Über die Harmonie

Autor Kurt O. Wörl

Das griechische Wort „Harmonia“ bedeutet: Eintracht, Wohlordnung, Zusammenhang der Teile. Die Harmonie des Welt-ganzen war für die Pythagoräer ein Weltgesetz. Platon spricht in seinem Dialog „Phaidon” beim Beweis der Unsterblichkeit der Seele davon, dass die Seele die Harmonie des Leibes sei. Er benutzt einen von Pythagoras entlehnten Gedanken: Lyra und Saite seien Materielles, aber die Harmonie, die Musik, Immaterielles. Er vergleicht so den Leib mit seiner Seele.

Wenn wir über Harmonie sprechen, so fällt es dem einen oder anderen doch nicht leicht zu erklären, was darunter zu verstehen sei. Fragen wir also das Wörterbuch, was Harmonie denn per Definition bedeutet: Dort liest man, dass etwas harmonisch sei, was im Einklang mit etwas anderem stehe. So gesehen wäre Harmonie gleichbedeutend mit Einklang. Harmonie verbindet also auch hier etwas mit etwas anderem.

In Einklang wiederum ist das Wort „Klang“ enthalten. Klang ist etwas, was wir mit unserem Sinnesorgan Ohr wahrnehmen können. Harmonie begegnet uns und in der Tat in erster Linie im Zusammenhang mit Musik. Musik kann in unseren Ohren harmonisch, also im Einklang mit unserer Vorstellung von zusammenpassenden Tönen sein. Sie kann aber auch dissonant, missklingend, unstimmig, nicht passend und damit bisweilen mindestens ungewohnt bis unerträglich für unser Hörempfinden sein. Dann Vermissen wir die Harmonie, wenngleich unsere Hörgewohnheiten uns in dem, was wir angenehm oder unangenehm beim Hören empfinden, stark prägen.

So fällt es mir reichlich schwer, mich populärer türkischer Musik hinzugeben, wenn der Interpret aus dem, was ich als harmonisch empfinde ausbricht und in wahrer Kehlkopfakrobatik die Tonarten auf und ab wechselt, so dass diese Tonfolge mich am ehesten an Schmerzensschreie erinnert, etwa so, als würde jemand mit einer Nadel gestochen. Aber frage ich meine türkischen Freunde, so empfinden sie ihre Musik sehr wohl harmonisch. Wiederum können sie meine Begeisterung für Mozarts oder Beethovens Musik manchmal nicht nachvollziehen.

So sind wir scheinbar stark geprägt von der Art, wie wir von Kindesbeinen an Musik wahrgenommen haben. Harmonie kann man also im Gewohnten finden.

Aber nicht nur in der Musik finden wir Harmonie:

  • Bekannt ist die Harmonie des “Goldenen Schnittes”, der in der Kunst, in der Malerei, Plastik und der Baukunst große Bedeutung hat,
  • Politiker harmonisieren gerne Gesetzeswerke,
  • Umweltschützer wollen unsere Zivilisation in Harmonie mit der Natur bringen,
  • Wir verleben bisweilen harmonische Abende mit Freunden,
  • Wir empfinden manches Kunstwerk sehr harmonisch,
  • Und wer sein Heim harmonisch einrichtet, beweist Geschmack,

Sehr modern sind zur Zeit auch fernöstliche Harmonielehren: Nach der Feng-Shui-Lehre, einer aus Japan entliehenen Spielart der Harmonielehre, richten sich heute Menschen ihre Häuser ein, Gemeinden planen ganze Wohngebiete danach. Im Internet tummeln sich deshalb die Angebote von Feng-Shui-Beratern und Feng-Shui-Architekten, die uns zeigen, warum eckige, gar spitze Kanten uns bedrohen, warum energetisch eine dem Fenster genau gegenüber angebrachte Türe so von Übel ist. Feng-Shui – das heiß wörtlich übersetzt in etwa „Wind und Wasser“ bringt zugleich einen neuen Harmonieaspekt ins Spiel: Den Aspekt, des sich Wohlfühlens.

Im Bezug auf den Menschen könnte man also sagen, er fühlt sich mit sich und seiner Umwelt dann in Harmonie, wenn er sich wohlfühlt. Ein Dichter beschrieb das Wohlgefühl mit den Worten, „es sind die Momente, in welchen man meint, dass Milch und Honig in den Adern flösse!“ Harmonie empfinden wir also, wenn Körper und Seele in inniger Wechselwirkung übereinstimmen. Man könnte dieses Harmonieempfinden auch Glücksempfinden nennen.

Dieses Gefühl können wir oftmals nicht genießen, wenn wir im Streit mit anderen liegen – wenn wir uns nicht im Einklang oder besser nicht in Übereinstimmung mit ihnen befinden. Streit finden wir nicht harmonisch, solange er ohne bewusste Streitkultur ausgetragen wird. Reduzieren wir ein Streitgespräch hingegen auf den Streitgegenstand, verbunden mit der Neugier auf die Sichtweise des anderen, so kann sich das Blatt wenden. So unterschiedlich die Auffassungen dann auch sein mögen, und selbst wenn wir uns uneinig trennen, so kann ein solchermaßen kultiviertes Streitgespräch uns durchaus harmonische Eindrücke hinterlassen, lernten wir den anderen und seine Denkweise doch dadurch besser kennen. Harmonie kann also auch Verstehen und Akzeptieren bedeuten. Dies scheint zunächst widersprüchlich zu sein. Doch ist es das aus freimaurerischer Sicht durchaus nicht:

Freimaurer lernen, dass im ganzen Kosmos Harmonie herrscht, dass alles Lebendige nach ihr strebt, der Einzelne genau so wie die Gemeinschaft. Der Widerspruch löst sich auf im Ziel allen Werdens, nämlich eine möglichst große Mannigfaltigkeit (= Vielfältigkeit) zur Entfaltung zu bringen und diese wiederum in eine Einheit ohne Gegensätze zu bringen. Wir alle kennen die hierzu erforderlichen Werkzeuge: Es sind dies die Toleranz und die Wahrhaftigkeit, die uns helfen Harmonie sogar dann zu empfinden, wenn wir in der Sache ganz und gar nicht einig sind!

Mehr noch: Freimaurer streben nach dem Einklang, also nach der Harmonie der geistigen Kräfte: Weisheit, Stärke und Schönheit. Sie spielen deshalb auch eine zentrale Rolle in unseren Ritualen. Freimaurer bejahen den Menschen als Ganzes, seinen Willen, seine Gefühle und seine Vernunft, sein Schaffen aber auch sein Versagen. Freimaurerei will den ganzen Menschen sich entfalten sehen und sie unterscheidet sich deshalb sehr von dogmatischen Bewegungen. Freimaurerei ist so gesehen ebenfalls als eine Art Harmonielehre zu verstehen, die Harmonielehre des Lebens, der Lebenskunst im wahrsten Sinne des Wortes oder wie Freimaurer es nennen, der „Königlichen Kunst”.

So komme ich zum vorläufigen Ergebnis meiner Recherche: Von Harmonie sprechen wir immer dann, wenn wir das rechte Gemisch aus

  • sinnlichem Erleben von Gewohntem,
  • Einklang verschiedener Dinge,
  • Toleranz und Wahrhaftigkeit,
  • Wohlgefühl und Glücksempfinden,
  • Übereinstimmung und Verständnis,
  • Und nicht zuletzt – die Kunst des Lebens erfahren.

Bild von Anja#helpinghands #solidarity#stays healthy auf Pixabay

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