Literatur-Rezension:

Die vierte Gewalt …

rezensiert von Kurt O. Wörl

Die vierte Gewalt –

Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird,
auch wenn sie keine ist

 

Autoren: Richard David Precht, Harald Welzer

Das erste gemeinsame Buch der beiden Bestseller-Autoren Richard David Precht und Harald Welzer: Wie Massenmedien die Demokratie gefährden.

ISBN-10: ‎ 3103975074
ISBN-13: ‎ 978-3103975079

288 Seiten, erschienen am 28. September 2022 im S.-Fischer-Verlag

Hörbuch:

ASIN: B0BBWD3ZSZ

7 Stunden, 5 Minuten, Der Hörverlag, Deutschland


Klappentext vorne/innen:

Was Massenmedien berichten, weicht oft von den Ansichten und Eindrücken großer Teile der Bevölkerung ab – gerade, wenn es um brisante Geschehnisse geht. So entsteht häufig der Eindruck, die Massenmedien in Deutschland seien von der Regierung oder »dem Staat« manipuliert. Aber die heutige Selbstangleichung der Medien hat mit einer gelenkten Manipulation nichts zu tun. Die Massenmedien in Deutschland sind keine Vollzugsorgane staatlicher Meinungsmache. Sie sind die Vollzugsorgane ihrer eigenen Meinungsmache:  mit immer stärkerem Hang zum Einseitigen, Simplifizierenden, Moralisierenden, Empörenden und Diffamierenden. Und sie bilden die ganz eigenen Echokammern einer Szene ab, die stets darauf blickt, was der jeweils andere gerade sagt oder schreibt, ängstlich darauf bedacht, bloß davon nicht abzuweichen. Diese Angst ist der bestmögliche Dünger für den Zerfall der Gesellschaft. Denn Maßlosigkeit und Einseitigkeit des Urteils zerstören den wohlmeinenden Streit, das demokratische Ringen um gute Lösungen.

 

In ihrem ersten gemeinsamen Buch analysieren die Bestseller-Autoren Richard David Precht und Harald Welzer die Mechanismen, die in diese Sackgasse führen: Wie kann eine liberale Demokratie mit pluraler Medienlandschaft sich selbst so gefährden? Wie ist es in Deutschland, dem Land einer lange vorbildlichen Qualitätspresse und eines im internationalen Vergleich ebenso vorbildlichen öffentlich-rechtlichen Rundfunks dazu gekommen? Wie konnte und kann die Medienlandschaft durch die »vierte Gewalt« selbst unfreier werden? Und was bildet das veröffentlichte Meinungsbild ab, wenn es mit dem öffentlichen so wenig übereinstimmt?

 

Wir müssen verstehen, wie unsere Demokratie nicht durch Willkür und Macht »von oben«, sondern aus der Sphäre der Öffentlichkeit selbst unterspült wird – erst dann kann die »vierte Gewalt« ihrer Rolle wieder gerecht werden.

Klappentext auf der Rückseite

Die Berichterstattung in den Leitmedien gleicht sich auffällig – bei großen Ereignissen und Krisen hat man of den Eindruck, dass es immer gerade nur eine richtige Sichtweise gibt. Dieser Eindruck entsteht nicht, weil die Massenmedien “vom Staat” gelenkt sind, sondern weil spezielle Mechanismen und Entwicklungen in diese Lage führen. Die beiden Bestseller-Autoren Richard David Precht und Harald Welzer analysieren, wie und warum wir in diese Sackgasse gekommen sind und was das für unsere Demokratie bedeutet. Denn Demokratie lebt vom wohlmeinenden Streit, vom Ringen um die gute Lösung.

