Fundsache: Poetry Slam der besten Art von Leah Weigand

Ungepflegt …

gefunden von Kurt O. Wörl

Der Text zum Pflegemissstand von Poetry-Slamerin Leah Weigand ging schon vor längerem viral durch die Sozialen Medien und sie trug ihn am vergangenen Wochenende, im Rahmen einer Show mit Eckhart von Hirschhausen erneut vor. Weigangs Text geht immer wieder unter die Haut, weil er so drastisch die unwürdige Situation des Pflegeberufs im angeblich reichsten Land Europas vor Augen führt. Grund genug, ihm eine noch größere Reichweite zu besorgen.

Dass der WDR den Auftritt unter “Comedy & Satire” einordnet, finde ich allerdings ziemlich daneben, beinahe zynisch. WDR eben!

Leah Weigand zum Mitlesen:

“Wenn man als Pflegekraft im Gespräch sagt was man arbeitet, dann bekommt man häufig eine Reaktion: ‘Das ist krass! Pflege? Also ich kann das ja nicht!’

Und darauf habe ich einen Antworttext verfasst:

Ungepflegt …

OK ja! Es gibt Wochenenddienste und Schichten an sich.
Homeoffice und Gleitzeit ist eher unüblich.
Wir werden gekniffen, bespuckt und berotzt
Ich bin manchmal ganz unmetaphorisch angekotzt.

Hab’ mich verrenkt und verhoben
trotz allem Kinästhetik-Wissen.
Hab’ mit dieser Hand schon zahlreiche Zäpfchen geschoben
und manchmal ist alles beschissen.

Wir werden geduzt, belästigt und gnadenlos ausgenutzt.
Nicht nur einmal hab’ ich mir gewünscht,
dass der Tag nie begonnen hätte.
Wir sind oft die Allerletzten in der Nahrungskette
Denn die Klinikstruktur gleicht noch immer am ehesten einer Kaserne.
Wenn unsere Mitbewohner nach Hause kommen, stehen wir gerade auf.
Und statt durchzechter Nächte, Arbeit im Krankenhaus.

Wir werden unterbesetzt, unterbezahlt, zur Genügsamkeit bequatscht
und von den blanken Bundesbalkonen dafür dann auch noch beklatscht.

Ich stehe ganz am Anfang und war schon manchmal am Ende
Und oftmals da fragt man mich, ob ich nicht Vernüftiges fände.

Aber: Ich hab‘ auch schon 100 Jahre alte Hände gehalten
und berührte Legendenhaut.
Hab‘ in erleichterte Gesichter und dankbare Augen geschaut.
Ich hab‘ die letzten Szenen großer Menschen gesehen
und durfte mit den Kleinsten die ersten Schritte gehen.
Mal hörte ich den allerersten Lebensschrei
Und mal war ich beim letzten Atemzug dabei.

Ich sah wie Menschen heilten von außen und von innen
und konnte mit ihnen Schlachten um die Krankheit gewinnen.
Ich schaute in Körper hinein, sah wie ein Herz pulsiert
Wurde fasziniert vom Wunder Mensch und wie alles funktioniert.

Manche Tage gehen subkutan und bleiben wohl für immer erhalten.
Manche Augenblicke verstehen es, mein Großhirn umzugestalten, denn ich lerne.

Ich lerne, dass Menschen immer werden und jeder wurde geprägt
und dass jede Person auf Erden sein Päckchen trägt.
Ich lerne, wie man in das Zimmer hineinruft, so schallt es auch meistens zurück.
Und manchmal ist eine Minute nur zuhören das größtmögliche Glück.

Ich lerne Menschen zu scannen, in der Dreiebenensicht
von kranial nach kaudal von wendral nach thorsal und auch mit Pupillenlicht.
Ich lerne genau hinzuschauen, beginnend bei den Augenbrauen bis runter zu den Waden
und manchmal auch bis hinter die mächtigsten Fassaden.

Ich kann meinen Namen gut sagen, denn ich stelle mich täglich neu vor.
Ich lerne nicht alles persönlich zu nehmen und weiß, manchmal bleibt nur Humor.

Ich lerne meine Meinung zu äußern und dass ich meine Beobachtung wichtig find‘
Dass Chefärzt:innen keine Götter und nicht unfehlbar sind.
Ich lerne ein bisschen was Menschsein ist.

Denn verfällt ein Körper schon und schwinden Organe
verliert man Haltung und Konvention und all die Kraft die momentane.
Wird man auch verrückt genannt und chronifiziert oder hoffnungslos austherapiert,
schwinden auch Lebenslust und jedwede Höflichkeit,
geht auch Charakter verloren und jede Fähigkeit,
wenn auch Sprechen, Bewegen und das Gedächtnis gehen
so bleibt doch der Mensch in allem bestehen.

Und weil ich all das mühsam lerne, will ich es nicht vergessen müssen.
Ich will mir meine sehenden Augen nicht vom Zeitdruck rauben lassen
und meine verstehenden Ohren nicht von Personalnot ertauben lassen.
Ich will mit meinem Gehirn denken dürfen und nicht ausschalten für klingende Kassen.
Ich will mit meinem Herzen fühlen und nicht vom Ärger betäuben lassen.

Meine Verantwortung sei mir stets bewusst und wohin Unachtsamkeiten führen.
Und hab’ ich mal keine Lust, soll mein Patient das niemals spüren.
Aber: solange Du denkst, dass ich nur Arsch abwische und Sälbchen schmiere,
Bettchen mache und dem Arzt assistiere, werd‘ ich das nicht können.
Ich werde Fehler machen und Dinge übersehen,
werde Medikamente vertauschen aus Versehen
und vor allem werd‘ ich gegen mein Gewissen handeln müssen.
Denn wir sind auf Kante genäht und es wird nicht besser
und jede Pflegekraft, die geht, reißt das Loch noch größer.
Jeder weiß das und nichts passiert und so verliert weiter die Menschlichkeit
und ich frag mich, was eigentlich noch kommen muss?

Pflegen ist nicht sexy und pflegen ist nicht weiblich.
Pflegen passiert nicht nur für Nächstenliebe,
denn davon kann ich meine Miete nicht bezahlen.
Pflegen ist existenziell und außerdem toll.
Pflegen ist generell und anspruchsvoll.

Du sagst, Du könntest das ja nicht.
Ich sag, wir auch nicht – nicht so!”

 

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