Im Wort groß, in der Substanz mickrig:

Die Legende vom “Macher” Söder

Autor: Kurt O. Wörl

Als Bürger des Ballungsraums im Städteviereck Nürnberg-Fürth-Erlangen-Schwabach kennt man Markus Söder natürlich schon seit Jahrzehnten. Schließlich wusste er im Verlauf seiner politischen Karriere stets gut, wie er sich öffentlichkeitswirksam ins Gespräch bringen kann. So etwa 2004, als er mit einem Vorschlag zum Jugenschutz eine Ausgangssperre für Kinder unter 14 Jahren forderte und Kinder nach 20 Uhr nur noch in Begleitung Erwachsener in der Öffentlichkeit sehen wollte. Das war natürlich Quatsch, aber Söder dafür in aller Munde – und nicht wenige CSUler fanden den Vorschlag gar nicht mal schlecht. So kennen wir Franken unseren “Marggus”. Die Kunst, im Gespräch zu bleiben, beherrscht er aus dem FF. Dafür fährt er auch gerne mal mit einem Fahrad, mit Anhänger und einem Plakatständer darauf, für sich selbst Werbung durch die Stadt. 

Mit Netzwerken und allerlei “Schmutzeleien”, wie sie ihm Horst Seehofer vorwarf, den beinharten Konservativen gebend, schaffte er es denn auch schließlich als Ministerpräsident in die bayerische Staatskanzlei. Dass Populismus dabei hilfreich sein kann, weiß er inzwischen auch. Wenn er, als Protestant, in allen bayerischen Behörden dann Christenkreuze aufhängen lässt, dann findet dies das mehrheitlich katholische Bayernvolk natürlich auch prima und Söders Makel, kein Katholik zu sein, verblasst.

Ja, auch Symbolpolitik beherrscht Markus Söder hervorragend. Und, dass Haltung eher hinderlich ist, auch das hat er begriffen. War er eben noch erbitterter Gegner der autokratieverliebten Grüninnen, so umarmt er heute symbolisch Bäume, hat Bienen lieben gelernt und, um “die Haare schön” zu haben für künftig vielleicht nur noch mögliche Schwarz-Grün-Bündnisse, übernahm er im Autobauerland Bayern auch die Forderung der Grüninnen, den Verbrennungsmotor endgültig auszumerzen. – Er sollte nur aufpassen, dass er mit seinem Liebeswerben die CSU nicht ebenso heimatlos macht, wie das Angela Merkel in 16 Jahren erfolgreich mit den Konservativen in der CDU getan hat. Ihr allein haben wir die Existenz der AfD heute zu verdanken.

Markus der Wandelbare

War er gestern noch ein erbitterter Gegner von Angela Merkels Flüchtlingspolitik, bekommt er heute den Kopf aus Merkels Hintern gar nicht mehr heraus und sitzt nach den Ministerpräsidentenkonferenzen in der Pressekonferenz neben der Kanzlerin, als wäre er ihr Vizekanzler, um mit ihr die neuen Maßnahmengrausamkeiten in der Pandemiebekämpfung zu verkünden. Dies nur, um danach im eigenen Bundesland sich selbst nicht daran zu halten und Bau- und Blumenmärkte zu öffnen, obwohl die eben bschlossenen Maßnahmen das gar nicht vorsahen. “Marggus is hald Marggus!” sachd der Frangge. – Oder um es algebraisch auszudrücken: Bei Markus Söder sind alle Konstanten variabel.

Söder hat auch inhaliert: Angela Merkel steht unter dem ehernen Schutz der mehrheitlich links-grün positionierten, deutschen Journaille. Und wer ihr zu heftig in die Parade fährt, der wird medial konsequent niedergeschrieben und -moderiert. Schließlich muss die Kanzlerschaft der ersten Frau im Amte auf Biegen und Brechen als erfolgreich in die Geschichte eingehen, selbst wenn die Jahre ihrer Regentschaft die schlimmsten und bleiersten Jahre der Nachkriegszeit in Deutschland waren, in der so ziemlich alles geschliffen wurde, was Deutschland bis anfangs der 2000er Jahre ausmachte – inklusive sein Ruf als perfekter Verwaltungsweltmeister, wie wir in dieser nicht enden wollenden Pandemie nun schmerzhaft erfahren mussten. Man legt sich mit Merkel nicht an, sondern buhlt um ihr Placet, als Nachfolger kandidieren zu dürfen – und basta! Aber wenn man bis über beide Ohren den Kopf im Hintern der Kanzlerin vergraben hat, dann sieht und hört man nichts mehr, auch keine mahnenden Stimmen und widersprechende Zahlenwerke.

