Bundestag kein Abbild der Bevölkerung

Autor: Kurt O. Wörl

Allenthalben wird beklagt, dass die Politik in Deutschland nicht mehr sehr viel mit den Lebenswirklichkeiten, mit den Wünschen und dem Wollen der Menschen im Lande zu tun hat. Es hat sich ein Politikstil breit gemacht, der nicht mehr die Menschen danach fragt, wie sie leben wollen, sondern der Menschen erziehen will so zu leben, wie die Politik es gerade haben möchte. Es kann nicht mehr vom bloßen paternalistischem Nudging die Rede sein sondern es muss inzwischen von einer sich etablierenden, neuen Diktatur mit zunehmend faschistoiden Elementen, die bis in die persönlichsten Lebensbereiche der Menschen wirken sollen, gesprochen werden.

Es darf deshalb infrage gestellt werden, ob der Begriff “Volksvertreter” überhaupt noch zutreffend synonym für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages verwendet werden kann. Für einen Großteil der Mitglieder des Bundestages (MdB) könnten auch die Begriffe “Lobbyistenvertreter” oder “gouvernante Bevormunder” durchaus synonyme Berechtigung haben. – Eigentlich aber sollten sich die MdB ja selbst als die Lobbyisten des Volkes verstehen.

Der Deutsche Bundestag – ein Abbild der Bevölkerung?

Idealer Weise sollte in einer Demokratie jedes Parlament ein Spiegelbild der Gesellschaft sein. Die Antwort auf die Frage, ob denn der Deutsche Bundestag ein Abbild der deutschen Bevölkerung sei, ist ein klares “Nein”! – Und dafür gibt es gleich mehrere Gründe. 

1. Einfluss der Parteien

Nach Artikel 21, Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) “wirken Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit”. Doch in der Realität kann von bloßer Mitwirkung nicht mehr gesprochen werden. Parteien sind es, welche Kandidaten nominieren und zur Wahl auf Listen anbieten. Parteien bestimmen, welche Listenplätze ihre Kandidaten erhalten und – mit wenigen Ausnahmen – werden diese Kandidaten von den Parteien aus Parteimitgliedern rekrutiert. In sehr seltenen Fällen öffnen Parteien ihre Wahllisten auch einmal für Nichtmitglieder (meist aber nur, wenn sie selbst zu wenige Kandidaten haben und keine Stimmen verschenken möchten).

Dass hingegen Bürger andere Bürger aus der Bürgerschaft – ohne Parteizugehörigkeit – als Abgeordnete direkt in die Parlamente entsenden können, ist zwar theoretisch möglich, in der Praxis aber mit so hohen Hürden versehen, dass dies die absolute Ausnahme bleibt.

Anders als bei den Kommunalwahlen in Bayern, bei welchen Wähler durch Kumulieren und Panaschieren ihre Stimmen sehr viel gezielter an bestimmte Kandidaten vergeben können, besteht bei den starren Listen der Bundestagswahl diese Möglichkeit nicht. Noch nicht einmal das Streichen von ungeliebten Kandidaten ist zulässig, der Stimmzettel würde dadurch nämlich ungültig. – Der Wähler kann aus den Listen, welche die Parteien anbieten,  nur eine unverändert auswählen. – Das aber ist dann weniger eine Wahl als eine Art Zustimmung zum Willen der jeweiligen Partei.

Nun muss man sich Folgendes vorstellen: In Parteien organisiert sind gegenwärtig etwa 1,5 Mio Menschen, das sind nur ca. 1,8% der Gesamtbevölkerung. In den Händen dieser nur 1,8% liegt es nun, die “besten” Kandidaten als künftige Volksvertreter und das politische Personal für die Regierung auszusuchen. 98,2% der Bevölkerung sind an diesem Prozess nicht beteiligt. Sie können weder den Regierungschef noch das Staatsoberhaupt nominieren, geschweige denn wählen. In der Regel nominieren die Parteien all ihre Kandidaten parteiintern aus. Da möge sich jeder selbst folgende Fragen beantworten:

Wie wahrscheinlich ist es, dass 1,8% der Bevölkerung in einem Prozess, an dem 98,2% der Bevölkerung nicht beteiligt sind, die Besten der denkbar Besten aus ihrer Entourage als Volksvertreter zur Wahl anbieten?

