Sprachpolizisten auf Abwegen

Autor: Kurt O. Wörl

Zumindest im Gros bildungsnaher Kreise ist das “Unwort des Jahres” (UdJ) ein Begriff. Alljährlich erklärt eine aus fünf Sprachwissenschaftlern zusammengesetzte Jury ein Wort zum Unwort des jeweiligen Jahres.

Die Juroren sind aktuell:

Prof. Dr. Nina Janich (Sprecherin), Professorin für germanistische Linguistik an der TU Darmstadt mit den Arbeitsschwerpunkten Sprachkultur und Sprachkultivierung; Wissenschaftskommunikation und Fragen des Wissenstransfers; Werbelinguistik und Unternehmenskommunikation; Text- und Diskurslinguistik,

Stephan Hebel, Autor und Journalist mit den Arbeitsschwerpunkten Innen-, Sozial- und Gesellschaftspolitik,

Prof. Dr. Kersten Sven Roth, Professor an der Fakultät für Humanwissenschaften, Bereich Germanistik, der Universität Magdeburg. 

Prof. Dr. Jürgen Schiewe, Professor für germanistische Sprachwissenschaft an der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald mit den Arbeitsschwerpunkten Geschichte der Sprachkritik, Sprachgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, Geschichte der Wissenschaftssprache in Deutschland, Sprache in Institutionen, Sprache in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, Diskurslinguistik,

Prof. Dr. Martin WengelerProfessor für germanistische Linguistik an der Universität Trier mit den Arbeitsschwerpunkten Deutsche Sprachgeschichte nach 1945, Sprachkritik, Argumentationsanalyse, politische Sprache, linguistische Diskursgeschichte, Linguistik als Kulturwissenschaft.

Ihre Grundsätze bei der Auswahl definiert das Gremium auf seiner Webpräsenz so:

“Die Aktion «Unwort des Jahres» möchte auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt daher den sprachkritischen Blick auf Wörter und Formulierungen in allen Feldern der öffentlichen Kommunikation, die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen, zum Beispiel:

  • weil sie gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen (z. B. Geschwätz des Augenblicks für Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche),
  • weil sie gegen Prinzipien der Demokratie verstoßen (z. B. alternativlos als Haltung/Position in der politischen Diskussion, um eine solche zu vermeiden und sich der Argumentationspflicht zu entziehen),
  • weil sie einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren (z. B. durch unangemessene Vereinfachung oder Pauschalverurteilung, wie etwa Wohlstandsmüll als Umschreibung für arbeitsunwillige ebenso wie arbeitsunfähige Menschen),
  • weil sie euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend sind (z. B. freiwillige Ausreise als Behördenterminus für die nur bedingt oder gar nicht freiwillige Rückkehr von Asylbewerbern in ihre Heimatländer aus Abschiebehaftanstalten).

Wesentlich ist, dass die betreffenden Wörter und Formulierungen öffentlich geäußert wurden, eine gewisse Aktualität besitzen und der Äußerungskontext bekannt bzw. belegt ist. Die Anzahl der UnterstützerInnen eines Vorschlags spielt dagegen im Unterschied zu den genannten inhaltlichen Kriterien keine Rolle.”

“Linke” Haltung der Juroren sehr wahrscheinlich

Im letzten Absatz der Beschreibung ihrer Grundsätze dokumentieren die Unwort-Kreatoren zugleich auch ein erstes Indiz ihrer sehr wahrscheinlich “links-progressiven” Grundhaltung, stellen damit aber zugleich auch ihre Kompetenz als Sprachgelehrte in Frage. Statt korrekt in der Form Unterstützer/-innen zu schreiben wählten sie die dem “linken” Duktus entstammende, genderisierte aber regelwidrige Schreibweise UnterstützerInnen. Sprachwissenschaftlern kann unterstellt werden, dass sie die Basics unserer Sprachregeln kennen, sie also genau wissen, dass in unserer geschriebenen Sprache Kapitale in Wortmitte schlicht falsch sind und sie damit bewusst und ideologisch motiviert einen Rechtschreibfehler setzen. Das aber ist nur ein kleines Indiz, wie erwähnt.

Soweit die Wahl jeweils auf Worte, die erkennbar als Euphemismen zur Verschleierung dienen, fiel, bin ich grundsätzlich damit einverstanden, solche als Unworte zu definieren. Eine Müllhalde ist eben kein “Entsorgungspark” sondern eine Müllhalde.  

Deutlicher wird die offenbar “links-feministische” Gesinnung der selbsternannten Sprachhygieniker aber bei der Auswahl der Worte, welche sie in den letzten Jahren zum UdJ kürten. Dabei fällt auf, dass die “prämierten” Worte und Begriffe nahezu durchwegs entweder aus dem Duktus des Wirtschafts- und Finanzsektors oder dem des politisch bürgerlich-liberalen bis konservativen und des  “Rechtsaußen-Spektrums” ausgewählt wurden. Kampfbegriffe aus der linken Ecke, etwa der extremistisch-anarchistischen AntiFa fanden bisher keine Aufnahme.

