so einfach, Einschnitte in die Sozialsysteme vorzunehmen als in Deutschland, wo traditionell ohnehin jede Revolution verschlafen wird und Streiks, weil unbequem, in weiten Bereichen der Bevölkerung als unerhört gelten. Und das bei Gewerkschaften, die von ihrer Schwäche und Lahmarschigkeit – wie der Franke das nennt – her die Bezeichnung Gewerkschaften eigentlich gar nicht mehr verdienen.

Wie hätten nun die Verwerfungen mit der EURO-Einführung in Europa vermieden werden können? Ich meine nur mit einem Europäischen Länderfinanzausgleich, wie er sich in Deutschland bewährt hat – auch wenn Bayern und Hessen derzeit vor Gericht dagegen vorgehen.

Oh… Länderfinanzausgleich, das hört sich doch sehr nach “Umverteilung” an… bin ich am Ende doch ein “Linker”?

Keine Ahnung, liebe Leser, ich weiß es nicht, ich kann das wirklich nicht beantworten, schon deshalb, weil ich das Rechts-Links-Schema wie eingangs betont, für idiotisch halte. Es gibt Dinge, die finde ich gut, obwohl sie von sog. “linken” Ideengebern stammen. Es gibt aber auch Bereiche, da stimme ich schon mal Problemlösungen zu, deren Urheberschaft man “rechts” vermutet. – Bei vielen Dingen könnte ich gar nicht sagen, ob das “rechte” oder “linke” Lösungsansätze wären.

Oder: Ich mag den männerfeindlichen Feminismus nicht, nehme ihn nicht ernst und mache ihn lächerlich, wo es nur möglich ist (das gilt allgemein eher als “rechte”, “ewiggestrige” Haltung). Aber ich mag ihn ja nur deshalb nicht, weil er eben nur die feminine Entsprechung des frauenfeindlichen Chauvinismus ist, den ich in gleicher Weise ablehne und der Lächerlichkeit preisgebe (das klingt nun wieder mehr nach “links”, nicht wahr?).

Ich finde es sehr sympathisch und richtig, wie sich Frauen, – abseits des albernen Feminismus – ihren Anteil an der Gesellschaft erobern, in Führungspositionen drängen und ungleiche Bezahlung für gleiche Arbeit nicht mehr hinnehmen. Ich finde das Klasse (klingt ein bisschen “links”, gell?).

Gleichzeitig sabotiere ich aber vorsätzlich geschlechtsspezifische Bevorteilungen: Z.B. parke ich immer wieder gerne und vorsätzlich auf sog. Frauenparkplätzen in Parkhäusern, weil es für diese geschlechtsspezifische Parkraumreservierung absolut keine belastbaren sachlichen Gründe gibt (außer einer angeblichen generellen Urangst von Frauen, in Parkhäusern zu parken, aber da wäre eine Therapie m.E. sinnvoller als Sonderparkplätze, die ich für Frauen sogar diskriminierend empfinde). Ist das jetzt chauvinistisch und damit “rechts”? Oder ist es das “linke” Kampfmittel des zivilen Ungehorsams? – Ich weiß es nicht.

Ich finde, die Bayer. Staatsregierung unter der langjährigen Verantwortung der CSU hat im Vergleich zu anderen Landesregierungen anderer Bundesländer einen guten Job geleistet und hat Bayern wirklich vorbildlich vom Agrarstaat in ein modernes Hightech-Land entwickelt. Bin ich deswegen “rechts”, weil ich die gute Arbeit lobe?

Gleichzeitig gibt es kaum ein Argument der Gerechtigkeit, welches Sahra Wagenknecht gibt, dem ich ernsthaft widersprechen könnte. Sie und Gregor Gysi halte ich für besten Redner im Deutschen Bundestag. Bin ich deswegen “links”? Wählen würde ich ihre noch im Stalinismus festhängende Partei jedenfalls nicht.

Meine Haltung zu den Dingen der Welt wurde in jungen Jahren vor allem von der Grand Dame des Werteliberalismus, Hildegard Hamm-Brücher, von Hans-Dietrich Genscher, Joseph Ertl, Thomas Dehler usw. geprägt. Waren sie “links”? Waren sie “rechts”?

Ich könnte es nicht sagen, sie waren einfach Politiker die Menschlichkeit, Anstand und Freiheit und Pragmatismus in den Vordergrund stellten. Und trotzdem: wählen würde ich die zur Klientelpartei verkommene FDP heute nicht mehr.

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.