Max Uthoff – Feindbild HARTZ IV

gefunden von Kurt O. Wörl

Max Uthoff versteht es, zwar satirisch verpackt, Wahrheiten zu präsentieren, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt und man das Satirische gar nicht mehr erkennen kann. Damit sich seine allzu wahren Worte auch bei unseren Lesern gut einprägen mögen, hier seine bereits aus 2015 stammenden Worte zum Mitlesen. Worte, die auch vier Jahre danach nichts an Aktualität verloren haben. Viel Vergnügen zu wünschen wäre dabei allerdings kaum angemessen:

“Selbstverständlich gibt es auch in der Religion des Kapitalismus’ einen Feind, vor dem gewarnt werden muss, wie in jeder Religion: Der Ungläubige, der Nichtgläubige, die Versuchung, die Sünde. Was unglaublich ist ist, dass wir alle es zugelassen haben, dass der Feind in der Sozialem Marktwirtschaft der Arbeitslose ist. Soweit ist unsere Gesellschaft schon verroht.

Sozialforscher Werner Heitmeyer (Anmerkung der Redaktion: Uthoff meinte vermutlich Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer) hat an der Uni Bielefeld über zehn Jahre untersucht, wie sich die Einstellung der Bevölkerung zu ganz bestimmten gesellschaftlichen Gruppen verändert hat. Und das Ergebnis ist ganz eindeutig: Der Langzeitarbeitslose ist zu einem stabilen Feindbild geworden in unserem Land. Die Elite wollte diese Einstellung erreichen, auch bei uns, bei der Mittelschicht – und die hat’s geschafft! 61% aller Befragten halten es für empörend, wenn sich HARTZ IV-Empfänger auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen. Nur zur Erinnerung: der Tagessatz beträgt 13 EUR.

Die Denunziation der Arbeitslosen, alles begann mit Gerhard Schröder, der roten Null. Als er damals gesagt hat ‘Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserem Land!’ und damit als erster die Gleichung – arbeitslos = faul – aufgemacht hat. Dann kam Franz Müntefering, einer der ‘klügsten Denker des ausgehenden Mittelalters’ und hat in diesem Zusammenhang die Bibel zitiert und gesagt ‘Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen!’. Aber wie hinterhältig, wie infam, wenn du wie Müntefering die Bibel zitierst aber absichtlich falsch? Denn im zweiten Paulus-Brief an die Thessalonicher, das steht nicht ‘wer nicht arbeitet, soll nicht essen’. Da steht ‘Wer nicht arbeiten will, soll nicht essen’! Ist doch ein entscheidender Unterschied, oder? Denn das Nürnberger Institut für Arbeitsmarktforschung hat festgestellt, HARTZ IV-Empfänger haben eine höhere Arbeitsmotivation als Rest der Bevölkerung. Sie wollen arbeiten, weil Arbeit nun mal ein Teil unseres Selbstwertgefühles ausmacht. Was macht Franz Müntefering heute? Er ist Ehrenpräsident beim Arbeiter-Samariter-Bund und kümmert sich um Hilfsbedürftige. Schön zu wissen, dass er durch seine Politik dafür gesorgt hat, dass er den Job noch verdammt lange wird machen können.

Die Elite wollte eine Einstellung bei uns, bei der Mittelschicht, provozieren: wir sollten uns von den Arbeitslosen abgrenzen und diese verachten. Wenn das gelingt, haben wir selbst irgendwann Angst vom Staat abhängig zu sein. Und das macht uns gefügig, denn wer Angst hat, der stellt keine Forderungen. Und wir alle ahnen doch etwas von dem Druck, den HARTZ IV-Empfänger empfinden müssen: HARTZ IV-Empfänger müssen immer erreichbar sein, immer ihren Kontostand offenbaren, müssen jede noch so idiotische Fördermaßnahme mitmachen. Wenn die zweimal zu spät zum Termin kommen, kann es zu einer Kürzung ihrer Bezüge kommen. Wenn Sie öfters mal im Kreis der Familie Mittagessen, sollten Sie das nicht aus Versehen auf dem Amt ausplaudern, weil es sonst auch zu einer Kürzung ihrer Bezüge kommen kann. Das Ergebnis: Jeder zweite HARTZ IV-Empfänger ist psychisch krank, hat eine Studie der DAK ergeben. Aber vielleicht müssen Sie nicht lange leiden. Denn wer kümmert sich laut Presseberichten in seiner Freizeit um psychisch Kranke? Volker Kauder