Beispiel “Gutmensch”

Auch werden sehr gerne solche Worte ausgewählt, welche als Kampf-Begriffe ggü. “linken” Haltungen genutzt wurden. Dabei setzen die Sprachygieniker offenbar auch bewusst auf Geschichtsklitterung und Verzerrung der Historie eines ausgewählten Begriffes. Z.B. “Gutmensch” das “Unwort des Jahres 2015” ist so ein Beispiel.

Begründet wurde die Auswahl von “Gutmensch” von dem Gremium so:

“Als „Gutmenschen“ wurden insbesondere diejenigen beschimpft, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen. Mit dem Vorwurf „Gutmensch“, „Gutbürger“ oder „Gutmenschentum“ werden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert.”

Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht schlicht Nonens. “Gutmensch” wurde 2015 nicht zum ersten Mal nominiert. Bereits 2011 stand es auf der Liste und erreichte – hinter “Döner-Morde” – den zweiten Platz. Damals las sich die Begründung für die Nominierung ganz anders, nämlich so:

„Mit dem Ausdruck Gutmensch wird insbesondere in Internet-Foren das ethische Ideal des ‚guten Menschen‘ in hämischer Weise aufgegriffen, um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente zu diffamieren und als naiv abzuqualifizieren. Ähnlich wie der meist ebenfalls in diffamierender Absicht gebrauchte Ausdruck Wutbürger widerspricht der abwertend verwendete Ausdruck Gutmensch Grundprinzipien der Demokratie, zu denen die notwendige Orientierung politischen Handelns an ethischen Prinzipien und das Ideal der Aushandlung gemeinsamer gesellschaftlicher Wertorientierungen in rationaler Diskussion gehören. Der Ausdruck wird zwar schon seit 20 Jahren in der hier gerügten Weise benutzt. Im Jahr 2011 ist er aber in unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Kontexten einflussreich geworden und hat somit sein Diffamierungspotential als „Kampfbegriff gegen Andersdenkende“ verstärkt entfaltet.“

In dieser Begründung aus 2011 ist alles enthalten, was meine Annahme, die Unwort-Kreatoren agierten sprachpolizeilich aus einer “linken” Grundhaltung heraus, bestätigt. Das offenbare Ziel: “linke” Weltsichten – und damit sich selbst – durch die Tabuisierung wirkmächtiger Begriffe sukzessive in eine unangreifbare Position zu bringen. Das Sagbare soll unsagbar werden.

Dabei ist “Gutmensch” eigentlich ein recht stimmiger und zutreffender Begriff, den ich nicht gerne aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verbannt sehen möchte. Er stammt wohl aus dem Jiddischen, ist allerdings genaugenommen ein Pleonasmus in der Form “a gutt mensch”. So jedenfalls positionierte sich der Deutsche Journalistenverband 2006. Pleonasmus deshalb, weil im Jiddischen “Mensch” auch ohne zusätzliche Attributierung bereits die Bedeutung “herausragend, guter Mensch” hat.

Als Erstbeleg für die Verwendung des Begriffs “Gutmensch” wurde von der “Gesellschaft für deutsche Sprache” – der vormals übrigens auch das “Unwort-Gremium” angehörte, ein Beitrag der US-amerikanischen Zeitschrift “Forbes” benannt. Darin wurde der ehemalige Gewerkschaftsfüher der IG Metall, Franz Steinkühler, so bezeichnet.

Der Begriff wies damals im Grunde keine negativen Aspekte auf. Gemeint waren damit geduldige und empfindsame, Menschen, die sich übermäßig Sorgen machen. Sie kümmern sich gerne aktiv um andere, allerdings auch oft verkennend, dass ihr Tun manchmal mehr schaden als nützen könnte.

Im Laufe der Zeit hat “Gutmensch” jedoch eine ganze Reihe von Konnotationswechsel erfahren. Heute wird der Begriff – und da haben die selbsternannten Sprachhygieniker recht – in der politischen Auseinandersetzung durchaus als Kampfbegriff verwendet. Was dem “linken” Spektrum seine Nazi-Keule ist, ist den “Rechten” die Gutmensch-Keule.

Einen Begriff aber nur wegen seines missbräuchlichen Gebrauchs aus der Sprache zu verbannen, finde ich für völlig überzogen und höchst bedenklich, ja absurd. Den Grund, den die Unwort-Kreatoren 2011 benannt haben (ich wiederhole die Passage: “Mit dem Ausdruck Gutmensch wird insbesondere in Internet-Foren das ethische Ideal des ‚guten Menschen‘ in hämischer Weise aufgegriffen, um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente zu diffamieren und als naiv abzuqualifizieren.”) ist gar kein Grund. 

