Europawahl 2019 in “leichter Sprache”

Autor: Kurt O. Wörl

Gemäß des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) haben künftig auch Menschen, welche unter Betreuung (früher “Vormundschaft”) stehen, das Recht an Wahlen teilzunehmen, und zwar bereits bei den anstehenden Wahlen zum Europaparlament am 26. Mai d.J. Das finde ich gut und richtig. Konsequenter Weise hätte das BVerfG dann allerdings auch Kindern – die ja unter Vormundschaft ihrer Eltern stehen – ein Wahlrecht einräumen müssen (ggf. über ein Familienwahlrecht). Faktisch sind nun Kinder und Jugendliche im Alter unter 18 Jahren der einzig verbliebene “Rest” der Gesellschaft, welcher nicht durch Stimmabgabe bei Wahlen und Abstimmungen Einfluss auf die Politik nehmen kann. Das finde ich nicht in Ordnung. Die deutsche Familienpolitik sähe anders aus, wenn es anders wäre.

Um dem Urteil des BVerfG gerecht zu werden und auch, um Menschen mit Lernschwierigkeiten zum Wählen zu ermutigen, hat sich die Landesregierung von Rheinland-Pfalz etwas Neues ausgedacht: Sie hat ein Video veröffentlicht, in welchem die Kommunalwahlen in “leichter Sprache” erklärt werden. Diese besteht aus kurzen Sätzen – möglichst ohne Fremdwörter – und enthält viele erklärende Beispiele. Eine gute Idee!

Diesem Vorbild folgte nun auch die Stadt Osnabrück und erklärt in “leichter Sprache” die Europawahl und den Bürgerentscheid; – allerdings mit gar nicht so kleinen Schönheitsfehlern. Grundsätzlich finde ich es ja gut und richtig, dass staatliche Stellen sich bemühen, die Grundsätze des Sender-/Empfängermodells, nachdem stets der Sender von Informationen für das Gelingen der Kommunikation verantwortlich ist, anwenden wollen. Aber muss die “leichte Sprache” dann gleich mit einem Säckchen voll falscher Grammatik daherkommen? Offenbar hat Osnabrück seine Erklärungstexte auch gleich in die Hände sprachlich überforderter Mitarbeiter gegeben. Bereits die Vierzeiler-Willkommensseite bricht mit einigen Regeln unserer Sprache:

So macht die Stadt die “leichte Sprache” gleich mal zum Eigenbegriff und verkauft sie als “Leichte Sprache”. Und für die Bindestriche in Europawahl (Europa-Wahl) und Bürgerentscheid (Bürger-Entscheid) gibt es überhaupt keinen Grund, da es sich weder um sehr lange, zusammengesetzte Wörter, noch um Verbindungen von Fremdwörtern mit deutschen Vokabeln handelt, welche Bindestriche rechtfertigen würden.

Auf auf der Osnabrücker Seite “Die Europa-Wahl 2019 in Leichter Sprache” wird es noch heftiger. Man wird unwillkürlich an Sebastian Sicks Büchlein “Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod” erinnert, steht auf der Seite doch tatsächlich zu lesen:

“Die Bürger der Europäischen Union wählen die Mitglieder von dem Europäischen Parlament”, statt richtig “Die Bürger der Europäischen Union wählen die Mitglieder des Europäischen Parlamentsoder:

“Die Länder von der EU arbeiten zusammen” statt “Die Länder der EU arbeiten zusammen”, abgesehen davon, dass diese Behauptung eine steile These darstellt, welche sich in der Realität ja eher selten wiederfindet. Oder:

“Die Mitglieder von dem Europäischen Parlament arbeiten für die Rechte von den Bürgern in der Europäischen Union” statt “Die Mitglieder des Europäischen Parlaments arbeiten für die Rechte der Bürger in der Europäischen Union.”

Ferner: “Mitglieds-Länder” statt “Mitgliedsländer”, “zusammen-arbeiten” statt “zusammenarbeiten” (oder “zusammen arbeiten” – je nachdem, was genau eigentlich gemeint ist).

So zieht sich dieser Sprachmurks auch durch sämtliche Unterseiten des Osnabrücker Angebots. Dabei wären die Texte in richtiger Schreibweise und bei Anwendung des richtigen Kausus um kein My schwerer verständlich, aber es würden wenigstens keine sprachlichen Regelbrüche unter die sprachlich ohnehin geforderte Bevölkerungsschicht gestreut. – Und ehrlich gesagt, finde ich diesen misslungenen “vereinfachten Sprachgebrauch” auch ziemlich respektlos und diskriminierend ggü der anvisierten Bevölkerungsschicht. Mich erinnert das an Reinhard Meys Lied Mann aus Alemania“, in welchem er am Ende singt: “Du wohl Türke, nix Blabla, neu in Alemania?”

Ich wiederhole mich: ich bin sehr dafür, wenn staatliche Stellen eine für jedermann verständliche Sprache anwenden. Aber was ist dagegen einzuwenden, wenn sie dies trotzdem regelkonform tun? Wie soll ein sprachlich ohnehin Geforderter das Richtige durch falsche Vorbildgabe offizieller Stellen denn erlernen? Ganz abgesehen davon, dass nach unserem Verwaltungsrecht Deutsch, mit all seinen Regeln, Amtssprache zu sein hat. Werden wir künftig auf offiziellen Seiten womöglich auch in “Kanak  Sprak” informiert?

Foto: pixabay Creative Commons CC0


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