HARTZ IV hat die Armut in unserem Land soweit ansteigen lassen, dass – und wir regen uns nicht mal mehr darüber auf – es Tafeln gibt. Dass es in einem der reichsten Länder dieser Welt Tafeln gibt, an denen sich einmal in der Woche Hunderttausende von Menschen anstellen und um Essen betteln. Und dann kommt Katrin Göring-Eckardt, die ihre volkswirtschaftlichen Kenntnisse am internationalen Institut für Milchmädchen erworben hat – die mit ihrer Partei, den Grünen, HARTZ IV, die Armut und die Tafeln überhaupt erst mitinstalliert hat – und sie schreibt in einem Buch über die Tafeln: ‘Es ist ein Glück, dass es die Tafeln gibt. Die Tafeln sind die Antwort auf das Problem der Armut in unserem Land.’ Katrin Göring-Eckardt, deren Verstand sich vor langer, langer Zeit wie ein Auswanderer in südliche Gefilde abgesetzt hat, um dort an der Strandbar ein Bier zu trinken, zusammen mit der Würde von Joschka Fischer.

Das Sozialstaatsprinzip wurde umgewandelt in einen Wohltätigkeitsball. Das neue Motto lautet: Rotarier aller Länder vereinigt euch! Früher hieß es ‘arbeitslos’, da hat man schon sprachlich den Verlust gesehen. Jemand ist was los geworden. Heute heißt das HARTZ IV-Empfänger, da empfängt einer was! Wahrscheinlich etwas, worauf er keinen Anspruch hat.

Angela Merkel hat vor zehn Jahren, 2005, schon klar festgelegt wer schuld ist. Sie hat gesagt ‘Es ist der Wohlfahrtsstaat, der schuld ist an der Staatsverschuldung’. Und sie wurde unterstützt, immer wieder von allen Möglichen, u.a. von Peter Sloterdijk, dem sympathischen Philosophiestudenten im 146. Semester, der in der FAZ in diesem Zusammenhang tatsächlich von einer Ausbeutungsumkehrung gesprochen hat. Was Sloterdijk damit meinte, dass die Armen in unserem Land inzwischen die Reichen ausbeuten. Ein, gemessen an seiner Verständlichkeit, schockierend überbezahlter Philosoph, bezeichnet also Menschen, die von 13 EUR am Tag leben als Ausbeuter der Reichen.

Aber die Presse hat fröhlich mitgemacht, bei der Denunziation, allen voran die Springer-Presse. Sie erinnern sich alle an Kampagne, über Florida-Rolf oder Arno Dübel, de frechsten Arbeitslosen Deutschlands. Und wie gut das funktioniert hat, auch bei der Mittelschicht, auch bei mir. Hab ich vor einiger Zeit gemerkt, da gab’s eine Sendung, Hart aber fair, mit Plasberg, – und da ging’s um Tiefkühlkost. Und da hat ein deutscher Professor, wer sonst, gesagt ‘Naja, was wäre denn die Alternative zu Tiefkühlkost, ja sollen wir uns die Pizzas vielleicht alle frisch machen? Das dauert ja Stunden. Und wenn wir uns mal HARTZ IV-Empfänger vorstellen, die haben doch gar nicht die Kenntnisse oder die Fähigkeiten dazu.’ Und kurz bevor einem die Calzone hoch kam, ist Plasberg – Gott sei Dank – dazwischen gegangen, er hat gesagt ‘Moment, wollen Sie damit behaupten, dass Sie einen Unterschied erkennen, in der Zubereitung von Tiefkühlkost zwischen Menschen mit Abitur und HARTZ IV-Empfängern?’ – Ich hab drei Schluck Rotwein gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass die Unterscheidung in Menschen mit Abitur und HART IV-Empfängern auf demselben Denken basiert, wie das arrogante Gequatsche des Professors. 

