Literatur-Rezension:

Factfulness …

rezensiert von Kurt O. Wörl

Das vielleicht wichtigste und nützlichste Buch unserer Zeit erschien am 6. April 2018 im Ullstein-Verlag unter dem Titel 

Factfulness

Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist 

Autor: Hans Rosling
Co-Autoren: Anna Rosling-Rönnlund und Ola Rosling

gebundene Ausgabe

ISBN-10: 3550081820
ISBN-13: 978-3550081828

Taschenbuchausgabe

ISBN-10: 3548060412
ISBN-13: 978-3548060415

Das Buch, inzwischen in der 11. Auflage als gebundenes Buch und in der 5. Auflage als Taschenbuch auf dem Markt, ist inzwischen ein Dauerbestseller. Es ist auch als E-Book, Download-Hörbuch und als Hörbuch auf Audio-CD erhältlich.

Der Klappentext auf der Rückseite

Es wird alles immer schlimmer, eine schreckliche Nachricht jagt die andere: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Es gibt immer mehr Kriege, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen. Viele Menschen tragen solche beängstigenden Bilder im Kopf. Doch sie liegen damit grundfalsch.

Unser Gehirn verführt uns zu einer dramatisierenden Weltsicht, die mitnichten der Realität entspricht, wie der geniale Statistiker und Wissenschaftler Hans Rosling erklärt. Wer das Buch gelesen hat, wird

  • ein sicheres, auf Fakten basierendes Gerüst besitzen, um die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist
  • die zehn gängigsten Arten von aufgebauschten Geschichten erkennen
  • bessere Entscheidungen treffen können
  • wahre Factfulness erreichen – jene offene, neugierige und entspannte Geisteshaltung, in der Sie nur noch Ansichten teilen und Urteile fällen, die auf soliden Fakten basieren

Rezension

Mit dem Klappentext trägt der Verlag vielleicht etwas dick auf. Denn: auch wenn dieses Buch in der Tat überaus aufklärerisch angelegt ist, so stellt es dennoch keine Garantie dafür dar, dass ein Leser nicht doch ignorant auf eine auf Fakten basierende Weltsicht – vielleicht auch nur aus Bequemlichkeit – lieber verzichtet. Aber wer sich für die sehr lehrreiche Aufbereitung wichtiger Weltfakten und die angebotene Methodik zum Erkennen von Verzerrungen der Wirklichkeit einen offenen Geist bewahrt hat, der dürfte in der Tat mit diesem Buch künftig ein hervorragendes Werkzeug im Bücherschrank stehen haben.

Ohne Wenn und Aber: das Buch gehört aus meiner Sicht zu den besten Sachbüchern dieses Jahrzehnts und es ist schade, dass der 2017 an Pankreaskrebs verstorbene Autor das Erscheinen und den Erfolg seines Buches nicht mehr erleben durfte.

Das Buch beginnt mit 13 Fragen an den Leser zum Wissen über jederzeit online erreichbare Informationen, die er im Multiple-Choice-Verfahren beantworten soll, wobei jeweils nur eine Antwort richtig ist.

Testen Sie sich selbst, die erste Frage lautet beispielsweise:

Wie viele Mädchen absolvieren heute eine fünfjährige Grundschulbildung in den Ländern mit niedrigem Einkommen?

  1. 20 Prozent
  2. 40 Prozent
  3. 60 Prozent

Wenn Sie jetzt – wie die meisten in Tests befragten Menschen mit “A” geantwortet haben: Glückwunsch! Ihre Vermutung war absolut richtig … allerdings zuletzt in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts – gefragt war aber “heute”! An Ihnen ist vorbeigegangen, dass diese Welt auch in den ärmsten Gegenden enorme Fortschritte gemacht hat. Heute sind es nämlich etwa 60% aller Mädchen, die in armen Ländern eine mindestens fünfjährige Grundschule besuchen/besucht haben. Antwort “C” war also richtig.

Aber kein Grund zur Scham, die 13 Fragen werden heute von fast 90% aller Befragten und in allen Bildungsschichten auf die gleiche Weise falsch beantwortet. Man hat auch Schimpansen nach dem Zufallsprinzip für 13 Fragen jeweils den Buchstaben A, B oder C auswählen lassen und das Ergebnis war, dass die Schimpansen nur zu 60% falsch lagen (was beim Zufallsprinzip auch zu erwarten war). Hätten auch die befragten Menschen nicht über den Inhalt der Fragen nachgedacht, sondern einfach nach dem Zufallsprinzip je eine der drei Antworten gewählt, hätten sie vermutlich nicht schlechter als die Schimpansen abgeschnitten.

Die Ursache sieht Rosling in der Art und Weise wie wir von den Medien informiert werden und uns weigern, Veränderungen, die oft nur langsam vor sich gehen, wahrzunehmen. In einer Medienlandschaft, in welcher es heißt “Only bad news are good news!” werden leider nur betrübliche Nachrichten verbreitet. “Flugzeug abgestürzt, 230 Tote!” das ist eine Nachricht.