Denn: In der politischen Auseinandersetzung gibt es zwischen politischen Lagern ohnehin nur selten eine “Ansehung gegnerischer Argumente”. Oder haben Sie schon einmal erlebt, dass Politiker mit einer anderen Haltung aus einer TV-Talkshow gingen, als mit jener, mit der sie gekommen waren? Polemik und Überspitzung sind zulässige und auch gewollte Stilmittel im politischen Diskurs, der bei genauer Betrachtung immer eine Inszenierung ist. Talkshows und Interviews haben zeitliche Begrenzungen. Um die eigene Sichtweise zu forcieren bedarf es kurzer knapper, leicht verständlicher Wortwahl. Und da sind Kampfbegriffe, bei welchen der Zuhörer sofort weiß, was gemeint ist, natürlich willkommen.  “Gutmensch” ist eben kürzer als von jemanden zu sprechen, der naiv nach Anerkennung heischt, zu den Guten gehören will, der deshalb moralisierend und missionierend unterwegs ist, dogmatischen und absoluten Ansichten nachhängt und andere Vorstellungen nicht zulässt.   

“Unworte des Jahres” sind bürgerlich, kapitalistisch bis “rechts”, aber niemals “links”:

Sie können auf der Webpräsenz der Aktion “Unwort des Jahres” unter den gesammelten “Unworten” gerne auf die Suche gehen. Sie werden aus den Anfangsjahren der “Aktion Unwort des Jahres” vor allem entlarvte Euphemismen finden, welche auch aus meiner Sicht zurecht Aufnahme fanden. Je näher Sie aber der Gegenwart anno 2019 kommen umso mehr werden sie feststellen, dass die Auswahl der Unworte sich vor allem auf den bürgerlichen, marktwitschaftlichen und seit einigen Jahren vor allem auf den “rechten” Sprachgebrauch konzentriert. Sie werden indessen kaum eine Auswahl aus dem “links-extremen” Spektrum finden, obwohl es aus dieser Richtung ebenfalls genügend würdige Unwortkandidaten gäbe. Ich biete abschließend mal einige an:

Neoliberalismus: Der Begriff meint eigentlich einen neuen Liberalismus mit sozialer Verantwortung, als Abgrenzung zum kalten, unsozialen Manchester-Liberalismus, meint also die soziale Marktwirtschaft, wie sie vor allem in den skandinavischen Ländern ziemlich perfekt umgesetzt ist und in Deutschland bis zur elendigen HARTZ-Gesetzgebung sich sehen lassen konnte. Die politische “Linke” hat daraus einen Kampfbegriff gemacht, der heute das genaue Gegenteil dessen meint wofür er vormals stand. Er hat also einen Konnotationswechsel erfahren. Im Grunde müssten die Sprachhygieniker mit dem Begriff  “Neoliberalismus” sprachpolizeilich heute genauso verfahren wie mit “Gutmensch” – würden sie ihre Auswahl objektiv und aus neutraler Sicht treffen.

Schweinesystem: Auch heute noch beliebter Kampfbegriff des linksextremen Umfelds, kreiert einst von den 68ern und inflationär von der RAF gebraucht. Gemeint ist das freiheitliche, demokratische, rechtsstaatliche und marktwirtschaftliches System der Bundesrepublik Deutschland. 

Kreative Handwerker: Stammt aus RAF-Umfeld der 70er Jahre. In Flugblättern wurde geneigten “Aktivisten” eine Anleitung gegeben, wie sie sich als “kreative Handwerker”, am Niederstrecken des “Schweinesystems”, z.B. durch Umsägen von Strommasten, beteiligen können. – Ein Euphemismus also für Saboteure.

Um nicht missverstanden zu werden: Grundsätzlich begrüße ich das Tun der Aktion “Unwort des Jahres”, insbesondere mit Blick auf die Entlarvung von Euphemismen. Es ist aber auch nicht verkennbar, dass die Gruppe eine eigene politische Agenda verfolgt, sich zunehmend am Framing unserer Sprache engagiert und auf dem linken Auge eine deutliche Seeschwäche, wenn nicht gar eine Erblindung aufweist. Das macht die ganze Aktion letztlich für den dicken Bauch der Gauß’schen Verteilungskurve, das friedliche, bürgerliche Lager, unnütz. Da gefällt mir die Wahl des “Wortes des Jahres” schon um einiges besser.

In einem Interview, das die Sprecherin der Sprachhygieniker-Gruppe, Prof. Dr. Nina Janich, im letzten Jahr dem “fluter” gewährte, räumt sie die Einäugigkeit ihrer Gruppe auch größtenteils ein (bitte folgendem Link folgen). 

fluter: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen


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