Literatur-Rezension:

Machtverfall

rezensiert von Kurt O. Wörl

Der Chefredakteur der “WELT”, Politikerklärer und deshalb beliebter Gast in Talkshowrunden, Robin Alexander, hat ein Buch feinsten, investigativen Journalismus’ geschrieben:

Machtverfall

Merkels Ende und das Drama
der deutschen Politik

Der 1975 in Essen geborene Journalist und Autor einer Reihe von Büchern, berichtet aus dem Inneren Zirkel der Macht, erklärt das Machtprinzip Angela Merkels und gibt tiefe Einblicke in die Mechanismen ihres Machtsystems.

Autor: Robin Alexander

Deutsche Ausgabe: 

ISBN-10: 3827501415
ISBN-13: 978-3827501417

384 Seiten, erschienen am 25. Mai 2021 im Siedler Verlag

Hörbuch:

ASIN: B08W5FF28N

13 Stunden 15 Minuten, erschienen im Hörbuch-Verlag


Der Klappentext auf der Rückseite

Zum Ende ihrer Amtszeit hat Angela Merkel ihre wohl größte Herausforderung zu bestehen. Doch die Kanzlerin, die in Notsituationen oft zur Hochform aufgelaufen ist, gerät in dieser Krise an die Grenzen ihrer Autorität. Die Pandemie, so Robin Alexander, ist dabei nur ein weiteres, spektakuläres Kapitel in einem noch größeren Drama: dem Ende einer ganzen Ära.

 

In seinem neuen Buch erzählt der Bestsellerautor die Geschichte hinter den Kulissen: vom harten, langen Kampf in den inneren Machtzirkeln der Republik und vom Showdown um Merkels Nachfolge, der die Union fast zerreißt. Ein glänzend recherchiertes Buch, das zeigt, wie nah in der Politik der unbedingte Wille zur Macht und die Machtlosigkeit beieinander liegen.

Rezension

Robin Alexander

Robin Alexander kenne ich vor allem aus diversen Talkshows, wo er stets gern gesehener Gast ist und als bestens informierter Politikerklärer fungiert – und natürlich von seinen immer sehr lesenswerten Büchern. Er ist einer der wenigen deutschen Journalisten, der konsequent auf die Unarten des neumodischen Gesinnungsjournalismus verzichtet und das Credo des einstigen Tagesthemen-Moderators, Hans-Joachim “Hajo” Friedrichs, weiterhin hochhält. Friedrichs Motto für seine journalistische Arbeit lautete:

„Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“

Mit “Machtverfall” ist Robin Alexander ein brillant geschriebenes Paradebeispiel des investigativen Journalismus gelungen. Spannend, erhellend und tiefen Einblick in die Mechanismen des Machtsystems Angela Merkel gebend. Man fragt sich beim Lesen oft “Woher weiß das Robin Alexander alles nur?” und ist sich dabei doch stets sicher, dass der Autor in seiner Reportage auch nicht ein My von Tatsachen abweicht. Dass er bestens in der deutschen Politik vernetzt ist und auf unzählige Insiderquellen Zugriff hat, ist wohl das Geheimnis dieses, ja man kann es so nennen, erstaunlichen Enthüllungsbuches.

Stück für Stück enthüllt der Autor die Mechanismen einer Machtmaschinerie um die Bundeskanzlerin und erklärt das Prinzip der “Durchstecherei” aus Gremien, zu welchen die Öffentlichkeit eigentlich keinen Zugang haben sollte. Er zeigt auf, wie Merkel die CDU entkernt hat, sie dazu gebracht hat, linke Positionen zu übernehmen und eigene aufzugeben. Merkel hat damit nicht nur die konservative Flanke der CDU aufgegeben, sondern mit dieser Strategie die Sozialdemokratie überflüssig gemacht. Sie hat der SPD die Zielgruppe genommen. Ein gutes Beispiel dafür war der Wahlkampf 2017. Da hatte der ohnehin ungeschickt in den Wahlkampf gestolperte SPD-Kanzlerkandidat (“Mister 100%”) Martin Schulz vermeintlich mit der “Ehe für alle” noch einen Trumpf im Ärmel, wohl wissend, dass Merkel diese stets kategorisch abgelehnt hatte. Beim Fernsehduell Schulz vs. Merkel präsentierte er stolz sein Vorhaben und Merkel nimmt ihm sofort den Wind aus den Segeln, in dem sie sich diesem Vorhaben kurzerhand nicht mehr in den Weg stellen wollte. Die energische Gegnerin dieser neuen Eherechtsregelung stimmt bei der Abstimmung im Bundestag auch dagegen, was sie freilich nicht daran hinderte, sich für die Eherechstreform nur wenige Monate später von der Havard-University die Ehrendoktorwürde verleihen zu lassen, die sie auch annahm. – Angela Merkel, wie sie leibt und lebt.

Mit der Sozialdemokratisierung ihrer Partei hat sie aber auch die Türe für eine neue, rechtspopulistische Partei, die AfD, aufgestoßen, die vielen Konservativen, die mit dem Merkel-Kurs nicht einverstandenen waren – eine neue politische Heimat bot. Die wohl abscheulichste Hinterlassenschaft der Ära Merkel.

In präziser Analyse zeigt Alexander auf, wie Merkel Parteifreunde für ihr Machtsystem instrumentalisierte, sie aufbaute und Bedarf, ohne mit der Wimper zu zucken, wieder fallen ließ. So etwa ihre Nachfolgerin als CDU-Vorsitzende, Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK). Galt AKK bei ihrer Wahl 2018 als logische Nachfolgerin Merkels auch im Kanzleramt – die Journaille titelte “Merkel 2.0” – war die vermeintliche Traumnachfolgerin keine zwei Monate später bei Merkel schon wieder “untendurch”. AKK hatte den Frevel begangen, im Februar 2019 ein “Werkstattgespräch Migration, Sicherheit und Integration” anzusetzen, was Merkel als Fußtritt gegen ihre Politik verstand.

Alexander bringt auch Licht ins Dunkel zu Markus Söders Geheimnis, wie er es schaffte zu einem der beliebtesten Politiker der Gegenwart zu werden. Der Leser erfährt, warum inzwischen mehr Frauen von Söder als von den Politkern der Grüninnen begeistert sind, wie er das Spiel mit den Medien beherrscht und auf Schmuddel-Rezepte zurückzugreifen versteht, wie sie dem breiteren Publikum in der US-Serie “House of Card” (Söder ist Serienfan) nahegebracht wurden. – Etwa, wie es ihm gelang, seinen Widersacher beim Ringen um das Kanzleramt, Armin Laschet, im Zusammenwirken mit Angela Merkel wieder und wieder ins schlechte Licht zu rücken. Doch diese teilweise fiesen Trick halfen nichts, Laschet setzte sich durch.

Mehr soll nicht gespoilert werden, aber ich verspreche einen Lesegenuss voller Spannung und Aha-Erlebnisse … und so manches, was man sich bisher an Merkels Politik nicht recht erklären konnte, steht plötzlich glasklar vor den eigenen Augen. Man könnte Robin Alexanders Buch ohne weiteres auch dem Genre “Thriller” zuordnen.

Mein Prädikat für das Buch: Überaus lesenswert, spannend und dazu noch unterhaltsam – und es lehrt das Fürchten vor systematischem Machtgebrauch.

Foto Robin Alexander: © Raimond SpekkingCC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

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