Dass täglich zwischen 150.000 und 200.000 Flugzeuge weltweit sicher starten und landen ebenso wie die in diesen Flugzeugen sitzenden, über 20 Mio Menschen (täglich), erfahren wir in den Nachrichten eher selten. Der Autor, der sich selbst nicht als Optimist, sondern als Possibilist sieht, zeigt uns auf, dass wir mit der sehr weit verbreiteten Haltung “Alles wird immer schlimmer!” und “Früher war alles besser!” völlig falsch liegen.

Wir haben es nur gar nicht mitbekommen, dass, während in den 1960er und 1970er Jahren bei uns die protestierende Studentenschaft mit Mao-Bibeln unterm Arm auf die Straße ging, in Wirklichkeit in Maos Reich China zur selben Zeit über 15 Mio. Menschen an Hunger elendig verreckten. Und wir haben es auch nicht mitbekommen, dass China in den letzten 20 Jahren über 600 Millionen Menschen aus bitterster Armut geholt hat und uns aktuell in Sachen Zukunftstechnologie bereits um mindestens ein Jahrzehnt überrundet hat. 

Darauf macht uns Rosling aber aufmerksam, nämlich, dass wir über die Medien fast ausschließlich nur mit den Abweichungen von der Norm konfrontiert werden, sodass man ohne weitere Informationen leicht zu dem Irrtum gelangt, das Abnorme wäre die Normalität. 

Ein weiteres Beispiel aus seinem Buch: Nahezu täglich vernehmen wir aus den Medien, “die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer!” – Wir spüren dann fast körperlich diese “Kluft” als eine Art Abgrund. Hier die wenigen Reichen die fast alles besitzen und dort die vielen Armen, die nichts besitzen. Ein sehr wirksames Bild, dass das Gerechtigkeitsempfinden eines jeden Menschen mit Empathie triggern wird – darum wird es auch verbreitet.

Doch diese Kluft, die gibt es gar nicht. Das Bild ist schlicht falsch. Denn dort, wo diese Kluft – eben zwischen den Ärmsten und den Reichsten – sein müsste, befindet sich in Wahrheit der sog. Mittelstand – und der stellt in der Gauß’schen Verteilungskurve nun wahrlich keine Kluft sondern den ganz dicken Bauch dar. Das Bild, das Politik und Medien vermitteln, ist also reine Schwarz-Weiß-Malerei.

Rosling verwendet ein vierstufiges Modell, wobei die ärmsten Länder der Stufe 1 entsprechen und die entwickeltsten Länder – also die westliche Welt – Stufe 4. Anhand dieser Einteilung gelingt es dem Autor aufzuzeigen, dass doch sehr viele Länder, die die meisten Menschen noch auf Stufe 1 und 2 vermuten, längst auf Stufe 3 angekommen sind.

Das Buch zeigt auf 400 Seiten eine Vielzahl dieser schlicht falschen Wahrnehmungen auf, die leider allzu oft auch zu falschen Entscheidungen in Politik und Wirtschaft führen. Rosling zeigt aber auch die Methoden auf, wie man sich dieser Falschwahrnehmungen entziehen kann und eine ganz große Hilfe dabei spielt das Hinterfragen von vorgelegtem Zahlenmaterial. 

Auch als Informationsquelle bietet das Buch durch jede Menge statistische Schautafeln eine wunderbare Hilfe, in Zukunft nicht mehr unseren eigenen oder den durch Medien generierten Vorurteilen und Irrtümern aufzusitzen. Insofern hält der Klappentext des Buches Wort!

Das Zahlen- und Datenmaterial hat – so berichtet der Autor in seinem Buch – auch den ehemaligen Kandidaten für das US-Präsidentenamt, Al Gore, begeistert. In einem persönlichen Gespräch bat er Rosling, ob er die Schautafeln auch für seinen Einsatz in Sachen “Klimawandel” nutzen dürfe. Al Gore ist bekanntlich der Überzeugung, man müsse den Menschen in Sachen Klimawandel beständig ein “Worst-case-Szenario” vor Augen führen, um den Menschen richtig Angst vor einem Weltuntergang einzujagen, damit diese für Einschnitte in ihr Leben gefügig werden. 

Rosling lehnte dies ab! Wissenschaft solle den Menschen die Wirklichkeit vermitteln und schon gar nicht Angst einjagen. Für Zwecke der Manipulation erlaube er nicht, seine Aufbereitungen zu missbrauchen, zumal er als Possibilist ziemlich sicher sei, dass Wissenschaft und Ingenieursgeist auch dieses Problem, wie den Welthunger in weiten Bereichen, in den Griff bekommen.

Das Einzige, was ich an dem Buch vielleicht als – wirklich nebensächliche – Kritik anbringen könnte, wäre der stellenweise etwas herablassend wirkende Duktus. – Nun weiß ich aber nicht, inwieweit dieser von Hans Rosling selbst, von seinen Co-Autoren, von den Übersetzern oder vom Lektorat eingebracht wurde. Wegen der schließlich letalen Erkrankung vor der Veröffentlichung des Buches wäre dies immerhin denkbar. Ich habe das Buch begeistert gelesen, bin in den vielen Schautafeln und Diagrammen nur zu gerne versunken und war in wenigen Nächten des Lesens durch. – Ein Schatz in meinem Bücherschrank!

Prädikat: unbedingt lesenswert!

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