 

Wie wahrscheinlich ist es, dass sich in den Parteien als Kandidaten die Altruisten zum Wohle der Allgemeinheit durchsetzen und nicht etwa die Ichlinge, also Alpha-Männchen/-Weibchen, mit den härtesten Ellenbogen?

Wäre das nämlich möglich, dann hätte es eine Politikerin wie Katrin Göring-Eckhardt, welche nur ein abgebrochenes Theologiestudium als Kompetenznachweis vorweisen kann, nie als Abgeordnete in den Deutschen Bundestag schaffen dürfen. Schaut man sich ihren Lebenslauf an, so kann sie zwar eine Schul- und Parteilaufbahn, aber keine Berufslaufbahn vorweisen. Sie ist auf Gedeih und Verderb zum Broterwerb auf ihre politische Karriere angewiesen, denn sie lebt praktisch schon immer alimentiert von staatlichen Diäten.

Ich will Frau Göring-Eckhardt wirklich nicht zu nahe treten, aber die Frage sei schon erlaubt, welche Ahnung sie von der Lebenswirklichkeit, etwa der Menschen, die im Braunkohleabbau in der Lausitz ihren Lebensunterhalt verdienen, haben kann, wenn sie nie im realen Leben ihren Unterhalt verdienen musste; – zumal sie zudem noch einen großen Teil ihrer Freizeit ihrem frömmelnden Engagement in der Evangelischen Kirche widmet.

Dass Sie als Fraktionsvorsitzende der Grünen, im rot-grünen Kabinett unter Kanzler Gerhard Schröder, eine der konsequentesten Befürworter der Agenda 2010 und der HARTZ-Gesetze war, verwundert deshalb eher nicht. – Sie selbst war davon ja nie betroffen. 

Aber bitte, Frau Göring-Eckhardt steht nur beispielhaft für ganz viele, ganz ähnlich merkwürdige Werdegänge unter bundesdeutschen Politikern. 

2. Zusammensetzung des aktuellen Bundestages

Derzeit sitzen 709 Abgeordnete für 82 Mio Bundesbürger im Deutschen Bundestag (so viele wie noch nie!). Zum Vergleich: Die riesige USA,  mit ihren 50 Bundesstaaten und 327 Mio Einwohnern, kommt mit 435 Abgeordneten im Repräsentantenhaus aus. Nun könnte man argumentieren, dass in einem größeren Parlament die Gesellschaft als Abbild präziser als in einem kleineren Parlament abgebildet werden könnte, doch das stimmt nicht! Sehen wir uns die Zusammensetzung des aktuellen Bundestages an, dann sehen wir wie wenig das stimmt und, dass bestimmte Berufe völlig überrepräsentiert, dass andere, vor allem die Berufe der Massen, extrem unterrepräsentiert sind:

Öffentlicher Dienst Verwaltungsbeamte

55

  Polizei

9

  Justiz

9

  Bundeswehr, Bundespolizei

4

  Kommunale Wahlbeamten

28

  Lehrer, Hochschullehrer

68

  Angestellte

30

Politische/gesellschaftliche Organisationen Partei-/Fraktionenmitarbeiter

55

  Gewerkschaften

16

  Mitarbeiter von Abgeordneten

24

  Kirchen

8

Wirtschaft (inkl. Verbände) Handel, Industrie, Handwerk, Gewerbe

73

  Land-/Forstwirtschaft

3

  Banken, Sparkassen

14

  Versicherungen

5

  Medien

22

Selbständige Tätigkeiten Handel, Industrie, Handwerk, Gewerbe

47

  Land-/Forstwirtschaft

10

  Banken, Sparkassen

4

  Versicherungen

3

  Medien

16

Freie Berufe Rechtsanwälte Steuerberater etc.

99

  Medizin

3

  Publizistische Berufe

7

  techn. naturwissenschaftliche Berufe

8

Hausfrauen/Hausmänner   2
Arbeitslose   4
Schüler, Studenten, Azubis   16
Keine Angaben   18
Sonstige   49
Gesamt   709

Quelle: bundstag.de

Wie man in der Aufstellung sehen kann: Arbeiter und Angestellte oder gar Hausfrauen/-männer und aus der Arbeitslosigkeit Kommende sind eher eine Rarität im Parlament – und raten Sie doch mal, wie viele Krankenschwestern, Pflegekräfte, Feuerwehrleute oder vorherige HARTZ IV-Empfänger im Bundestag vertreten sind?