Hochzeit der Populisten auch in der politischen Mitte

Söders durchaus beeindruckende Erscheinung, was die Körpergröße angeht und das breitbeinige, kraftstrotzende Daherkommen wirkt auf viele Menschen in Deutschland faszinierend. Söder weiß das auch. Daneben kann der kleinere, etwas vermittelnder auftretende Armin Laschet nur mickrig erscheinen. Die Deutschen mögen in großer Zahl auch heute noch dominante Führungspersönlichkeiten, die ihnen klare Ansagen zur Vermeidung von Eigenverantwortlichkeit machen. Leider! Mir bereitet das Sorgen.

Und (!) Markus Söder beherrscht die Sprache des Volkes: Kurze Sätze, keine komplizierten Schachtelsätze, keine Fremdwörter, klare Ansagen, klare Wegweisung, selbst wenn es Irrwege sind, auf dass ihn auch die letzten Bierdümpfel an den Stammtischen im Freistaat verstehen können – schenkelklopfend versteht sich.

Am meisten aber erstaunt mich, wie es Söder gelang, sich selbst als “der anpackende Macher” in der Pandemie-Bekämpfung zu stilisieren. Maßnahmen, immer etwas härter als anderswo, sich selbst der Frakion “Vorsicht und Sicherheit” zuordnend, das war das bis zum Erbrechen von ihm verkündete Credo. Dass andere Länder, mit weniger harten Maßnahmen, trotzdem bislang besser durch die Pandemie kamen, scheint niemandem aufzufallen, nicht einmal der Journaille, und es scheint dort auch noch weniger zu interessieren. Diese Begabung, sich selbst, trotz im Grunde ziemlich erfolglosen Agierens, das in Bayern die meisten Menschenleben gekostet hat, als erfolgreichen Pandemiebekämpfer zu installieren, hat nicht nur Chuzpe, sondern das muss man fast bewundern – oder darüber verzweifeln wie blind und taub sich die Bevölkerung und Medien für diese Widersprüche zeigen. Das macht mir ein bisschen Angst.

Laschet oder Söder als Kanzlerkandidat?

Wer also soll Kanzler werden? Ich wäre ja für Ralph Brinkhaus, aber der wird wohl seinen Hut nicht in die Arena werfen. Lassen wir also die Zahlen sprechen, die unsere Augen wieder vom Sand, den uns Söder nur zu gern in diese streut, zu befreien. Was also ist dran, am “Macher Söder”? – So viel vorweg: Nicht viel!

Vergleichen wir nun das dicht besiedelte, urbane NRW, mit vielen problembehafteten Großfamilien aus dem Morgenland, mit dem eher ländlich strukturierten Bayern und mit Deutschland als normierendes Element im Ganzen. Es wird für manchen Söder-Fan schmerzhaft sein, weil Armin Laschet mit seinem besonneneren Weg bisher schlicht erfolgreicher agiert. Da Söder mantra-artig als oberstes Ziel “den Schutz des Lebens” posaunte, liefert die folgende Tabelle gleich den ersten Beleg dafür, dass er, im Vergleich zu Laschet, das Ziel “grandios” verfehlt hat:

Die Letalität (Corona-Sterberate):

Stand: 18.04.2021

Region Einwohnerzahl An/mit Corona Verstorbene Letalität
(Sterberate)
An Corona
starb bisher
jeder
Deutschland ca. 83.170.000 79.914 2,54% 1.041. Einwohner
NRW ca. 17.947.000 14.868 2,19% 1.207. Einwohner
Bayern ca. 13.125.000 13.725 2,48% 956. Einwohner

The Winner is: NRW mit Armin Laschet. Im Laschet-Land starben im Verhältnis deutlich weniger Menschen als im Bundesdurchschnitt und erstrecht in Bayern.

Infektionsrate

Stand: 18.04.2021

Region Einwohnerzahl Registrierte
Infizierte
Infektionsrate Inzidenz
13.04.2021
Deutschland ca. 83.170.000 3.141.262 3,78% 162,3
NRW ca. 17.947.000 679.133 3,78% 167,1
Bayern ca. 13.125.000 553.999 4,22% 185,4

The Winner is again: NRW mit Armin Laschet. Trotz bisher liberalerer Handhabung infizieren sich im eher urbanen NRW weniger Menschen als im ländlich geprägten Bayern, mit seiner harten Linie.

Resümee:

Es ist erstaunlich, dass sich Markus Söder bislang als der große Macher in der Pandemie-Bekämpfung in vielen Köpfen der Bevölkerung manifestieren konnte. Nur gibt es dafür nicht den Hauch evidenzbasierter Fakten. Ich halte ihn jedenfalls inzwischen nicht mehr für den besten Kanzlerkandidaten für unser Land. Da muss ich meine Haltung vom letzten Jahr revidieren.


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