Die Elite hat ganze Arbeit geleistet, mit ihren Verbündeten – Initiative neue Soziale Marktwirtschaft, Deutschland-Konvent, Bertelsmann-Stiftung. Und misstrauen Sie den Leuten, die unsere Armut relativieren, indem sie sie mit Armut woanders vergleichen. Das wird gerne gemacht. Vor allem von Professor Meinhard Miegel – schon wieder ein Professor, allerdings ehrenhalber, also Laienprediger – der in dem Zusammenhang gesagt hat ‘Ich halte es für eine zynische Missachtung wirklicher Armut, wenn man Menschen in Deutschland als arm bezeichnet.’ Und Ursula von der Leyen hat auch gesagt ‘Armut in Deutschland ist ja eher relativ’. Und der Dortmunder Statistikprofessor, Walter Krämer, der weiß, wie man mit Statistik lügt, hat mehrfach gesagt, ‘Na schau’n Sie, mit dem HARTZ IV-Satz wären Sie in neun von zehn Ländern reich.’ Aber das ist doch ein Unterschied, oder? Die Lebenshaltungskosten in Mumbai werden sich doch von denen in Köln, Hamburg, Stuttgart ein bisschen unterscheiden. Und das Empfinden der Armut ist auch ein anderes, wenn ich, in wie in Indien oder Afrika, von Menschen umgeben bin, die in einer ähnlichen sozialen Situation, anders als eine allein erziehende Mutter, die in unserem Land, weil sie zwei Kinder hat und ihr Mann sie verlassen hat und weil sie deshalb keiner Arbeit nachgehen kann und auf HARTZ IV-Niveau lebt, sich einmal in der Woche in unserem Land an der Tafel anstellen muss und um Essen betteln muss, damit sie ihren Kindern eine Kleinigkeit zum Geburtstag kaufen kann. Und was Miegel, von der Leyen, Krämer und die anderen dieser Frau letztlich vorwerfen ist, dass man ihr ihre Armut nicht ansieht. Dass ihre Armut nicht deren ästhetischen Vorstellungen von Armut entspricht. Für diese Leute wäre diese Frau nur dann wirklich arm, wenn ihre Kinder schon irgendwo in der Ecke liegen würden, zu schwach, um sich gegen die Fliegen zu wehren, die Würmer in ihren Augen ablegen. Und die Lüge, dass HARTZ IV-Empfänger faul sind, sie wird solange wiederholt, bis sie zur Wahrheit geworden ist. 

Wissen Sie was? Ich glaube der Mensch ist nie strukturell faul. Der Mensch hat mal Angst, ist müde, orientierungslos, unsicher. Der Mensch hat vielleicht vom eigenen Elternhaus nicht die notwendigen Fähigkeiten mitbekommen, um sich jeden Tag einer nervtötenden Arbeit zu stellen. Der Mensch ist nie wirklich faul. Wenn er Hunger hat, sucht er sich was zum Essen, wenn er Lust hat, sucht er sich ein Gegenüber, das ihm in der stabilen Seitenlage gefallen könnte. Aber wenn es gelingt, Faulheit als Motiv zu installieren, dann haben wir aus dem Opfer einen Täter gemacht. Und genau das ist in den letzten Jahren bei uns abgelaufen. Aber das Sozialstaatsprinzip, das wir allen Arbeitslosen eine Teilhabe an der Gesellschaft bieten müssen, auch dem Arbeitslosen, der uns vielleicht bequem, überheblich oder faul … kommen Sie, wir zahlen Christian Wulff jedes Jahr über 200.000 EUR … und es gibt ganz bestimmte Formen der Gerechtigkeit nicht, es gibt bei uns keine Chancengerechtigkeit. Alle internationalen Studien – OECD und andere – sagen, nirgendwo in Europa ist die Durchlässigkeit zwischen den sozialen Schichten geringer als bei uns. Es gibt auch keine Lohngerechtigkeit. Natürlich wird – trotz Mindestlohns – weiter ein sittenwidriger Lohn gezahlt, wie anders würden Sie das Gehalt von VW-Chef Martin Winterkorn bezeichnen? Und natürlich haben unsere Journalisten kein Interesse an mehr sozialer Gerechtigkeit. 68% aller deutschen Journalistenschüler stammen aus gutbürgerlichem, wohlhabendem Haus. Alle großen, überregionalen Tageszeitungen befinden sich im Besitz von Familien, mit dreistelligen Millionenvermögen. Mit Ausnahme der FAZ, die in einer Stiftung steckt. Aber wer von Ihnen glaubt ernsthaft, dass die Frankfurter Altherrenzeitung an mehr sozialer Gerechtigkeit interessiert ist?