Auffällig stark vertretene Berufe habe ich rot markiert und da fallen vor allem vier Berufsgruppen besonders stark vertreten auf: Juristen, Lehrer und Hochschullehrer, Verwaltungsbeamte und Mitarbeiter von Abgeordneten, Parteien und Fraktionen. Diese sind – im Vergleich zu ihrer Präsenz in der Gesamtbevölkerung – im Bundestag extrem überrepräsentiert.

Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Abgeordnete ein offenes Ohr für die Anliegen z.B. von Krankenschwestern, Pflegekräften, Feuerwehrleute oder Tagebauarbeiter in der Lausitz haben?

Ich will nicht verallgemeinern, aber fast alle Juristen, die ich bisher kennengelernt habe – und das waren in meinem Berufsleben als Gendarm derer sehr, sehr viele (egal ob Anwälte, Staatsanwälte oder Richter) – die wiesen sich – mit ganz wenigen Ausnahmen, die es freilich auch gab – vor allem durch notorische Weltfremdheit, häufig durch misanthrope Grundhaltungen und empathielose Gleichgültigkeit, bis hin zu menschlicher Kälte aus.

Meine Vermutung: Wer sich die Menschheit vor allem aus Akten erschließt und seine Welt ansonsten anhand von gesetzlichen Tatbeständen durchdekliniert, der kann irgendwann nur noch als “komischer Heiliger” durch die Welt spazieren. – Genau genommen sollten Juristen, weil der Judikative zugehörig, aus Gründen der Gewaltenteilung überhaupt nicht an Entscheidungsprozessen der Legislative – und damit an der Gesetzgebung – beteiligt sein. – Noch nicht einmal beratend! – Trotzdem sitzen 99 davon im Bundestag.

Notabene:

Wenn gebildete, wohlwollende Männer und Frauen aus dem Volke einen Verfassungsentwurf erstellen, dann ist dieser für jeden verständlich und passt auf einen größeren Bogen Papier – wie die Verfassung der Vereinigten Staaten.

 

Wenn Juristen eine Verfassung ausarbeiten, dann kommt dabei ein mehrere Aktenschränke füllendes Monsterwerk, wie der “EU-Vertrag zu Lissabon”, heraus, dessen Inhalt niemand mehr durchschaut und in dem vor allem die Interessen von Lobbyisten des Wirtschafts- und Finanzsektors manifestiert werden.

3. Bildungsabschlüsse der Parlamentarier

Eine weitere Erstaunlichkeit in der Zusammensetzung der Parlamentarier zeigt sich in der Übersicht der im Bundestag vertretenen Bildungsabschlüsse. Um es vorwegzunehmen: Das Bildungsniveau im Bundestag scheint weit über dem der Gesamtbevölkerung – jedenfalls wenn es um Bildungsabschlüsse geht, zu liegen. “DIE WELT” hat sich die Mühe gemacht, die Bildungsabschlüsse der MdB zu durchleuchten. Und so sieht das aktuell aus:

Hochschulabschluss Bundestag
(Gesamtbevölkerung)
82%
(18%)
  FDP  87,5%
  Güne  85%
  CDU/CSU  85%
  AfD 80%
Promovierte (Doktortitel) Bundestag 17%
  Grüne 21%
  FDP 19%
  AfD 19%
  CDU/CSU 18%
  SPD 14%
  LINKE 13%
Habilitierte (Professoren) AfD 5%
  FDP 3%
  SPD 1%

Ob die 82% Akademiker im Bundestag die Lebenswirklichkeit der 82% Nichtakademiker der Bevölkerung wirklich repräsentieren kann, stelle ich mal ungeniert in Frage. Denn ich denke, dass z.B. das akademische Geschwätz der Grünen zur “gendergerechten Sprache” und zur “dritten Toilette für geschlechtlich Diverse” in der Lebenswirklichkeit von 99,99% der Menschen, etwa  in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, schlicht keine Bedeutung hat.