Rezension

Ein überfälliges Buch mit raketenhaftem Start: Binnen Wochenfrist nach dem Erscheinen Ende September 2022 kletterte “Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist.” auf Platz 1 der Bestsellerlisten für Fachbücher. Interessant: Noch vor der Marktfreigabe speiten diverse Medienvertreter mit Schaum vor dem Mund bereits Gift und Galle. Denn was Richard David Precht und Harald Welzer mit ihrem ersten gemeinsamen Buch taten, wird in weiten Bereichen der Medienlandschaft offenbar wie eine Art “Majestätsbeleidigung” empfunden. Die beiden Buchautoren üben deutliche Kritik an der deutschen Journaille – unerhört! Wo kämen wir da hin? Die Journaille, oft nicht zimperlich anderen ggü., ist es offenbar nicht gewohnt, selbst – und auch noch völlig zurecht – in der Kritik zu stehen. Entsprechend stehen die beiden Autoren derzeit im Feuer medialer Reaktionen.

Doch das sonst so wirksame mediale Bashing zeigt sich wirkungslos bei diesem Buch. Das Witzige an den medialen Reaktionen ist: Die heftige, teilweise unüberlegt wirkende Kritik an dem Buch und vor allem an den beiden Autoren, erfolgt exakt entlang der von den beiden Autoren kritisierten medialen Methoden des Unterbindens unerwünschter, anderer Meinungen, per Skandalisieren, Personalisieren, Herabwürdigung … Und so wirkt diese mediale Kritik – anders als erhofft – gerade eben nicht relativierend auf den Buchinhalt, sondern diesen Punkt für Punkt bestätigend und verstärkend. Das Buch ist jedenfalls geeignet, der deutschen Journaille beim Genesen zu helfen: Precht und Welzer haben neben der Anamnese, Diagnose auch an die geeignete Therapie gedacht. – Nun müssen die leidenden Leitmedien nur noch einsehen, dass sie sehr krank geworden sind und einer Therapie bedürfen.

Gut ist auch, dass diese Medienkritik von zwei “links” sozialisierten und auch tickenden Autoren kommt, die in keiner Weise im Verdacht stehen, rechtes Gedankengut oder gar AfD-Narrative ausbreiten zu wollen. Umso heftiger musste das Buch aber in der, im Gesamten doch eher links-grün tickenden Journaille einschlagen. Es wird ihr kaum gelingen, den beiden ein “rechtes” Ingore-Etikett ans Revers zu heften.

Dabei ist die berechtigte Kritik an den deutschen Leitmedien gar nicht neu! Bereits 2016 übte der damalige Nachrichtenchef des öffentlich-rechtlichen, dänischen Senders DR, Ulrik Haagerup, vernichtende Kritik an der gleichgeschaltet wirkenden, deutschen Berichterstattung zur Flüchtlingskrise. Die deutschen Leitmedien hätten gut daran getan, es der britischen BBC gleichzutun und Ulrik Haagerup, der inzwischen an der dänischen Uni in Aarhus ein Institut für konstruktiven Journalismus gegründet hat, als Berater für eine wieder etwas glaubwürdigere Medienlandschaft anzuheuern. Besonders die öffentlich-rechtlichen Anstalten sollten diesem Gedanken zeitnah nahetreten.

Ich stimme den beiden Autoren nicht in allen Punkten zu, etwa beim Umgang mit der Unterstützung für die Ukraine. Aber es ist ein wichtiges Buch und sehr recht zu wünschen wäre es, die Medienmacher würden Buch und Autoren nicht dämonisieren sondern die Kritik ernst nehmen und in den eigenen Redaktionen aufräumen.  Unsere Demokratie, welche die beiden Autoren durch die Agitation der Leitmedien gefährdet sehen, wäre es allemal wert.

Und ich selbst hatte beim Lesen jede Menge Aha-Effekte, erfuhr Erklärungen für bisher Unverstandenes, etwa unter welchen Zwängen die Journaille zunehmend in den Schmuddeljournalismus, der heute vor allem von Klickzahlen getrieben wird, abgeglitten ist.

Prädikat: Ein wichtiger, überaus lehrreicher und lesenswerter Stoff

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