Never ending Story: Wahlrechtsreform

Autor: Kurt O. Wörl

Der Bundestag ringt um eine überfällige Reform des Wahlrechts. Gelingt das nicht, wird das deutsche Parlament zur Farce und die GroKo blamiert sich bis auf die Knochen und verspielt jegliches Vertrauen. Diese Sorge äußerte zumindest der Bundestagsvizepräsident, Thomas Oppermann (SPD).

Frage:

Was haben die Bundestagsabgeordneten Kathrin Göring-Eckhardt (Sie wissen schon, die Frau ohne erlernten Beruf, die nur ein abgebrochenes Theologiestudium aufweisen kann), Anton Hofreiter, Annalena Baerbock, Cem Özdemir, Jürgen Trittin, Claudia Roth von den Grünen mit Beatrix von Storch, Alexander Gauland und Alice Weidel gemeinsam? 

Oder anders gefragt: Wodurch unterscheiden sich die Vorgenannten von Abgeordneten wie Philipp Amthor, Peter Altmaier, Alexander Dobrindt, Hans-Peter Friedrich, Thomas de Maizière, Angela Merkel von CDU/CSU und Sigmar Gabriel, Hubertus Heil, Karl Lauterbach von der SPD?  – Na? – Kommen Sie drauf? (Anmerkung: die andere Parteizugehörigkeit ist nicht gemeint)

Ich verrate es: Die erstgenannten haben alle ihr Mandat im Deutschen Bundestag über die Parteiliste gewonnen. Sie alle haben durch linientreues Wohlverhalten ggü. ihrer Partei gute Listenplätze erhalten. Und weil die Wähler auf Bundesebene nur aus den von den Parteien aufgestellten, starren Listen jeweils eine einzige unverändert auswählen können (leider lässt das Bundeswahlgesetz für den Wähler weder das Kumulieren, noch das Panaschieren zu, selbst das Streichen ungeliebter Kandidaten würde den Stimmzettel ungültig werden lassen), erlangen die Kandidaten auf den vorderen Plätzen dieser Listen bei den relevanten Parteien praktisch immer sichere Abgeordneten-Mandate. 

Die Zweitgenannten hingegen sind die eigentlichen Volksvertreter, denn sie wurden in den Wahlkreisen direkt gewählt, gingen also aus einer Persönlichkeitswahl als Sieger hervor. Das heißt, sie können sich auf das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung in ihrem Wahlkreis stützen. Die Parteien sind auch auf diese populären Kandidaten mehr angewiesen als umgekehrt. Es besteht damit ein geringeres Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Abgeordneten und seiner Partei.

Die Direktkandidaten sind auch in den Wahlkreisen vor Ort präsent, sind ansprechbar und haben deshalb in der Regel ihr Ohr sehr direkt am Munde des Bürgers, oder deftiger bayerisch ausgedrückt: sie schauen dem Bürger mehr aufs Maul. Sie sind – aus meiner Sicht – die eigentlichen Volksvertreter, also jene, welche wirklich durch den Willen der Mehrheit der Wähler entsandt wurden. Und sie sind auch jene, die in erster Linie unmittelbar ihren Wählern gegenüber verantwortlich sind.

Die erstgenannten Listen-Abgeordneten hingegen sind eher reine Parteivertreter im Parlament, die Apparatschiks ihrer Parteien. Sie sind – um ihre Listenplatz auch künftig zu sichern – weitaus mehr ihren Parteien zu Loyalität und Programmtreue verpflichtet als dem Wähler. – Wenn nicht, riskieren sie, bei den nächsten Wahlen zur Strafe einfach aus der Liste gekickt zu werden. Außerdem sind die Apparatschik-Abgeordneten auch sehr viel anfälliger für den Druck seitens der Lobbyisten, NGOs und anderen Pressuregroups.

Das Problem:

Gäbe es bei uns nicht dieses Mischwahlsystem aus Mehrheits- und Verhältniswahl per Parteilisten (wobei letztere eigentlich nur kleineren Parteien, ohne regionale Bindung, nützt), sondern nur eine Direktwahl nach dem Mehrheitsprinzip (das heißt, nur direkt gewählte Abgeordnete ziehen in das Parlament ein), dann sähe der Deutsche Bundestag aktuell so aus:

Parteien direkt gewählte Volksvertreter
CDU 185
CSU (BY) 46
SPD 58 
Die Linke
AfD
Fraktionslose
B90/Grüne
FDP

Mit 299 Abgeordneten wäre der Bundestag auch ausreichend groß, alle Wahlkreise wären ordentlich vertreten und ganz nebenbei könnte sich die Staatskasse die Diäten für die aktuell 410 Partei-Apparatschiks sparen. – Die Union hätte ganz nebenbei eine komfortable absolute Mehrheit, aber das nur am Rande. – Grüne, AfD und Die Linke hätten nur noch marginalen Einfluss. Das hätte sogar Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Rundfunkbeiräte. – Aber das sind nebensächliche Gedankengänge.