Auffällig ist, dass ausgerechnet die AfD-Abgeordneten mit signifikant hohen Bildungsabschlüssen aufwarten können. Das hätte ich nun wirklich nicht erwartet! – Zeigt aber, das Bildung nicht vor Torheit schützt.

Aktuelle Zusammensetzung des Bundestages stellt repräsentative Demokratie in Frage

Abgeordnete sollten in der Demokratie für den Souverän, das Volk, die Dinge regeln und erledigen, die den einzelnen Bürger überfordern würden und/oder sehr viel Sachverstand verlangen. Man denke an das Für- und Wider zur Nutzung der Kernkraft. – Das setzt voraus, dass sich die Abgeordneten jederzeit des Willens und Wollens ihres Souveräns bewusst sind.

Wenn aber gerade die größten Bevölkerungsanteile im Parlament unterrepräsentiert oder gar nicht vertreten sind und die übermäßig Vertretenen von den Bedürfnissen der Erstgenannten keine Ahnung mehr haben, dann kommt es zu Politikverdrossenheit seitens der “Vergessenen”, die sich auch in vulgären Ausbrüchen im Internet und auf der Straße und im Protestwahlverhalten zu Wort melden kann.

Diese Wut auf die Elfenbeinturm-Politik der letzten Jahre allein erklärt die zunehmenden AfD-Wahlgewinne vollkommen. Man wählt die AfD nicht weil man die gut findet. 70% der AfD-Wähler räumen ein, sie wählten AfD deswegen, weil man damit Abgeordneten der etablierten Parteien “mit Anlauf in den Hintern treten” könne. Es sei eine Genugtuung und Heimzahlung für HARTZ IV und Billiglohnsektor und befristete Arbeitsverträge, dass für jeden neuen AfD-Abgeordneten in den Parlamenten ein Abgeordneter anderer Parteien aus selbigen hinaus fliegt. Bei der SPD hat die Heimzahlung für die Agenda-Politik – zurecht – gewaltig zugeschlagen – und einige Sozen dürfen inzwischen sogar ihre Agenda-Politik sogar am eigenen Leibe ausbaden. – Auch das nennt man Gerechtigkeit in der Demokratie!

Nur ein Problem bleibt: Denn die nicht der Bevölkerungsstruktur entsprechende Zusammensetzung des Bundestages stellt auf Dauer die repräsentative Demokratie generell in Frage. Diese hat nämlich nur dann eine Berechtigung, wenn sie sicherstellt, dass sich der Wille der Mehrheit der Bevölkerung auch in einem Delegierten-System, ohne plebiszitäre Elemente, zuverlässig durchsetzen wird. – Dies kann die Bundespolitik seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr für sich als gegeben beanspruchen. Gerade Minderheiten scheinen über alle Maßen im Fokus bundesdeutscher Politik zu stehen. Erinnert sei an die “Ehe für alle”, Toiletten für “Diverse”, an “gendergerechte Sprache” usw.

Abhilfe könnten einige Maßnahmen bieten:

  1. Angela Merkel legt ihr Amt nieder und strebt auch keines mehr an. Alle Brüche, alle Risse in Gesellschaft und Bevölkerung sind ausschließlich Auswirkungen ihrer verfehlten Politik. Die AfD und ihre Erfolge sowie der Untergang der SPD wären ohne Merkel nicht einmal im Ansatz denkbar, 
  2. Einführung plebiszitärer Elemente (Volksentscheid, Volksbegehren),
  3. Wahllisten der Parteien müssen für Wähler veränderbar sein (Kumulieren, Panaschieren) und zwar in allen Wahlen,
  4. Einfache Zulassung von Bürgerlisten (Kandidatenlisten auch ohne Parteizugehörigkeit),
  5. Jederzeitige scherbengerichtähnliche Abwahlmöglichkeit für Gewählte, deren “Performance als Volksvertreter zu wünschen übrig lässt.” – um es neudeutsch auszudrücken.

Einige Punkte würden Verfassungsänderungen verlangen, Änderungen also, welche auch angestammte Rechte der Parteien und gewählten Abgeordneten berühren würden. Fraglich freilich, ob die Betroffenen da mitspielen wollen.

Bild von cocoparisienne auf Pixabay


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