Und wenn wir diese Ungerechtigkeit erkennen und weiterdenken, wird’s irgendwann bitter, denn irgendwann kommen wir an den Punkt, nicht wahr? Irgendwann wird uns klar, dass wir das letztlich nicht verdient haben. Sie nicht und ich nicht. Niemand hier im Raum heute Abend hat es verdient, deutlich mehr Geld im Monat zu bekommen, als eine Krankenschwester. Niemand arbeitet härter, niemand trägt mehr Verantwortung. Sie wissen das auch, das ist nämlich einer der Gründe, warum Sie hier sind. Und wenn Sie dieses System trotzdem rechtfertigen, dann geht das nur über gedankliche Prothesen – nicht wahr? – indem Sie sich sagen ‘Na gut, es ist eben nicht alles perfekt, manche haben halt mehr als andere, weil sie eben Glück hatten oder weil sie besser sind als andere.

Angela Merkel glaubt das, dass es Menschen gibt, die besser sind als andere, ganz sicher. Sie hat mal ein Interview gegeben, mit der Süddeutschen Zeitung, und in dem hat sie über den Terror der RAF gesprochen. Und sie hat gesagt, der Terror der RAF sei ganz furchtbar gewesen, weil die Opfer so strategisch geplant waren und weil es immer weit überdurchschnittliche Menschen getroffen hat. Aber in jeder Gesellschaftsschicht gibt’s doch jemanden, der wird besser eingewertet, als du selbst. Das wird sie doch auch spüren, oder?

Angela Merkel, wenn sie einmal im Jahr zum Teetrinken eingeladen ist, bei Liz Mohn, von der Bertelsmann-Stiftung, Friede Springer ist auch da und Ursula Piëch, von VW. Sie sitzen da, trinken Tee, plaudern, essen Gebäck. Angela fühlt sich wohl. Sie mag die Atmosphäre, sie ist nicht zum ersten Mal da. Leise Musik im Hintergrund, ein unaufdringlicher Service. Die Bluse, von Liz Mohn, erinnert sie an irgendwas, aber ihr fällt gerade nicht ein an was. Sie plaudern über Dies und Das, keine große Weltpolitik. Vielleicht erzählt Angela eine Anekdote, vielleicht geht es um ein Geschäftsessen, vielleicht fallen die Begriffe Messer und Gabel. Und in diesem Moment treffen sich die Blicke von Liz Mohn, Friede Springer und Ursula Piëch und ein kleines Lächeln wird über ihre Gesichter huschen. Ein kleines, Angela ausschließendes Lächeln. Und sie wird es merken und sie wird sich denken ‘aber warum? Ich bin doch diejenige, die hart an der Umsetzung der Wünsche der anderen arbeitet. Ich bin doch diejenige, die jeden Anflug gesellschaftlicher Veränderungen im Keim erstickt. Ich bin doch diejenige, die sich dafür in den südlichen Ländern beschimpfen lassen muss. Plötzlich fällt ihr auch wieder ein, woran sie die Bluse von Liz Mohn erinnert: Sie hatte vor kurzem zufällig einen Bericht im Fernsehen gesehen über eine Frau, die in Griechenland beim Arzt war, eine Patientin. Und diese Griechin, die trug eine Bluse, die der von Liz Mohn zum Verwechseln ähnlich sah. Aber die Bluse der Griechin, die schimmerte so, glänzte irgendwie feucht. Und in dem Bericht erzählte der Arzt, dass sich die Frau durch die Kürzungen im Gesundheitsbereich seit zwei Jahren keine Krankenkasse mehr leisten kann und, dass deshalb seit zwei Jahren auch ihr Brusttumor nicht mehr behandelt worden ist, der jetzt durch die Haut wuchert und die Kleidung einnässt. – ‘Möchtest Du noch eine Tasse Tee?’ wird sie die Gastgeberin fragen hören und Angela wird höflich lächeln und ‘ja, bitte!” antworten.”

“Der soziale Friede braucht ein bisschen Mut. Wer über den Tellerrand schaut, sieht viel mehr von der schmutzigen Tischdecke. Der frühe Vogel stirbt im Sturm. Wer ohne Schuld ist, gehört zur Erbengeneration. ‘Man soll gehen, wenn’s am schönsten ist’ sagte Stuart Sutcliffe an dem Abend, als er sich von den Beatles trennte.”

Lesen Sie auch:

Portugals Erfolg mit gerechter Politik

Lesen Sie auch:

Reiche suchen oft vergeblich nach Glück

Lesen Sie auch:

Sozialstaat auf neue Füße stellen

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.