Aktuell sitzen im Deutschen Bundestag 410 der erstgenannten Partei-Apparatschiks aber nur 299 direkt gewählte Volksvertreter. Zusammen sind das aktuell 709 Abgeordnete, obwohl für den Deutschen Bundestag standardmäßig nur 598 Abgeordnete vorgesehen sind (50% Direktkandidaten, 50% Listenkandidaten). Das heißt, wir Steuerzahler füttern derzeit 111 – im Grunde überflüssige – Listenabgeordnete zusätzlich durch.

Warum das so ist? Nun, vor allem CDU und CSU (und etwas weniger erfolgreich auch die SPD) gelingt es besser, die Direktmandate in den Wahlkreisen zu gewinnen und stellen damit die große Mehrheit der Direktkandidaten. In Bayern hat die CSU sogar alle 46 Wahlkreise geholt und stellt deshalb alle 46 Abgeordnete mit Direktmandat.

Da in diesem verrückten Mischwahlsystem die Sitze nach den Zweitstimmen zu vergeben sind, aber andererseits kein Direktmandat verloren gehen darf (weil das in der Tat die höherwertigen Mandate sind), müssen zusätzliche Ausgleichsmandate geschaffen werden, damit der Proporz nach den Zweitstimmen wieder stimmt. Deshalb haben wir derzeit 709 statt 598 Bundestagsabgeordnete und wenn das Wahlrecht nicht geändert wird, könnte sich der Bundestag nach der nächsten Bundestagswahl 2021 sogar auf über 800 oder gar 1.000 Abgeordnete aufblähen. Ein Irrsinn!

Keine Lösung in Sicht?

Ginge es nach mir, würde ich ein Mehrheitswahlsystem nach britischem Vorbild bevorzugen. Nur noch Direktkandidaten, die vor allem ihren Wählern verantwortlich sind, das würde eine weitaus pragmatischere und weniger ideologisch-verbissene Politik ermöglichen, weil den Chefideologen in den Parteien kaum Druckmittel gegen ihre Abgeordneten hätten. – Guter Nebeneffekt: Jene Parteien, welche unseren verfassten Staat nicht mögen, teilweise gar hassen – also Grüne, Linke und AfD – wären praktisch erstmal draußen. Sie müssten sich bei den Wählern erstmal volksnah Sporen verdienen und Vertrauen erringen, um künftig Wahlkreise gewinnen zu können. Allerdings wäre dann auch die FDP ante portas – und das gefällt mir wieder weniger gut. Andererseits fallen die Liberalen seit Jahren nicht gerade durch pfiffigen Ideenreichtum, zur Verbesserung unser aller Lebensbedingungen, auf. 

Seit Jahren versucht die Bundestagsverwaltung jedenfalls eine vernünftige Wahlrechtsreform anzustoßen. Es sind – aus vorgenanntem Grunde – gerade die kleinen Parteien, die sich einem Mehrheitswahlrecht vehement entgegenstellen.

Jetzt aber legte die SPD, genauer Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann, einen Lösungsvorschlag vor, der zumindest vorübergehend das weitere Ausufern von Ausgleichs- und Überhangmandaten stoppen könnte. 

Demnach soll die Sitzverteilung weiterhin nach den Zweitstimmen vorgenommen werden. Die Anzahl der Parlamentarier bliebe auf 598 gedeckelt. Die Wahlkreise sollen bundesweit um 50 auf 249 verringert werden (d.h. Zusammenlegung oder Neuzuschnitt von Wahlkreisen). Die gewonnenen Sitze würden dann aber zuerst mit den direkt gewählten Volksvertretern besetzt, ein übriger Rest dann – wie üblich – nach Auszählverfahren an die Listenkandidaten vergeben. Die großen Parteien haben ihre Sitze dann eben vor allem an Direktkandidaten, die kleineren Parteien – wie gehabt – vor allem an Parteiabgeordnete (Apparatschiks) vergeben. Vorgestellt hat Oppermann seinen Vorschlag am Sonntagabend, im Rahmen des Nachrichtenformats “Berlin direkt”:

ZDF: Lösung oder Blamage für die GroKo

Ganz so dumm ist der Vorschlag – mit Ausnahme der Reduzierung der Wahlkreise – gar nicht. Eine Reduzierung der Wahlkreise ist abzulehnen, das wäre nichts anderes als ein Angriff auf die Direktmandate – also eine Reduzierung der Volksvertreter zu Gunsten der Partei-Apparatschiks. Ansonsten gefällt mir der Vorschlag ganz gut, denn dann wären die wirklich relevanten Parteien mit ihren Volksvertretern sehr viel besser in der Bevölkerung verankert als die Listen-Apparatschiks, was sich auf den Zuspruch für eine Partei auswirken mag.

Aber ich ahne jetzt schon, von wem der Gegenwind kommen wird – und zwar über alle Parteigrenzen hinweg: Die 111 Abgeordneten, die wir derzeit aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten sinnlos mit durchfüttern müssen, werden ihre üppigen Diäten-Pfründe mit Klauen und Zähnen vereidigen. Wetten dass?

Man darf gespannt sein.

Bild von Mathias Westermann auf Pixabay


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